Serena POV
Schlaftrunken ging ich zum Frühstück, Lead trottete mir motiviert hinterher. Ich hatte Teds T-Shirt an der Hüfte geknotet, sodass es nicht sofort zu erkennen war, dass das mein Schlafanzug war. Es war neun Uhr morgens, eine Uhrzeit, zu der ich normalerweise quietschfidel war, doch der Abend gestern war anstrengend gewesen, und so fühlten sich meine Beine bleiern schwer an. An einem Tisch saß Yvy und winkte mich fröhlich zu sich. Ich setzte mich ihr gegenüber. Lead rollte sich unter dem Tisch zusammen.
„Ist der Morgen nicht toll? Die Sonne scheint, ich möchte am liebsten einen Spaziergang machen, du nicht auch?" Nein, eigentlich würde ich gerne erst einmal zwei Stunden lang ein Schaumbad nehmen. Ich hatte bisher nicht einmal gemerkt, dass die Sonne schien, da ich meinen Vorhang gar nicht erst geöffnet hatte.
„Mmh, ja, ganz toll.", nuschelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart. Yvy strahlte mich an.
„Wo ist eigentlich...", ich versuchte mich krampfhaft an den Namen ihres Verlobten zu erinnern, doch er fiel mir nicht mehr ein.
„Tan ist noch unter der Dusche. Er müsste jeden Moment kommen."
Ich nickte abwesend. Ted kam zu unserem Tisch, brachte uns eine Kanne Kaffee, Lead eine Schüssel mit Wasser, kraulte sie und ging wieder. Natürlich nicht, ohne mir noch ein Grinsen zuzuwerfen. Ich schenkte mir eine Tasse ein und nippte daran. Der Kaffee war schwarz mit Zucker, genau wie ich ihn am liebsten mochte.
„Wie war eigentlich deine Nacht mit Ted?", fragte Yvy aus heiterem Himmel in einem verschwörerischem Tonfall. Ich hätte beinahe meinen Kaffee wieder ausgespuckt.
„Bitte was?", fragte ich entgeistert.
„Ach komm schon, das sieht doch jeder. Gestern kommst du mir in ein Handtuch gewickelt entgegen, offensichtlich auf dem Weg zu ihm, und heute morgen sitzt du mir mit vollkommen verwuschelten Haaren gegenüber und trägst ein Männershirt, das, jede Wette, von ihm kommt. Zudem sind seine Haare genauso zerwühlt wie deine, was aber nichts heißen muss. Die sahen nämlich auch schon so aus, bevor du hier angekommen bist."
„Wir haben nicht miteinander geschlafen, wenn du das meinst." Natürlich meinte sie das. Ich war ja nicht blöd. Sie warf mir einen wissenden Blick zu und wollte schon zu einer weiteren Analyse ansetzen, da warf ich einfach spontan dazwischen: „Was genau macht ihr eigentlich hier?"
„Das war ja wohl der billigste Themenwechsel, den ich jemals gehört habe. Aber gut, wenn du mir nichts von deiner heißen Nacht mit Ted erzählen willst... Tan hat hier ein paar Meetings, also gönne ich mir einfach ein paar freie Tage. Außerdem treffen wir morgen seine Familie, wegen der Verlobung, du weißt schon. Ich denke, ich werde mich gut mit denen verstehen. Also ich hoffe es. Aber wenn sie so toll sind wie Tan, dann sehe ich da kein Problem. Was machst du eigentlich heute früh?" Ich war kurz überwältigt von dem Wortschwall, dann antwortete ich: „Ich muss zu meinem Auto, weil meine Sachen noch da drin sind, ich hab nämlich nichts mehr zum Anziehen. Und du?"
„Ich muss zum Friseur. Kommst du mit? Wie wäre es, wenn wir zuerst zu deinem Auto spatzieren und dann zu einem Friseur fahren? Ich kann dir auch für heute morgen ein paar Klamotten leihen, wenn du brauchst." Überrascht, weil wir uns ja quasi gar nicht kannten, zögerte ich kurz. Normalerweise unternahm ich mit Leuten nichts, wenn ich sie erst so kurz kannte, doch ich mochte Yvy, und so sagte ich zu. Meine Haare mussten ohnehin wieder einmal geschnitten werden.
