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Die Tage kommen mir endlos vor. Die Zeit scheint teilweise still zu stehen und danach noch langsamer weiterzulaufen. Der ewige Krieg zwischen unseren Stämmen ist wie eine unüberwindbare Schlucht, über die nur eine Brücke aus morschem Holz und halb durchgetrennten Seilen führt.

Meine Mutter sagte immer, dass eine solche Brücke nur von jenen, die aus gutem Willen handeln gefunden und überquert werden kann. Ich weiß nicht, ob sie eine Irre war oder einfach gutgläubig. Die Tatsache, dass ich es nie herausfinden würde, raubt mir die Kraft, weiter über sie nach zu denken. Sie ist schon lange fort. Nein, sie ist nicht gestorben, sie ist eines Tages einfach verschwunden gewesen und nie mehr aufgetaucht.

Ich vermisse sie, jeder tut das. Vor allem der Stammesälteste und mein Vater. Der Stammesälteste ist mein Großvater, allerdings haben wir keine gute Beziehung zueinander. Ich weiß nicht genau warum, aber ich glaube, dass er krampfhaft versucht die Brücke zu finden, von der Mutter immer gesprochen hatte. Sie war eine großartige Mutter, Ehefrau und Tochter. Nachdem Großmutter im letzten Sommer während eines Sommergewitters umkam, spendete sie meinem Großvater Trost und half ihm, die fünf Phasen der Trauer zu überwinden. Er ist manchmal etwas kompliziert, aber so im Allgemeinen kann man es mit ihm aushalten. So schlimm ist er gar nicht.

Mein Vater ist krank. Er leidet an einem Virus, das es mir unmöglich macht, unser Haus zu betreten und ihn zu versorgen. Ich wollte schon so oft mit ihm reden, aber ich wurde von den anderen Bewohnern immer aufgehalten.

Ich vermisse ihn, doch immer, wenn ich zu ihm will, heißt es: „Fate, dein Vater ist sehr krank. Du bist die nächste Erbin des Stammes, seitdem deine liebe Mutter uns verlassen hat. Wenn dir etwas zustößt, sind wir irgendwann nicht mehr in der Lage uns zu verteidigen."

Ich verstehe nicht genau, was ich mit der Verteidigung des Stammes zu tun habe, aber ich weiß, dass ich nach Großvaters Tod diesen Stamm übernehmen muss. Diese Aufgabe ist schrecklich. Ich müsste Kriegskonferenzen mit den Sicherheitsleuten des Stammes abhalten und im Notfall selbst zur Waffe greifen müssen, um den Stamm zu beschützen.

Der Krieg zwischen unseren Stämmen währt schon seit ewiger Zeit. Schon unsere Ururvorfahren haben in diesem Krieg gekämpft. Unser Stamm ist stark. Und diese Stärke haben wir nur unseren Vorfahren und Stammesältesten zu verdanken. Sie haben uns all die Jahre beschützt und begleitet, uns in schweren Zeiten Hoffnung gebracht. Selbst unser allerheiligstes schenkte uns in allen Situationen Kraft, um zu überleben. Wir haben die Götter auf unserer Seite!"

„Wir haben die Götter auf unserer Seite!" Dieser Satz ist die größte Lüge in der Erzählung. Einmal habe ich zu den Göttern gesprochen und gebeten, dass sie Vater wieder gesund machten, aber genau das Gegenteil traf ein. Ich wohne nun bei Großvater Fanali. Die Namen unserer Bewohner setzen sich aus den Anfangsbuchstaben ihrer Eltern zusammen, ein alter Brauch.

Ich heiße Fate. Das Produkt der Namen Fari und Teki. Einige Namen haben nur vier Buchstaben, aber mittlerweile haben viele längere Namen. Meine Freundin Tanari zum Beispiel. Oder ihr Bruder Takeri. Sie sind mir immer gute Kameraden und unterstützen mich, worin auch immer ich ihre Unterstützung brauche.

Nun, da mein Vater so schrecklich krank ist, hängt einer von den beiden immer in meiner Nähe, wofür ich wirklich dankbar bin. Ohne Tanari's Freude und Takeri's Sarkasmus wäre ich schon lange einen tiefen Abgrund hinunter gestürzt und würde, da bin ich mir sicher, dort niemals wieder herauskommen.

Ich habe meinen besten Freunden wirklich sehr viel zu verdanken.

„Fate", ruft Takeri, „beeil dich mal! Wir haben nicht ewig Zeit!" Heute sind wir im Wald unterwegs, um Fische und kleinere Tiere wie Hasen zu fangen und Beeren zu sammeln. Wir sammeln oft Beeren und kochen daraus Marmelade. Leider, das muss ich zugeben, haben wir wirklich nicht viel Zeit. Nachdem ich nach der Schule bei Großvater war, um meine Sachen dort abzuladen, hatte er mich darum gebeten, noch einen Moment zu bleiben, aber ich wollte unbedingt in den Wald. Ich fragte, ob wir nicht heute Abend reden konnten. Zu meiner großen Überraschung hat er sogar zugestimmt und mir viel Spaß gewünscht.

„Ich komme ja schon! Bedenke, dass ich keine Hose wie du trage und durch meinen Rock in meinen Bewegungen eingeschränkt bin", sage ich, als ich endlich bei ihm bin. Unser Wald ist sehr groß und man kann sich leicht verirren, wenn man von den Pfaden abkommt, die mit der Zeit hier entstanden sind. Nur Takeri und ich verließen manchmal die Pfade, um an einen bestimmten Ort zu gelangen: Unserer Lichtung.

