"Zeig mal her."
Auffordernd sieht er mich an. Ich schaffe es tatsächlich, seinem Blick standzuhalten und halte ihm meinen demolierten Arm entgegen.Vorsichtig greift er nach meinem Handgelenk und beginnt pseudoprofessionell daran herumzutasten.
Ich atme scharf die Luft ein, als er etwas fester zudrückt und ziehe meine Hand weg.
"Chill mal."
Er kommt zu dem Entschluss, dass mein Handgelenk ziemlich mies verstaucht ist. Keine Ahnung, warum ich ihm in dieser Hinsicht vertraue, aber ich tue es.
Mittlerweile sitze ich mit einem Paket Tiefkühlerbsen an meinen Arm gebunden in Felixs Zimmer und warte geduldig, während er sich durch seinen Kleiderschrank wühlt.
Draußen wird es langsam dunkel und der erwartete Regen lässt nichts von sich sehen.
Scheinbar ist es manchmal so, dass nicht das schlimmste eintritt."Na also."
Er klingt zufrieden und knallt die Schranktür zu.Ich starre das ramponierte Skateboard in der Zimmerecke an, als sich ein kleines Tütchen mit eindeutigem grünen Inhalt in mein Sichtfeld schiebt.
Er grinst, ich grinse, mein Gott dieses Grinsen.
Auf der Straße ist es kalt, dunkel und einsam.
Genau wie manchmal in meinem Kopf.Wortlos gehen wir nebeneinander her. Es tut gut, mal nichts sagen zu müssen.
Vor uns baut sich ein nur allzu gut bekanntes Gebäude auf. Bekannt und gehasst, diese Schule.
Er zündet sich einen Joint an und greift nach einem lockeren Pflasterstein.
"Äh, was machst -" mein Nachfragen wird von einen Klirren unterbrochen.
Wie Schneeflocken segeln Glassplitter zu Boden und bedecken mit einer hauchdünnen glitzernden Schicht den Asphalt.
"Winterwunderland." kichert er und nimmt einen weiteren Zug, während er mit den Fuß ein paar Kristalle zur Seite schiebt.
Er inhaliert, schließlich steigt Rauch auf.
Ich greife nach einem Stein, er liegt schwer in meiner Hand.
"Mit links werfe ich wie ein Mädchen."
Gemurmelte Feststellung meinerseits.
Er sieht von der funkelnden 'Schneedecke' unter unseren Füßen auf.
"Scheiß drauf. Gib den Wichsern was sie verdienen."
Voll durchgezogen kollidiert der Stein mit der nächsten Scheibe und zertrümmert sie. Es ist, als hätte ich alles was auf meinen Schultern lastete mit dem Stück Asphalt weggeworfen. Ich fühle mich frei, mein Kopf wird leicht, unter meinen Füßen verschwindet der Boden, ich beginne zu fliegen, ich bin high. Scheiße.Scheiße... Scheiße... Scheiße... Scheiß egal.
Ich nehme ihm den Blunt ab und ziehe noch mal daran. Was soll's? Jetzt ist alles egal.
Felix wirft einen neuen Stein. Wie in Zeitlupe rotiert er an mir vorbei. Langsam aber sicher. Wie eine Weltraumsonde auf Amokfahrt durch die Stratosphäre.
Ich weiß nicht, ob er wirklich so langsam fliegt, verdammt ich weiß in diesem Moment ja nichtmal ob es überhaupt möglich ist, dass 'fliegen' und 'langsam' zwei Eigenschaften sind, die sich kombinieren lassen.Wahrscheinlich ist es nur ein kurzer Augenblick, aber an mir zieht er sich vorbei wie Kaugummi.
Wie eine Kuh wenns donnert, stehe ich da und glotze blinzelnd diesem unfassbar langsamen Stein hinterher, bis er endlich an seinem Ziel ankommt und die Scheibe zu Schneekugelfüllung macht.
Wieder schwebt ein Glimmen durch die Luft und in meinem Kopf glimmt es auch.
Meine Füße sind kalt und neben mir ertönt ein altbekanntes Geräusch.
Ein metallisches Klackern findet den Weg in meine Ohren und ich drehe ebenfalls unglaublich langsam meinen Kopf.
Felix steht neben mir, grinst und schüttelt eine Spraydose.
Der kleine Wichser.
Ich erwidere das Grinsen und nehme ihm die Can ab.
Ein wenig ungelenk, weil mit links, ziehe ich Buchstaben über den hässlichen Pressbeton.