„Klar, können wir machen. Und ja, ich bräuchte etwas zum Anziehen, also das wäre echt lieb von dir.", antwortete ich. Hinter ihr sah ich, wie Tan den Raum betrat.
„Kein Problem, ich hab genug Klamotten dabei. Ich nehme immer viel zu viel mit."
Tan küsste seine Verlobte auf den Mund und setzte sich neben sie. Sofort kam ich mir fehl am Platz vor. Daher stand ich auf, ging zum Buffet und holte mir einen Croissant, obgleich ich gar keinen Hunger hatte. Als ich zurückkam setzte Yvy gerade Tan über ihre Planung für diesen Morgen in Kenntnis.
„Ich gehe mit Serena zum Friseur, und davor holen wir noch ihr Auto ab, das sie irgendwo hat stehen lassen.", erzählte sie.
„Wann seid ihr dann fertig?", fragte er. Yvy warf einen Blick auf ihre Uhr.
„Um eins, denke ich, sind wir wieder da.", schätzte sie.
„Da habe ich auch Mittagspause. Dann führe ich dich in ein Restaurant aus.", legte er fest.
„Okay", meinte Yvy begeistert und gab ihm lächelnd einen langen Kuss. Ich starrte meinen Croissant an. Verglichen mit der Alternative war er ein wirklich schöner Anblick. Braun gebrannt, knusprig, und dennoch hatte ich noch immer keinen Hunger. Ich biss hinein, kaute eine halbe Ewigkeit, und schluckte dann. Das war meine Beschäftigung, während Yvy und Tan fröhlich miteinander frühstückten. Als Tan kurz beim Buffet war, um sich etwas zu trinken zu holen sprach Yvy mich erneut an: „Du kannst auch schon gehen wenn du willst, du musst nicht warten bis wir fertig gegessen haben." Ich war erleichtert, dass sie das zu mir sagte und verabredete mich mit ihr auf zwanzig Minuten später. Tan, der gerade mit einem Teebecher voll Limonade vom Buffet zurückkam, nickte ich kurz zu und ging dann zu der Tür, die die Aufschrift „Küche" trug. Dort klopfte ich. Minuten später stand ich einer missmutig gelaunten Magdalena gegenüber.
„Wo ist Ted?", fragte ich sie laut und langsam, damit sie mich auch auf jeden Fall verstand.
„Ted!", schrie sie, wie auch am Vorabend, laut in die Küche, und knallte dann die Tür vor meiner Nase zu.
Wenig später öffnete sie sich wieder und ein grinsender Ted sah mich an.
„Hast du Sehnsucht nach mir?"
„Natürlich, wir haben uns ja auch schon eine Viertelstunde lang nicht mehr gesehen", meinte ich trocken. „Kannst du mir die Nummer oder die Adresse von dem Typen geben, der mich hier hergeschickt hat?"
Er sah mich überrascht an. „Hat er dir die nicht gegeben?"
„Dann würde ich dich jetzt nicht danach fragen, oder?", sagte ich genervt.
„Naja, vermutlich wart ihr anderweitig beschäftigt.", mutmaßte er und begann, die Nummer auf seinem Handy zu suchen. Er zückte den Notizblock, den er normalerweise nutzte, um Bestellungen aufzunehmen und schrieb zuerst die Nummer seines Freundes darauf, dann zog er einen langen Strich darunter und schrieb dann seine eigene darunter. Er zwinkerte mir zu.
„Falls dich wieder einmal die Sehnsucht nach mir befällt."
Ich verdrehte die Augen, wieder einmal, dankte ihm, und ging.
POV Manuel
Ich wurde unsanft vom Klingeln meines Handys geweckt. Es war gerade einmal halb zehn, darum fragte ich mich, wer so früh bei mir anrief. Meine Familie traute sich das schon lange nicht mehr, zumal meine Brüder ohnehin einen ähnlichen Schlafrhytmus wie ich hatten, und auch meine Freunde wussten, dass sie sich damit nicht gerade bei mir beliebt machten. Ich stolperte zu meinem Schreibtisch und nahm mein Handy, das neben meiner Maus lag, an mich. Ich kannte die Nummer auf dem Display nicht.