Ich weiß nicht mehr genau wie, aber irgendwann, als wir noch jünger waren, haben wir sie gefunden. Tanari weiß nicht einmal, dass diese Lichtung existiert, denn Takeri und ich hatten uns damals geschworen, dass wir niemandem etwas davon erzählen - auch seiner Schwester nicht.

Doch heute bleiben wir auf den Wegen. Wir haben von meinem Großvater ein Zeitlimit zum Jagen bekommen und wollen unbedingt so viel Beute wie möglich auftreiben. Bis zur Abenddämmerung sind es allerdings nur noch wenige Stunden. Deshalb müssen wir uns ein wenig ran halten.

„Ja ja, komm jetzt", Takeri greift nach meinem Arm und zieht mich vorsichtig hinter sich her. Ich weiß nicht warum, aber Takeri und mich verbindet etwas. Etwas, das stärker als Freundschaft, aber dennoch schwächer als Liebe ist. Wir haben viel erlebt. Takeri, Tanari und ich. Tanari ist meine beste Freundin und Takeri mein bester Freund, aber Takeri ist noch etwas mehr. Etwas Unbeschreibliches. Ich habe mir schon oft den Kopf darüber zerbrochen, was es sein könnte, aber ich bin nie auf ein eindeutiges Ergebnis gekommen.

„Du, Takeri?", frage ich. Er sieht mich an. „Was sind wir eigentlich?" Er bleibt stehen und lässt meinen Arm los. Er dreht sich mir mit seinem ganzen Körper zu und legt den Kopf schief. „Beste Freunde oder etwa nicht?", sagt er schließlich.

„Ja, schon, aber da ist mehr. Das spüre ich. Nicht etwa, dass ich Schmetterlinge im Bauch habe und ständig an dich denke, weil ich in dich verliebt bin, nein, eher etwas, das ich nicht beschreiben kann. Ich mag dich, du bist mein bester Freund, das ist wahr, dennoch habe ich nicht das Gefühl, dass du nur mein bester Freund bist. Ich verstehe das nicht. Weißt du, was es sein könnte?"

Er zieht seine Augenbrauen zusammen und seine Lippen bilden eine schmale Linie. Er denkt nach. „Keine Schmetterlinge, sagst du? Siehst du mich vielleicht als eine Art Bruderfigur? Vielleicht rühren diese Gefühle daher", sagt er und sein Gesicht wird wieder zu dem hübschen Gesicht Takeris. Eine Art Bruderfigur?

„Wenn Geschwister sich wie durch ein Band miteinander verbunden fühlen und sich ein bisschen mehr mögen, als beste Freunde, dann ja", überlege ich laut und sehe ihm direkt in die Augen. Er beginnt zu grinsen.

„Ich habe mir schon immer eine weitere kleine Schwester gewünscht!", sagt er und wirbelt mich einmal durch die Luft. Ich muss lachen. Nach drei Umdrehungen setzt er mich wieder ab und beginnt mit federnden Schritten weiter durch den Wald zu laufen. Ich schüttle den Kopf und laufe ihm hinterher.

Nach wenigen hundert Metern stellen wir ein paar Fallen auf, mit denen wir fette Hasen zu fangen hoffen, bevor wir dann weitere siebenhundert dreißig Meter weiter an den Bach gehen, um dort zu fischen. Wir verbringen gut zwei Stunden am Bach. Wir haben zehn große Fische gefangen, ein guter Fang. Auf dem Rückweg zu den Fallen sammeln wir wilde Erdbeeren, Kirschen und Brombeeren.

Aber auch die Fallen haben gute Beute gefangen: Zwei fette Hasen und drei Eichhörnchen. Schade, dass die Eichhörnchen umsonst gestorben sind. Wir können ihr Fleisch leider nicht essen und auch ihre Fälle nicht gebrauchen.

Nun ja, wir holen die Hasen aus den Fallen und gehen auf dem schnellsten Weg zurück zum Stamm. Im Dunkeln ist der Wald am gefährlichsten und die Dämmerung setzt schon ein. Wir würden pünktlich sein und das ist das Wichtigste, denn bei meinem Großvater zu spät zu kommen ist immer ein schlechtes Omen.

Takeri und ich erreichen kurz nach Einbruch der Dämmerung den Stamm und werden schon von einigen Bewohnern erwartet. Sie nehmen uns unsere Beute ab, alles, bis auf die Kirschen, denn die sind für Großvater.

Ich verabschiede mich von Takeri und gehe mitsamt der Kirschen zu Großvaters Haus. Ich öffne die Tür und rufe: „Großvater, ich bin zurück!" Fanali streckt seinen Kopf aus dem Zimmer, in dem er alle möglichen Dinge aufbewahrt. „Pünktlich auf die Minute. Komm, Kind. Ich und du müssen reden. Es ist an der Zeit."

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Danke, dass ihr das erste Kapitel meines Buches „Fate" gelesen habt. Ich hoffe, dass es euch gefallen hat. Schreibt eure Meinung gerne in die Kommentare. Ein besonderes Dankeschön geht an meinen Besten, der das tolle Cover erstellt hat!

Bis zum nächsten Mal,

eure Melle0813 :)

FateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt