"Und das", Genna stieß die Tür auf, "ist Euer Zimmer."
Ich betrat Zimmer 209.
Mein künftiges Academyzimmer.
Es war klein - in unserem Schloss hatte nicht mal die Abstellkammer diese Größe - aber ich hatte ja auch nicht mit einem ganzen Saal als mein Zimmer gerechnet.
Und es war - ja, man konnte es als gemütlich und schlicht bezeichnen.
Schreibtisch, Bett, Regal, Couchtisch, Schrank.
Meine Koffer standen schon neben dem Bett bereit, Benny und Clyde hatten sie hochgebracht.
"Niedlich", sagte ich entzückt über den Raum.
"Ihr seid sicher größeres gewohnt", sagte Genna.
"Auch für dich gilt: Bitte rede mich normal an. Sag du und Aneeta zu mir, so wie du mit deinen Freunden sprichst. Wäre das möglich?"
Genna zögerte, nickte dann aber.
"Super. Das ist also mein zimmer. Können wir unsere Besichtigungstour fortsetzen?"
Genna sah aus, als müsste sie sich ein Lachen über meinen Sprachgebrauch verkneifen.
"Selbstverständlich, Aneeta."
Wir gingen weiter den Flur entlang. "Also, unser Internat ist ein Gebäude zur Ausbildung von Werwölfen. Hier wirst du in normalen Fächern wie Mathe und Deutsch, aber auch in übernatürlichen Fächern wie Nahverteidigung unterrichtet. Nach dem Mittag, sprich um eins, beginnst du mit deiner ersten Stunde, der Schultag endet vor dem Abendbrot um sechs. Am Wochenende gibt es Sonderregelungen, über die du noch informiert wirst.
Die Academy hat etwas um die 300 Schüler aus Rudeln vorrangig aus Groß Brittanien, aber auch Schüler anderer Nationalitäten sind hier unterwegs. Sie besteht aus einem waldigen Gelände von etwa 12 Hektar und drei Häusern - dem Unterrichtsgebäude, dem Wohngebäude, und das Gebäude für Mensa, Freizeit mit Sport- und Aufenthaltsräumen sowie dem Lehrertrakt. Wir sind hier gerade natürlich im Wohnheim.
Dort - Zimmer 222 - ist mein Zimmer."
Die entsprechende Tür öffnete sich gerade und eine dünne, ziemlich große Blondine mit dickrandiger Brille kam heraus.
"Cyn? Was tust du denn hier?", rief Genna quer durch den Flur.
Für so ein Geschrei hätte ich im Schloss einen Vortrag gehalten bekommen.
"Freistunde", antwortete Cyn genauso laut schreiend. Als sie mich entdeckte, erstarrte sie. Fragend sah sie zu Genna.
"Wer ist das?"
"Das ist Eure Hoheit, Aneeta Moon."
Cyn lachte. "Verarsch mich nicht."
"Wie bitte?", sagte ich entrüstet.
"Cynthia, ich verarsch dich nicht. Sie ist die Prinzessin."
Gennas ernster Ton ließ die Blondine aufhorchen. Sie kam näher.
"Wieso sollte die Prinzessin auf unsere Academy gehen?"
"Weil sie das immer gerne wollte", sagte ich schnippisch, genervt über die Art, wie sie über mich redete, obwohl ich daneben stand.
"Entschudigt, bitte."
"Wenn du bitte auch einwilligst, mich nur zu duzen und Aneeta zu nennen?"
Das Mädchen schaute mich überrascht an.
"Bitte", sagte ich erneut, "Im Schloss haben mich alle nur so steif und förmlich angeredet, jeder Besucher, jeder General, jeder Dienstbote, und über die Jahre lernt man es einfach nur hassen. Ich meine, ich muss sogar meine eigene Mutter bei öffentlichen formellen Auftritten mit Ihr ansprechen. Ich werde es, wenn ich meinen Posten als Königin annehme, nicht ändern können, aber ich sehe meine Zeit hier in der Academy als eine Auszeit, auch eine Auszeit von allem formellen Drang."
Cynthia nickte. "Das verstehe ich."
Ich lächelte dankbar.Cynthia und Genna zeigten mir anschließend die Mensa. Von der Reise hierher war ich so hungrig, dass die beiden mir sogar ein Stück Fleisch besorgten - ich verputzte es bis zum letzten Bissen, wie es einem Werwolf nur möglich ist.
Das war also die sogenannte Woolf-Academy - ein gewöhnliches englisches Internat mit dafür ungewöhnlichen Schülern, Werwölfen.