„Hm?", meldete ich mich.
„Ja hi, hier ist Serena, du weißt schon, die Frau, die du gestern im Regen gerettet hast, wenn du dich noch erinnerst." Selbstverständlich erinnerte ich mich. Die Halsschmerzen, die ich mir dabei zugezogen hatte, ließen mir ja keine andere Wahl. Mein erster Impuls war es, direkt aufzulegen, doch ich wollte nicht so unfreundlich sein, zumal sie dann vermutlich nochmal anrufen würde.
„Hm.", meinte ich daher nur. Ich hatte heute meinen kreativen Tag, was meine Antworten anging.
„Also ich wollte erstmal ganz herzlich bedanken, das war echt nett von dir.", ertönte nun ihre motivierte Stimme vom anderen Ende der Leitung.
„Kein Ding", antwortete ich, denn ich hatte gerade keine Lust, mit ihr zu sprechen und wollte daher das Telefonat möglichst schnell hinter mich bringen. Mein Bett rief nach mir.
„Tja, ich habe jetzt leider deine Jacke noch. Tut mir Leid, ich hab das gestern gar nicht gemerkt..." Ich hatte es gemerkt. Mein Hals auch. Jedoch leider erst auf der Hälfte meines Heimwegs.
„...jedenfalls dachte ich, wir könnten uns vielleicht heute Mittag mal treffen, dann kann ich dir deine Jacke zurückgeben?", fragte sie nun. Ich hatte keine Lust, mich nochmal mit ihr zu treffen, schließlich hatte ich schon genug Zeit mit ihr verschwendet, aber ich wollte meine Jacke zurückhaben. Kurz ging ich in Gedanken die Videos durch, die heute online kommen würden. Alle waren schon vorproduziert, geschnitten und bereits hochgeladen. Später würden sie dann veröffentlicht. Am Abend hatte ich mich mit Taddl verabredet, um gemeinsam aufzunehmen. Doch davor hatte ich eigentlich Zeit.
„Okay. Wann?"
„Um halb zwei vielleicht? Und wo?"
„Im Caspella.", antwortete ich. Dann gab es immerhin gutes Essen. Vielleicht war das Treffen dann erträglicher.
„Gut, bis dann. Ich freue mich!", ertönte nun wieder Serenas Stimme.
„Ja, ich mich auch", log ich und legte auf. Ich speicherte mir die Nummer unter dem Namen „Nervensäge Serena" ein und stellte mir einen Wecker auf halb Eins, damit ich nicht am Ende das Treffen verschlief. In der Dunkelheit tastete ich mich zurück zu meinem Bett. Ich ließ mich auf die weiche Matratze fallen und schloss die Augen.
POV Serena
Ich betrachtete mich missmutig im Spiegel. Wie konnte man den ganzen Tag herumlaufen? Die enge, helle Blue Jeans war ja noch ganz in Ordnung und auch mit dem weißen Trenchcoat konnte ich mich mit viel gutem Zureden anfreunden, doch eine rosa Bluse mit Fledermausärmeln und einem weißen Gürtel ging wirklich absolut nicht. Ich zupfte ein wenig daran herum und drehte mich zu Yvy um, um ihr meine Entgeisterung schonend beizubringen, als sie auch schon begeistert losredete.
„Du siehst supertoll aus. Jetzt schminke ich dich noch schnell, dann brauchst du noch einen passenden Schmuck und dann bist du ausgehfertig."
„Also eigentlich brauche ich das nicht unbedingt..."
„Keine Diskussion. Augen zu."
„Findest du das nicht ein wenig unnötig, immerhin gehen wir nur zum Friseur.", versuchte ich sie umzustimmen.
„Wer weiß, vielleicht begegnen wir ja unserer wahren Liebe.", meinte sie.
„Ich denke, du bist mit Tan verlobt?"
„Egal. Das heißt nicht, dass du nicht gut aussehen darfst."
