Kapitel 3

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Die junge Frau stand vor dem großen, grauen Grabstein, der mit allerlei Blumen bestückt war. Langsam griff sie an die Maske mit den schwarzen Augenhöhlen und dem lächelnden, schwarzen, weiblichen Mund und schob sie ein wenig zur Seite, sodass ein trübes, grünes Auge zum Vorschein kam.
„Es tut mir so leid... Mutter... Vater... Aber ich habe es noch nicht geschafft, euch zu rächen.", hauchte sie und legte einen weiteren Blumenstrauß, welcher bis jetzt noch in ihrem Arm geruht hatte, vor das Grab.
„Ich, Jane the Killer werde ihm schon noch das hässliche Grinsen austreiben!"
Mit einem Seufzen ließ sie ihren Blick zu dem entfernten Krankenhaus schweifen, aus dem sie damals floh. Schnell schüttelte sie die Erinnerungen ab und ging dann etwas weiter die Reihe der Grabsteine ab.
Dort waren die Gräber der Familie Woods, welche um einiges ungepflegter und leerer am Rand des Friedhofes lagen. Jeff scheint sich kein bisschen um sie zu scheren., dachte Jane wütend und ballte ihre Hände zu Fäusten. Sie starrte auf Lius Grab, der ältere Bruder der Familie. Er hatte sich für Jeff geopfert, hatte seinen Bruder geliebt und das war der Dank!
Jane kniff die Augen zusammen, bückte sich, riss ein paar Löwenzähne und Gänseblumen aus der Erde und verteilte sie gleichmäßig auf den drei Gräbern. Dann sah sie in den Himmel, welcher sich bereits so orange wie der gleichnamige Saft gefärbt hatte und mit der Zeit einen fast blutroten Schimmer bekam. Die Mörderin drehte sich um und wollte gerade den Friedhof verlassen, da spürte sie plötzlich etwas, was sich wie eine Hand anfühlte auf ihrer Schulter.
Mit klopfenden Herzen drehte sie sich um, nur um in warme, grüne Augen zu starren. Außer diesen Augen war alles an der Gestalt leicht durchscheinend. Braune Haare, die ihm ins Gesicht hingen, welches von schrecklichen Narben verziert wurde und der lange, schwarz-weiß gestreifte Schal.
„Liu.", stellte Jane mit ruhiger Stimme fest, obwohl sie innerlich noch recht aufgewühlt war.
„Hallo, Jane." Seine Stimme klang noch immer so warm, wie in früheren Zeiten. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. „Ich hoffe du wolltest nicht nur deine, sondern auch mich und meine Eltern rächen."
„Ich-"
„Ist schon gut. Sag mir doch lieber, wie es dir so geht."
Jane schob ihre Maske nun ganz beiseite. „Wenn man davon absieht, dass ich alles verloren habe und denjenigen, der dafür verantwortlich ist, immer noch nicht gefasst habe, gut."
„Ich kann dir helfen."
„Was?"
„Ich möchte auch meine Eltern rächen."
„Und dich selbst?"
Liu sah kurz traurig auf den Boden und meinte dann knapp: „Das ist zweitrangig." Jane nickte nur knapp und gab ihm dann ein Zeichen, ihr zu folgen.
Sie führte den Geist in die Stadt, wo sie ihre Maske weiter in der Hand behielt und nicht aufsetzte. Das war unauffälliger.
In einer kleinen Gasse angekommen, ging sie eine kurze Treppe hinunter, die an einer Tür zu einer Art Keller endete. Jane drehte den Griff leicht, dann drückte sie stark gegen die Tür, welche sich im nächsten Moment öffnete.
Leichtes Kerzenlicht flackerte und erhellte den Raum ein wenig, welcher recht gemütlich mit einem alten Sessel, einem Tisch mit ein paar Stühlen und einem Bett eingerichtet war.
„Schön hier.", meinte Liu freundlich und sah sich weiter staunend um.
„Danke.", begann Jane und setzte sich auf ihr Bett.
Jeff ist nicht dumm. Er wird sich inzwischen Verstärkung gesucht haben. Wir müssen also taktisch vorgehen und entweder alle nacheinander aus dem Verkehr ziehen oder auf unsere Seite ziehen. Letzteres wäre praktischer, aber schwieriger. Wahrscheinlich hat Jeff aber auch noch mehr Feinde. Es gibt sicherlich mehrere Mörder, die noch eine Rechnung mit ihm offen haben. Wenn wir es schaffen, sie zu finden und uns mit ihnen zu verbünden, haben wir noch eine höhere Chance, ihn zu vernichten.
„Jane?", wurde sie aus ihren Gedanken gerissen.
„Hm?"
„Hast du schon einen Plan, wie wir vorgehen?", fragte Liu, rückte sich einen Stuhl zurecht und setzte sich Jane gegenüber.
„Nun,", sie räusperte sich. „Wir sollten herausfinden, ob Jeffrey noch andere Feinde außer uns hat, was ich stark vermute. Wenn es wirklich niemanden gibt, mit dem wir uns verbünden könnten, gehen wir clever vor, bringen einen nach dem anderen um oder ziehen ihn auf unsere Seite, bis es nur noch Jeff und uns gibt. Weiteres sollte nicht schwierig sein. Er ist zwar stark, aber gegen zwei oder mehrere hat er unmöglich eine Chance.", erläuterte Jane und schaute Liu erwartungsvoll an. Er nickte langsam. „Das klingt gut. Wann starten wir die Operation?"
„Morgen. Oder übermorgen, ich bin noch nicht sicher.", murmelte Jane, während sie sich erhob, den Sessel und einen Stuhl zusammenschob, eine Decke darüberlegte und ein Kissen auf den Stuhl legte. „Tut mir leid. Das Bett ist sehr provesorisch.", entschuldigte sie sich knapp.
„Kein Problem!", lachte Liu. „Ich bin ein Geist. Ich spüre sowieso nichts."
Janes Blick wurde mit Mitleid gefüllt, weshalb sie schnell wegsah und sich ohne ein Wort in ihr Bett legte. Doch sie konnte noch nicht schlafen, denn normalerweise ging sie nicht sofort nach Sonnenuntergang ins Bett. Also dachte sie weiter über ihren Schlachtplan nach und hörte Liu dabei zu, wie sein Atem ruhiger und gleichmäßiger wurde. War es gut, dass sie ihn einfach bei sich wohnen ließ?
Ist er doch nur ein Spion Jeffs, dem sie jetzt ihre ganzen Pläne ausgeplaudert hatte?
Würde er sie vielleicht sogar im Schlaf umbringen und hatte nur so freundlich getan?
Nein, das könnte er nicht tun... Erstens lag ein Messer direkt unter Janes Kopfkissen und zweitens war er einfach nicht der Typ dafür. Das spürte sie irgendwo in sich.
Langsam schloss sie die Augen und gähnte leise, um in einen traumlosen Schlaf zu fallen.

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