'Mit Verachtung' lässt sich später lesen.Plötzlich ertönt das, was ich schon die ganze Zeit befürchtet hatte. Die Polizei, die Cops, die Bullen. Scheißegal, sie sind hier.
Wir lassen alles hinter uns.
Die Cans, den Schnaps und sein 'Antiallesfürimmer' an der Wand, das langsam zerfließt.
"Lauf, Schlampe, lauf." höre ich ihn neben mir leicht außer Atem.
Wie, als seien die Sirenen unser Startschuss gewesen, hetzen wir durch die dunklen, trostlosen Straßen.
Meine Füße berühren nur dürftig den Asphalt, meine Knie geben ständig nach.
Pflastersteine, Risse im Teer und Pfützen fliegen unter mir hinweg.
Meine Lunge beginnt zu brennen, Felix spuckt neben sich.Ich weiß mittlerweile nicht mehr wo wir sind und warum wir überhaupt rennen. Es sind schon längst keine Sirenen mehr zu hören und doch hetzen wir weiter.
Ich kann nicht mehr, doch ich will. Ich muss.Keine Gefahr erkennbar, ich ergebe mich trotzdem meiner Furcht.
Warum rennen wir überhaupt? Wir Feiglinge.
Kleine erbärmliche, dreckige Feiglinge.
Einmal für mich selbst geradestehen, statt wegzulaufen.
Das wär's.
Ich will stehen bleiben doch ich kann nicht. Muss vor mir selbst weglaufen.Warum verdammt nochmal rennen wir?
Ich will stehen bleiben aber es geht nicht.Und als Felix nach meiner Hand greift macht es Klick.
Der Schalter in meinem Kopf springt um.Verdammt, wir rennen um zu leben.
Um den eigenen Puls wider zu spüren, um uns von der Stelle zu bewegen, um ums Verrecken nicht so zu sein, wie der ganze beschissene Rest.Keuchend, schnaufend, nach Luft schnappend geht es wohl langsam zu Ende mit uns.
Plötzlich tauchen die dunklen Gestalten von Bäumen vor uns auf und ich habe meine Orientierung wieder.
'Der Park' schwirrt es durch meinen vernebelten Verstand und der Untergrund wird weicher.
Als wir am großen Teich vorbei sind, ist es so weit.
Meine Knie geben nach, mein Körper klappt zusammen, ih kollabiere quasi auf der nächst besten Wiese.
Ich klammere mich an seine Hand und ziehe ihn mit mir runter, er wehrt sich nicht.Meine Hand noch immer in seiner, komme ich langsam wieder zu Atem.
Ich huste, er keucht, über uns ein Meer von Sternen.
Warum bemerke ich die Schönheit der Nacht erst jetzt?
Sie ist dunkel, verworren und alles was passiert bleibt in ihr verborgen.
Aber will ich das wirklich?
Dass die Funken in der Luft zwischen uns für immer unentdeckt bleiben?
Jetzt, wo sein Griff sich verstärkt, seine Finger sich mit meinen verschränken und seine Atmung sich langsam beruhigt, wird mir klar dass es so unglaublich weh tut, allein zu sein.
Doch die Zweisamkeit schmerzt noch mehr, da mein Herz seine Fesseln löst und endlich wieder zu schlagen beginnt.Mein Kopf dreht sich träge nach links und da liegt er.
So wunderschön vom Mondlicht sachte schimmernd.
Vielleicht liegt es am Gras, vielleicht bin ich auch einfach nur verliebter als sonst, vielleicht macht es auch die Mischung aber gerade ist mir wieder alles vollkommen egal.
Ich sehe ihn an, er sieht mich an und als seien wir in einem Nicholas Sparks Film, kommen unsere Gesichter sich näher.
Wir feiern, nein leben das Klischee und unsere Lippen berühren sich sachte.Vielleicht will ich ja gar nicht dass das alles hier im Dunkeln bleibt.
Vielleicht will ich, dass jeder sieht dass ich endlich glücklich bin.
Sie sollen es alle sehen.
Ich bin stark und sie sind schwach.
So unsagbar schwach.

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Don't save me 'cause I don't care
FanfictionWas tust du, wenn du keinen Grund mehr hast zu bleiben? Wenn dich jeden Tag aufs neue die Hölle erwartet und das einzige, was dich noch in dieser Welt hält, die Hoffnung auf bessere Zeiten ist? Bleibst du und kämpfst, oder gibst du einfach auf? (Cas...