Die folgenden zehn Minuten verbrachte ich damit, auf Befehle wie „Zur Decke schauen. Augen zu. Augen auf. Nicht in den Spiegel schauen, das ist eine Überraschung. Lippen spitzen. Mund auf. Lächeln. Stillhalten. Hör gefälligst auf, zu schielen!" zu hören. Als Styleberaterin war Yvy zwar eine Katastrophe, doch als Make-Up Artistin machte sie etwas her. Sie hatte mir recht hell gehaltene Smokey Eyes geschminkt und meine Augen dezent schwarz umrandet. Ebenfalls das war normalerweise nicht mein Stil, doch es gefiel mir. Auf die rosa Lippen hätte ich gut verzichten können, doch ich hoffte einfach, dass sich der Lipgloss schnell ablösen würde. Yvy kramte währenddessen eifrig in ihrer Schminktasche und hielt mir schließlich ein Paar weiße Federohrringe hin. Weil ich ihr durchaus dankbar war zog ich sie an. Wenn ich mich schon mit meinem Outfit zum Affen machte würden diese Ohrringe jetzt auch nichts mehr ändern. Bevor sie irgendetwas dagegen sagen konnte schlüpfte ich in meine weißen Chucks und verkündete, dass wir loskonnten. Schnell stopfte ich meinen Geldbeutel und Schlüssel, sowie Leads Hundeleine in meine Tasche.
„Wie haben du und Tanaka sich eigentlich kennen gelernt?", fragte ich Yvy, als wir uns auf den Weg zu meinem Auto machten. Lead hielt anscheinend die vielen Straßenlaternen für wichtiger als meinen Koffer und daher mussten wir ständig stehen bleiben.
„Das war im Flugzeug, ich glaube wir sind nach Frankreich geflogen. Jedenfalls hatte er dort etwas geschäftliches zu erledigen und ich wollte meine Familie besuchen. Wir kamen ins Gespräch, er hat mir von seiner Arbeit erzählt. Tja, in Frankreich hat er mich dann ein paar Male zum Essen ausgeführt und dann bin ich zurückgeflogen. Ich dachte eigentlich, ich würde ihn nie wieder sehen, doch er hat sich wohl von irgendwo meine Adresse besorgt, denn einige Wochen später stand er plötzlich vor meiner Haustür und hat mir einen Antrag gemacht, einfach so." Sie lächelte. „Und ich habe Ja gesagt." Ich runzelte die Stirn. War das nicht ein wenig überstürtzt? Oder war ich gerade einfach nur voreingenommen, weil ich noch nie in einer solchen Situation gewesen war?
„Oh wie süß!", sagte ich mit künstlicher Begeisterung.
„Ja, nicht wahr? Wie steht das eigentlich bei dir mit der Herrenwelt? Irgendwelche heimlichen Verehrer?" Ich hatte das Gefühl, sie spielte auf jemand bestimmtes an.
„Nicht wirklich.", antwortete ich.
„Ted?", fragte sie. Ich wusste es! An Leads Leine ziehend lachte ich.
„Nein, ehrlich. Da läuft nichts."
Sie begnügte sich damit, mir einen wissenden Blick zuzuwerfen.
Unseren restlichen Weg über unterhielten wir uns über Yvys unglückliche Vergangenheit bezüglich Männern und ich begann zu verstehen, warum sie sich so schnell in Tanakas Arme geworfen hatte. Ich sprach sie jedoch nicht darauf an, denn dafür kannten wir uns viel zu kurz und es ging mich eigentlich auch nichts an.
Ich war erleichtert, als wir bei meinem hellblauen Auto ankamen, denn ich hatte bereits nicht mehr damit gerechnet, es jemals wieder zu finden.
„Schicker Wagen", meinte Yvy, als sie auf den Beifahrersitz stieg. Ich schloss den Kofferraumdeckel vorsichtig über Lead.
„Danke", sagte ich, als ich mich neben ihr niederließ und den Wagen anließ. Ich gab ihr mein Handy.
„Suchst du uns einen Friseur heraus und sagst mir dann, wo ich lang fahren muss?"
„Okay", antwortete sie und öffnete Google. Sie fand einen hübschen kleinen Friseursalon im Inneren der Stadt, rief dort an, um uns einen kurzfristigen Termin einzuräumen und leitete mich dort hin. Anscheinend war sie keine solche Niete im Kartenlesen wie ich, denn wir fanden ihn auf Anhieb.