Schüler wurde jeder Werwolf, der seinen sechzehnten Geburtstag erreicht hatte. Dann wurde er hierher geschickt und dafür vorbereitet, irgendwann mal in ein richtiges Werwolfsrudel aufgenommen zu werden. Und hier würde sich auch jeder junge Werwolf in seiner zweijährigen Schulzeit verwandeln.
Ich merkte, dass ich auch aus diesem Muster rausfiel - ich war zwar neu, jedoch etwas älter wie sechszehn. In zwei Wochen würde ich siebzehn werden und ich war außerdem schon verwandelt, heißt, ich konnte mich schon längst in die andere Form, den Wolf, verwandeln.
Ich bekam etwas Schiss, dass ich während meiner Schulzeit nur wie eine Besucherin behandelt werden würde - umsorgt und bedient, weil ich eine Prinzessin war und weil ich dazu aus diesem Altersmuster raus fiel.
Aber ich würde das verhindern.Der letzte Raum, den die beiden Mädels mir zeigten, war von der riesigen Schule der Aufenthaltsraum.
Zumindest zeigten sie, wo er war, aber rein gehen durfte wohl noch niemand, weil es eine Überraschung von Genna werden sollte.
Als wir davor standen, meinte Genna, sie wolle darin mal nach dem Rechten sehen, wie die Vorbereitung lief. An diesem Abend würde hier eine riesige Party schmeißen und dafür sollte alles top vorbereitet sein.
Cynthia und ich warteten solange draußen.
"Sind viele Leute eingeladen?", fragte ich die Blondine.
"Nicht nötig", lachte sie, "die kommen alle so. Die ganze Schule wird hier sein. Gennas Partys sind dafür berüchtigt, die besten und wildesten zu sein."
"Ah", machte ich. Doch Cyn hörte mir schon gar nicht mehr zu, da sie in diesem Moment eine Schülerin am anderen Ende des Gangs entdeckte, eine kleinere, kurvigere mit hüftlangem pechschwarzen Haar.
Sie erinnerte mich an Schneewittchen.
Da Cyn nun also bei Schneewittchen stand und mich ganz dabei vergaß, stand ich alleine in diesem Keller, in diesem Flur.
Meine Führung war vollständig abgesprungen.
Da ich mich nur unnötig verlaufen würde, wenn ich einen Schritt alleine hier machte, ich kannte schließlich meinen tollen Orientierungssinn, blieb ich stehen und wartete.
Genna oder Cynthia - einer von beiden würde sicher gleich wiederkommen.
Ich stellte meine Tasche auf den Boden und lehnte mich ein Stück weiter an die Wand.
Dann holte ich mein Handy raus und sah nach neuen Nachrichten.
Nichts.
Ja, auch an meinem Schloss gab es Whatsapp. Eigentlich achtete ja jeder auf Schutz und Sicherheit in der Öffentlichkeit und Internet und ich durfte auch keine Bilder hochladen oder meine Nummer Bis auf wenige geprüfte Ausnahmen weiter geben, aber Whatsapp an sich gab es auch schon in meinem Leben.
Eigentlich hatte ich nie sonderlich viele Kontakte gehabt, die in meinem Alter waren, da nur meine Eltern mit dem Volk verkehrten, mir aber nur der adelige Umgang im Schloss erlaubt war.
Aber ich hatte Hanna, eine gute Freundin, die ich aber nicht oft zu Gesicht bekam, und, natürlich, dann noch Derek.
Derek war ein Junge, den ich immer... Mehr als freundschaftlich gemocht hatte. Er war einer der drei Söhne von Dads Berater und war nur ein Jahr älter wie ich.
Er sah richtig gut aus, war immer süß und charmant gewesen und wir hatten uns oft gesehen und er hatte die gleichen mehr als Freundschaftlichen Gefühle gehabt wie ich - dachte ich zumindest, bis er mich abgrundtief enttäuschte und er sich als absoluter Lügner entpuppte.Und ich hasste mich dafür, dass ich immer noch hoffnungsvoll nach einer Nachricht von ihm auf mein Handy schaute - aber die Wunde war noch so frisch, dass ich es nicht schaffte, es zu lassen und...
Ein lauter Knall und ein ungesund klirrendes Scheppern ließen mich aus meinen Gedanken zusammen zucken.
Erschrocken sah ich auf.
Und dann sah ich ihn zum ersten Mal.Logan Tailor.
DU LIEST GERADE
Woolf-Academy | Moon
WerewolfAneeta Moon - die wahrscheinlich reichste und verehrteste Werwölfin ihres Landes. Doch so sehr sie es schätzt, von allen behandelt zu werden, wie es eine Prinzessin entspricht, will sie, bevor sie bald zur Königin gekrönt wird, erstmal eines - train...