Schrecken der Vergangenheit

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Harry kochte vor Wut. Er hasste es, von Snape gedemütigt zu werden. Und an diesem Tag hatte sich der Zaubertranklehrer selbst übertroffen. Gott sei dank war diese Stunde endlich vorbei. Hastig packte er seine Sachen und verließ kochend vor Wut das Klassenzimmer. Er war kurz davor, durchzudrehen. 
Dieses Gefühl verstärkte sich noch mehr, als Snape ihn, als er die Große Halle betreten wollte, mit voller Absicht anrempelte. Plötzlich fiel ihm auf, dass Snape bei dem Zusammenstoß etwas verloren hatte. Ein kleine Phiole rollte über den Boden. In ihrem Inhalt erkannte Harry die weder flüssige noch harte Substanz einer Erinnerung. Ein kleines Schild hing am Flaschenhals. Neugierig geworden hob der Gryffindor die Phiole auf und las das Schild.

Serenity

Harry verstand es nicht. Serenity war doch ein Name. Hatte Snape etwa eine Freundin? Er wog die Phiole in seiner Hand. Wie gern hätte er diese Erinnerungen angesehen. Und wenn er es einfach tun würde? Hermine hatte sich ein Taschendenkarium von Professor McGonagall ausgeliehen. Sicher, es war für ein Schulprojekt und sie würde es schon Morgen zurückgeben müssen, doch es war doch immer noch Zeit. Ihm war klar, dass Hermine es niemals zulassen würde, wenn sie erführe, wessen Erinnerungen er da in seiner Hand hielt. Doch sie musste es ja nicht erfahren. 

"Hermine, kann ich mir kurz ein paar Erinnerungen ansehen?", fragte er seine Freundin, als sie in der Pause auf den Ländereien standen. Sie kniff die Augen zusammen. "Wieso?"
"Nur so. Ich will sie nur kurz ansehen, mehr nicht."
"Was sind das für Erinnerungen?"
"Ich weiß es nicht. Ich habe die Viole auf dem Gang gefunden."
"Dann solltest du sie auch nicht ansehen. Sie gehören nicht dir."
"Ja, schon, aber ich muss doch rausfinden wem sie gehören."
"Und wie willst du demjenigen dann erklären, dass du weißt, dass es seine sind?" 
"Bitte Hermine."
"Nein." Sie drehte sich um und ging davon. Ron, der Aufmerksam zugehört hatte, griff sich während ihres Abgangs das Taschendenkarium. Hermine merkte es nicht. Der Weasley stellte es auf einem Stein ab. "Schau's dir an, Harry, ich steh Schmiere." Er zwinkerte ihm zu. "Danke Ron", sagte Harry lächelnd.
"Aber sag mir, wenns interessant is!"
"Versprochen." Harry schüttete die Erinnerungen in das Denkarium und tauchte dann seinen Kopf ein. Zuerst war alles verschwommen, dann nahm die Umgebung langsam Gestalt an.

"Wo bleibst du denn Severus? Lauf mal schneller, du lahme Schnecke!"
"Du hast gut reden! Wer trägt denn das ganze Gepäck?"
"Das ist eine magische Tasche, Sev. Das heißt, dass sie nicht schwer ist!"
"Das ist mir auch bewusst!"
Zwei Jugendliche rannten einen Waldweg entlang. Es waren ein Mädchen und ein Junge, die sich sehr ähnlich sahen. Sie hatten beide schulterlanges schwarzes Haar, wobei das des Mädchens etwas länger war, und sie hatten auch beide tiefschwarze Augen. Die Haut des Mädchens war etwas dunkler als die des Jungen, und sie hatte unzählige Sommersprossen. Der Junge hingegen war sehr blass. Auch wirkte er in Gegensatz zu dem Mädchen etwas verkrampft und sein Blick war hart und leidgeprüft. Die Augen des Mädchens hingegen waren warm und ihr Lächeln strahlte. Sie war sehr hübsch. Im Gegensatz zu dem Jungen, dessen gesammte Kleidung schwarz war, trug sie ein rotes T-Shirt und einen gelben Rock. Doch trotz all dieser kleinen Unterschiede war klar, dass die beiden Geschwister waren. Und der Junge war offensichtlich Snape im Teenageralter.
Als sie auf der Spitze des Hügels ankamen drehte sich das Mädchen zu ihrem langsammeren Bruder um. "Wie wäre es hier?" Snape nickte. "Mir ist alles recht, wenn ich nur nicht mehr rennen muss." Er warf die Tasche auf den Boden.
"Sport ist gesund, Severus." Sie grinste.
"Natürlich, vor allem, wenn man zehn Minuten in voller Geschwindigkeit durch den Wald rennt und von Zweigen zerkratzt wird, nur weil man versucht, seine dumme Zwillingsschwester einzuholen." 
"Hey!" Das Mädchen knuffte ihren Bruder in die Seite. Snape schlug zurück. "Lass das Serenity!" Doch sie holte schon wieder aus. Diesmal jedoch, war Snape schneller und duckte sich unter ihrer Faust weg. Er hob die Tasche auf und öffnete sie. "Hilf mir mal", brummte er und zog ungeschickt ein bereits aufgebautes Zelt heraus. Serenity griff lächelnd nach einem Zeltende. Die Zwillinge setzten das Zelt schließlich ohne größere Zwischenfälle auf die Erde. Mit Magie hieben sie schnell die Verankerung in die Erde. 
"Man hat einen tollen Blick auf den See", meinte Serenity.
"Logisch, er liegt ja auch genau unter diesem Berg."
"Wollen wir schwimmen gehen?"
"Nein."
"Ach komm schon."
"Ich habe nein gesagt!"
"Langweiler."
"Ich frage mich langsam, wieso ich zugesagt habe, mit dir zu zelten."
"Das weißt du genau." Ihr Blick wurde auf einen Schlag ernst. "Lass uns die Zeit genießen."
"Du hast recht." Snape wirkte beschämt. "Aber ich will trotzdem nicht schwimmen gehen."
"Schon okay."
"Ehrlich?"
"Ja. Ich kenne dich doch, Sev ... erus." 
"Du musst keine Rücksicht nehmen. Ich bin nun mal ein Idiot."
"Das ist nicht wahr."
"Du warst nicht dabei, Sera."
"Das wird schon wieder." Sie klopfte ihm auf die Schulter.
"Nein, wird es nicht. Sie wird mich auf ewig hassen."
"Unsinn. Ihr seid doch so gute Freunde."
"Wir WAREN gute Freunde." Er lies den Kopf hängen.
"Hey", sagte Serenity sanft, "Kopf hoch Sev." Sie strich ihm durch die Haare.
"Lass das", murrte Snape.
"Du hast dich echt verändert. Wo ist der heulende kleine Junge, den ich immer trösten musste?"
"Ich bin sechzehn, keine sechs!"
"Oh, so wie ich mich daran erinnere, hast du dich auch noch mit fünfzehn bei mir ausgeheult."
"Blah, blah, blah." Snape verdrehte die Augen. "Ich muss mir von einer Hufflepuff nichts sagen lassen!" Das Lächeln verschwand aus Serenitys Gesicht und machte aufgestauter Wut Platz. "Du bist genau wie Mum und Dad!", schrie sie und rannte davon. 
"Sera, warte!", rief Snape verzweifelt und rannte ihr hinterher. "Es tut mir leid!" Sie blieb stehen und drehte sich zu ihrem Bruder um. "Ach ja?! Glaubst du, ich krieg nicht mit, wie du mit deinen Slytherin-Freunden über Hufflepuffs ablästerst?!"
"Aber doch nicht über dich!"
"Aber ich bin eine Hufflepuff. Der Hut hat mich in dieses Haus gesteckt, tut mir leid. Ich wäre auch lieber in Slytherin."
"Nein. Bitte wünsch dir das nicht. Du bist viel zu gut für dieses Haus. Du bist nett, hilfsbereit, fürsorglich und lebensfroh. So jemand gehört nicht nach Slytherin. Du bist viel besser als ich." 
"Wir sind gleich, Severus, schon vergessen? Wir sind Spiegelbilder."
"Das haben wir früher immer gesagt, aber du vergisst, dass der Spiegel alles andersherum zeigt. Du bist mein Gegenteil."
"Meinst du echt?"
"Du bist so wunderschön." Er strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. "Und dann schau mich an."
"Du bist auch wunderschön, Severus. Sag so etwas nicht." Sie drückte ihn an sich. Er legte seine Arme ebenfalls um sie. 
"Severus, es tut mir leid, dass ich dich mit Mum und Dad verglichen habe. Wir sind ja schließlich hier, um mal nicht an sie zu denken."
"Du musst dich doch nicht bei mir entschuldigen. Ich bin hier der Idiot."
"Ich bin deine große Schwester, ich muss das ertragen", grinste sie.
"Die paar Minuten", stöhnte Snape.

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