Der Duft nach Haarspray und Shampoo empfing uns, als wir durch die Tür traten. Ich liebte diesen Geruch und fühlte, wie ich mich merklich entspannte. Wir wurden von einer Frau empfangen, die uns freundlich zu zwei nebeneinander liegenden Frisierstühlen führte. Lead rollte sich zu meinen Füßen zusammen. Kurz darauf tauchte hinter Yvy eine etwa dreißigjährige Frau mit schwarz-pinken Haaren und vielen Piercings auf. Nicht gerade der Typ Mensch, dem ich das Schicksal meiner Haare anvertrauen wollte. Iyv hingegen lächelte sie fröhlich an.
„Ich lerne morgen die Familie meines Verlobten kennen, deswegen muss ich perfekt aussehen.", quasselte sie sofort los. Wieder einmal bewunderte ich, wie offen sie mit anderen Leuten umging. Yvy ordnete die Frau, auf deren Namensschild der Name Lotti stand, an, ihre schwarzen Haare neu zu stufen, ihr einen schrägen Pony zu scheiden, und ihr anschließend rotbraune Strähnen zu färben.
Erst als hinter mir ein schlaksiger schwarzhaariger Mann auftauchte fiel mir ein, dass ich gar nicht wusste, was genau ich eigentlich für eine Frisur haben wollte. Ich sah mich im Spiegel an. Die leicht welligen Haare fielen mir bis über die Brust und der Spliss war auf meterweite Entfernung zu erkennen. Der Mann nahm eine Bürste vom kleinen Frisiertisch und fing an meine Haare zu bürsten.
„So, was haben wir vor?", meinte er freundlich.
„Tja, ich bin mir nicht ganz sicher", druckste ich herum.
„Überlegs dir, ich wasche sowieso erstmal deine Haare.", antwortete er. Anscheinend erlebte er so etwas wie mich nicht selten. Ich legte meinen Kopf zurück und er begann, die Haare mit lauwarmen Wasser auszuspülen. Mit geschlossenen Augen überlegte ich fieberhaft, was ich für eine Frisur wollte. Ich könnte mir ein Pony schneiden lassen, doch das hatte das letzte Mal furchtbar ausgesehen. Blonde Strähnen hatte ich lange nicht mehr gehabt. Kurz ließ ich meinen Zeitplan für heute vor meinem inneren Auge vorbeigleiten und beschloss, dass ich genug Zeit hatte, um zu blondieren. Als mein Friseur mich erneut fragte, was ich denn nun für eine Frisur wollte, antwortete ich spontan: „Ich lasse mich überraschen. Nur keine Kurzhaarfrisur." Er lächelte mich an, als hätte er auf eine solche Antwort gehofft, und machte sich ans Werk. Den Spiegel drehte er um, denn er meinte, sonst sei es ja keine Überraschung mehr.
Wenig später saß ich mit silbernen Folien im Haar da und sah zu, wie Lotti Yvys Frisur grundlegend änderte. Vor lauter Konzentration kaute sie auf ihrem Lippenpiercing herum, was ich mehr als abstoßend fand. Dennoch schien sie ihr Handwerk zu verstehen, denn Yvys Frisur sah bisher wirklich hübsch aus, auch wenn sie trocken geföhnt vermutlich vollkommen anders wirken würde.
Als mein Friseur wieder einmal vorbeikam, um zu sehen ob bei mir so weit alles in Ordnung war fiel mein Blick auf sein Namensschild. Manuel, stand dort geschrieben. Konnte es sein, dass er das war? Stand er gerade direkt vor meiner Nase? Die Haarfarbe passte, das Alter ebenso. Seine Augen waren eher blau als grün, das konnte allerdings auch am Licht liegen. Mit großen Augen sah ich ihn an.
„GermanLet'sPlay. Wow, ich hätte nicht gedacht, dass ich dich so schnell treffen würde, ich meine, deswegen bin ich hier, um dich zu treffen, aber...wow! Erinnerst du dich noch? Ich bin Serena, ich habe dich angeschrieben, das Mädchen mit dem kranken Bruder, du erinnerst dich doch..." Ich brach ab, als ich den mehr als verwirrten Ausdruck in seinem Gesicht sah.
