My salvation

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Plötzlich fiel ein ohrenbetäubender Schuss, der mich erschrocken zusammenfahren ließ.

Geschockt sah ich den Bauern an. Diese Entschlossenheit in seinem Gesicht werde ich wohl niemals vergessen. Warum hatte er mich nicht erschossen? Ich an seiner Stelle hätte es sofort getan. Ach ja, stimmt. Er kann ja nicht sehen, dass ich anders bin. Gefährlich, ein Monster! Er sieht nur einen braun-goldenen Wolf. Eine Bedrohung für seine Schafe, kein Monster.

Ich warf noch einen letzten Blick auf den alten Bauern und das kahle Feld, bis ich mich umdrehte und mit entschlossenen Sätzen wieder in den Wald hineinlief.

Doch, gerade, als ich zum Sprung über einen halb-verrotteten Baumstumpf ansetzte, zog sich ein unheimlicher Schmerz durch meine Schultern den Rücken hinunter.

Ich hatte das Gefühl, als hätte mir jemand Stacheln durch die Haut gerammt, zog sie wieder raus und stößt sie wieder rein. Immer und immer wieder!

Sich schnell wie der Schmerz gekommen war, verschwand er auch wieder. Was sich für mich angefühlt hat wie Stunden, waren in Wirklichkeit nur wenige Sekunden.

Ich konnte gerade noch meine Flügel ausbreiten, bevor ich schmerzhaft auf dem Boden aufkam. Mist! Eigentlich sollte mir so etwas nicht mehr passieren. Na ja, wenn mein Körper einfach mal so beschloss, seine Gestalt zu wechseln, würde ich das auch ausnutzen. Von meinen vier Tiergestalten war mir der Bussard immer noch am liebsten! Der Wolf und die Maus sind zwar praktisch und das Reh ganz hübsch. Doch Fliegen, mit Flügeln. Als Mensch das unmögliche schaffen. Das würde für mich immer etwas besonderes bleiben.

Zumindest war ich einmal ein Mensch. Was genau ich jetzt bin, weiß ich nicht.

Das ganze hat an meinem 16. Geburtstag angefangen, also vor ungefähr zwei Jahren.

Mehr oder weniger: Keine Ahnung! Letztes Jahr habe ich noch die Tage gezählt, in der Hoffnung an meinem 17. Geburtstag nach Hause zurückkehren zu können, doch mittlerweile hat mich die Hoffnung längst verlassen. Der letzte Rest ist im Keim erstickt!

Es ist schrecklich weiterzuleben, wenn alle die, die du liebst glauben, du wärst tot. Und das auch noch ganz allein!

Erst kommt immer elende Trauer über den Verlust, dann Wut auf alle und jeden, dann Akzeptanz, diese Person nie wieder zu sehen. Und dann? Ka, dann kommt das Leben! Meine Eltern leben weiter, sie haben ja noch meine kleine Schwester Ann. Ihr wird jetzt all die Liebe gewidmet. Auch Ann lebt weiter, sie hat jetzt einen Freund, mit dem sie Tag und Nacht zusammen ist. Und meine eigener Freund? Der hat sich eine Woche, nachdem ich von der Bildfläche verschwand eine neue gesucht. Ob aus Ablenkung, oder Liebe: Ich weiß es nicht. Nur, dass ich danach gar nicht so traurig war, wie ich eigentlich sein sollte.

Auch wenn es wehtut meine Familie zu sehen und nicht mit ihnen reden zu können, ihnen zu sagen, dass ich da bin, immer da war, trugen mich meine Flügel von ganz allein zu dem alten Backsteingebäude.

Gekonnt legte ich meine Flügel an und flog im Sturzflug zu einem der vielen Rosenbüsche, vor einem Fenster. Den Schmerz ignorierend verwandelte ich mich kurz vor dem Boden in eine helle, braune Maus.

Schnell lief ich auf meinen kleinen Pfötchen zum Haus und verschwand in einem kleinen Loch, in der Hauswand.

Wäre ich eine echte Maus, würde ich auch nicht viel weiter kommen. Seit mein Vater mich einmal dabei erwischt hat, wie ich unter dem Sofa hervorlugte, stehen überall Fallen herum. Ich nahm es ihm nicht übel. Woher sollte er denn auch wissen, dass seine totgeglaubte Tochter hinter diesen mickrigen Gestalt verweilte?

Plötzlich hörte ich laute Stimmen über mir, wahrscheinlich aus meinem alten Zimmer. Ob es wohl noch genauso aussieht, wie ich es das letzte mal verlassen habe, oder ist es auch schon verändert worden? Zu gerne würde ich nachgucken, doch ich traute mich nicht.

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