Raus aus der Bonzengegend zu rennen, auf 'ner Straße in einem Vorort zusammenzubrechen und mit Schreien irgendwelche Vorbildfamilien, die wie Erdmännchen aus ihren Häusern spähen, aufzuwecken ist nicht sehr vorteilhaft... Einige gaffen an den Fensterscheiben, andere beschweren sich über den Lärm am frühen Morgen und die Überfürsorglichen kommen und fragen ob mit mir alles in Ordnung wäre. Das sind mir die Liebsten! „Sehe ich so aus?.." sage ich augenrollend und schlage die Hände der besorgten Mutter im Pyjama weg. Oh Gott, wie kann man in so etwas nur schlafen? Ich drehte meinen Kopf nur flüchtig um und sah die verdatterte Frau mir kurz nachsehen, bevor sie in eines dieser Bungalows zurückging.
Im Bus saß ich, mit dem Kopf an die Scheibe gelehnt, in der hintersten Ecke uns sah mir die verschwimmenden Bäume an. Ich hatte mit meinem letzten Kleingeld die Fahrkarte bezahlt und der Fahrer hatte mich einen kurzen Moment lang komisch von der Seite angesehen. War mir aber egal. Ich wollte nur nach Hause in mein frisch gemachtes Bett und mir dieses schreckliche Kleid ausziehen. Ich ertrug es nicht mehr. Dieser Abend war eine scheiß Erinnerung und am besten ist es, wenn alles was damit zu tun hat verschwindet. Dafür gibt's dann andere Sachen oder ich kaufe mir einfach Neue. Meine Eltern konnten mir auch das Internat bezahlen, da mache ich mir wenig Sorgen.
Es war so gegen 12 Uhr mittags als ich endlich zu Hause ankam. Ich ging durch den Garten, lief durch das weiche Gras unter meinen Füßen und nahm dann den Steinpfad zu unserem Haus, um nicht die säuberlich gehakten Beete kaputt zu machen. Als ich vor der Haustür stand und gerade dabei war, meinen Schlüssel heraus zu kramen, öffnete jemand die Tür und stieß fast mit mir zusammen. „Huch! Emily! Wo warst du, hatten wir nicht ausgemacht, du würdest sofort nach Hause kommen? Hast du etwa geraucht?!!" Empört sah mich meine Mutter an. „Geh sofort rein und zieh dir etwas Vernünftiges an." Ohne etwas zu sagen ging ich an ihr vorbei, schmiss meine Schuhe in irgendeine Ecke des Flurs und lief die Treppen hinauf zu meinem Zimmer.
Alles war ordentlich wie üblich. Als ich mein Kleid, oder was auch immer dieser Lappen sein sollte, auszog und auf den Lederhocker schmiss, der so im Weg herum stand, betrat ich meinen Kleiderschrank um mir etwas Bequemes herauszusuchen. Prompt gingen die Lichter an und ich konnte mich im Spiegel betrachten. Wie ich aussah... Meine Augen waren noch leicht gerötet, das komplette Makeup war verlaufen und meine Hand war ein bisschen blau und blutig. Ich hatte es noch nicht abgewaschen... Und meine Mutter hat diese stechende Rot-Lila-Mischung trotzdem nicht wahrgenommen. Sowie das Schwarz, dass sich um meine Augen herum ausgebreitet hatte. Ich strich mir mit den Fingern leicht über die Wangenknochen während ich mich weiterhin im Spiegel betrachtete. Die Person die ich sah musterte mich von oben bis unten. Sie sieht verwirrt aus. Hat sie Hunger? Sie ist so dünn. Ist sie allein? Nein... In diesem Haus befinden sich allein drei Haushilfen. Das Alleinsein ist also nur in ihrem Kopf? Nein. „Wieso..?" flüsterte das Spiegelbild. „Keiner hat sie lieb." Meldete sich eine Stimme, die sich nach einem Kind anhörte. „Das stimmt nicht!" schrie ich. Meine Augen fingen an zu brennen, etwas warmes flüssiges lief mir über mein Gesicht und auch über das meines Abbildes. Ich fing wieder an zu weinen. Immer heftiger. Ich hielt mir die Ohren zu und wippte hin und her, um dem Schall der Kinderstimme, die erneut auf mich eindrang, auszuweichen. Es hörte nicht auf. Dieses Kind, ein Mädchen, es lachte mich aus. Es tanzte in meinem Kopf herum. Im Kreis. Es lacht und kichert während ich hier kauere. Ich bekam keine Luft mehr. Panik stieg in mir auf. Wieso hörte dieses Mädchen nicht auf? Wer ist das? Als ich mich hektisch umsah und schrie und mir wieder die Ohren zuhielt, weil ich es nicht mehr ertrug, kam jemand und nahm mich mit. Das Mädchen rief nicht mehr. Alles war mit einem Mal still und das Spiegelbild sah mir stumm hinterher als ich rausgetragen wurde.
Es war leise. Ich spürte nur Körperwärme und blickte dem zurückgelegten Weg zur Küche nach, während mein Kopf auf der Schulter meines Vaters lag. Er setzte mich auf einen der Barhocker und umarmte mich ohne ein Wort. Sogar eine ganze Weile. Allmählich stoppte der warme Wasserfall und ich fühlte langsam wie verquollen meine Augen aussehen mussten. Ich hob die Hand soweit es mir möglich war, um mir die Tränen aus dem Auge zu wischen, als mein Vater meine Hand entdeckte. Er löste die Umarmung auf griff nach ihr um sie sich anzusehen. Ein Schauer durchlief mich und ich sog scharf die Luft ein. Sofort ließ er los, sah mich unbeholfen und entschuldigend an. Dann betrachtete er mich kurz und rief, über seine Schulter hinweg, während er aufstand „Consuela. Kommen Sie bitte her und besorgen auf dem Weg einen Verbandskasten." Dann wandte er sich noch kurz zu mir um und sagte „So und du bleibst hier, lässt dich von ihr versorgen Und danach ins Bett bringen. Du brauchst dringend Schlaf." bevor er ging. Wahrscheinlich arbeiten. Somit war ich schon wieder allein...
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Schwarze Weste
DiversosSchwarz wird manchmal zu Weiß und Weiß zu Schwarz. Wie es weitergeht ist nicht klar. Ein falscher/richtiger Schritt, ein falscher/ richtiger Mensch können alles auf den Kopf stellen und Gedanken aufwirbeln die den Verlauf ändern.