„Du bist doch GermanLet'sPlay?", fragte ich nun deutlich leiser und mit verunsichertem Tonfall, denn scheinbar hatte ich bei meinem euphorischen Ausbruch gerade ein wenig zu laut gesprochen. Anders konnte ich mir jedenfalls nicht erklären, warum sich alle Leute den Hals hinter ihren Frisierspiegeln verrenken, um zu sehen, wer hier gerade meinte, seinen Enthusiasmus durch den gesamten Laden rufen zu müssen. Besonders Yvy sah mich mit einem interessierten Gesichtsausdruck an und musste sich scheinbar ein Kichern unterdrücken. Sie tarnte es schließlich als Husten, als der arme Manuel vollkommen überrumpelt antwortete: „Bitte wer soll ich sein? Hä? Wovon redest du? Sollte ich dich kennen?"
Es dauerte keine zwei Sekunden, bis meine Gesichtsfarbe von einem zarten Rosa über ein krankhaft blasses Gelb zu einem Tiefrot wechselte. Jedes Chamäleon wäre neidisch gewesen, wenn es dieses Kunststück gesehen hätte.
„Ähm, ich dachte", setzte ich an, „du wärst jemand anderes." Ob sich der Boden wohl gnädigerweise auftun würde, wenn ich ihm Sesam öffne dich zuschrie? Plötzlich konnte Yvy nicht mehr an sich halten und kicherte lauthals los. Ich war ihr dankbar, denn nun glotzten wenigstens ein paar Leute sie an und ließen von mir ab. Kein Wunder, denn sie hatte eine gackernde Lache, in die sich hin und wieder merkwürdige Grunzlaute einschlichen. Ich hätte sicherlich mitgelacht, hätte ich nicht noch immer flehend den Boden angesehen. Das helle Holz reagierte nicht auf mein Flehen.
Mit einem lang gezogenen „Okaaay" warf mir der Friseur noch einen verwirrten Blick zu und verschwand in einem anderen Teil des Salons.
Als Yvy sich wieder halbwegs gefangen hatte fragte sie mich neugierig und auch ein wenig spöttisch: „Was war das denn?" Die Friseuse hinter ihr tat, als sei sie vollkommen vertieft in ihr Handwerk, doch ich war mir sicher, dass sie die Antwort ebenso interessierte. Ich hingegen fand, dass es schon hart an der Grenze war, Yvy, die ich gerade einmal einen Tag kannte, meine Geschichte zu erzählen. Doch eine wildfremde Friseuse ging das schon einmal gar nichts an, weshalb ich auch einfach nur den Kopf schüttelte. Ein Blick von Yvy machte mir klar, dass sie alles später wissen wollen würde, doch ich ignorierte das geflissentlich. Wenig später kam Manuel zurück und erledigte den Rest, schnitt meine Haare und föhnte sie. Ich betrachtete währenddessen das Muster des Bodens. In Gedanken schmiss ich ihm ein 'Verräter' an den nicht vorhandenen Kopf. Ein cooler Stufenschnitt mit Blonden Strähnen war im Spiegel zu sehen, als ich zum ersten Mal wieder aufsah. Ich war mir nicht sicher, ob es mir gefiel, doch es war auf jeden Fall etwas absolut Neues.
Beim Bezahlen gab ich meinem Friseur ein ordentliches Trinkgeld und entschuldigte mich erneut. Er lächelte nur und meinte, das sei schon okay. Allerdings wartete er mit dieser Antwort, bis er das Geld in den Händen hielt. Ich glaube, ich war nie zuvor so schnell aus einem Friseursalon geflüchtet.
Yvy holte mich am Eingang ein, Lead im Schlepptau.
„Und jetzt erzähl mal, was war das?"
Ich seufzte.
Konnten das nicht einfach alle Beteiligten schnell vergessen?
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Nur ein Wunsch eines Sterbenden || GLP FF
FanfictionVoller Hoffnung darauf, den letzten Wunsch ihres Bruders zu erfüllen, fährt Serena nach Essen, um einen Mann zu finden, den sie noch nie gesehen hat - und auch sonst weiß keiner, wie er aussieht. Dennoch möchte sie alles darauf setzen, den anonymen...