Tränen aus Flammen

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Still und unbeweglich liegt sie da und starrt an die weiße Decke.

Ein lauter Knall und dann Flammen. Überall waren Flammen, es war heiß und alles leuchtete in einem unheilvollen Rot.
Und dann noch das Blut. Auch es war überall - auf den Sitzen, der Scheibe, auf ihren Händen,...

Langsam rinnt eine Träne ihre Wange hinunter. Dann noch eine. Und noch eine - immer schneller kommen die salzigen Tropfen aus ihrem schmerzenden Herzen.

Der Rauch bahnte sich zerstörerisch einen Weg in ihre Lungen; nach Luft ringend rüttelte sie an der Tür, ihre Augen panisch aufgerissen.
Ein stummer Schrei entwich ihren Mund und heiße Tränen traten aus ihren Augen, angetrieben von dem beißenden Rauch.

Sie schlägt sich die Hände vor das Gesicht und schreit laut, während Schluchzer ihren zusammengekrümmten Körper schütteln. Sie schreit und schreit, während sich ihr T-Shirt dunkel färbt von der Nässe.

Endlich schaffte sie es, ihre zitterten Hände zu beruhigen und ihren Überlebensinstinkt über die Panik siegen zu lassen. Sie drückte den Knopf an der Tür hinunter, aber ihre schweißnassen Hände rutschten an dem heißen Plastik ab. Panisch rieb sie sich die Hände an der Hose ab, während ihr immer heißer wurde.
Langsam spürte sie, wie ihre Augen herabsanken und drohten zuzufallen. Langsam schwand ihr Bewusstsein und es zeigten sich immer mehr schwarze Flecken in ihrem Sichtfeld.

Schreiend und heulend versucht sie, die schrecklichen Bilder aus ihrem Kopf zu verdrängen, aber es will ihr nicht gelingen. Sie ringt nach Luft, so heftig ist der Weinkrampf, der sie schüttelt.

Endlich spürte sie, wie der Widerstand unter ihren Fingern nachließ und der Knopf nach unten glitt. Hustend drückte sie die Tür auf und stolperte auf die Wiese. Sie fiel zu Boden und rang hustend und keuchend nach Luft.
Als sich ihre Lungen endlich wieder mit kaltem Sauerstoff füllten, richtete sie sich auf.
Der rote VW vor ihr war vollständig in Flammen aufgegangen und brannte lichterloh. Überall quollen Flammen heraus und es sprangen glühende Funken heraus. Sie war gerde noch entkommen.
Doch mit einem Schlag wurde sie sich der Situation bewusst.
Sie hatte es geschafft. Er nicht.
"Neeeeeeeeein", entwich ein gellender Schrei ihrer Kehle. Obwohl sie eigentlich noch nicht genügend Kraft dafür hatte, stand sie auf und rannte schwankend auf die Fahrerseite.
"Mooooo"
"Mooo! Wo bist du? Was ist mit dir, Schatz? Mo? Jetzt sag doch was!"
Natürlich, eigentlich war es sinnlos, hoffnungslos, aber sie hatte trotzdem noch einen Funken Hoffnung, der ihrem geschundenen Herzen neue Kraft gab.

Diese Hoffnung gibt es immer noch. Jeden Morgen wacht sie auf mit der Hoffnung, das dieser Unfall nur ein Traum war, dass ihr geliebter Mo noch lebt. Jeden Morgen ruft sie nach ihm und wenn ihr dann nur die Stille der leeren Wohnung antwortet, schlägt die Trauer wieder mit voller Wucht zu. Es war kein Traum und es wird auch nie einer sein.

Natürlich war dort kein Mo und es antwortete ihr auch nicht diese warme, samtene Stimme, die sie immer am meisten an ihm geliebt hatte.
Die Tränen hitzten ihr Gesicht wieder auf, während die Flammen am Auto langsam weniger wurden und nur noch die letzten Reste verkohlten.
Langsam sank sie zu Boden und vergrub ihr Gesicht in den Händen, unfähig noch weiter über die schrecklichen Dinge nachzudenken, die passiert waren.
Nach ein paar Minuten, die sie so saß, wurden Autofahrer auf sie aufmerksam, ein Krankenwagen und die Polizei wurden gerufen.
Sie sprach kein Wort, sie schaute nicht auf, in ihrem Kopf hatte nur ein einziger Gedanke Platz: Mo ist tot.

Noch immer schmerzt dieser Gedanke mehr als alles andere.
Nie wieder würde sie in seine wunderschönen blaugrauen Augen versinken, nie wieder mit den Fingern durch sein dunkelbraunes Haar fahren, dass er immer so stolz als schwarz bezeichnet hatte.
Nie wieder würde sie seine vollen Lippen küssen und nie wieder würde sie seine tolle Stimme hören.
Nie wieder würde ihr beim Anblick seines muskulösen Körpers die Luft wegbleiben oder sie mit ihm über dumme Kleinigkeiten streiten. Nie wieder würde sie danach mit ihm Lachen, darüber, was für eine Zeitverschwendung Streiten doch war.
Bei diesem Gedanken kommen neue Tränen, die ihr Gesicht benetzen, und sie fängt wieder an, kraftlos zu schluchzen. Denn Zeit würde sie mit ihm nie wieder haben, egal ob zum Streiten, Küssen oder Lachen.

Auf der Beerdigung eine Woche später konnte sie nicht weinen. Wie auch, wenn doch nur eine leere Holzkiste beerdigt wurde. Alle sprachen ihr Beileid aus und bemitleideten sie, doch sie alle kannten den leeren Schmerz in ihrem Herzen nicht. Dieses Loch, dass dort klaffte konnte niemand füllen und den Schmerz, der sie immernoch jeden Tag überrollt, kann ihr niemand nehmen.

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