Lara wacht vor mir auf.
Lara ist vor mir angezogen.
Lara ist vor mir gewaschen und fertig.
„Beeil dich", kräht sie mich an und springt wie ein Flummi auf und ab, als ich halbwach und noch vollkommen benebelt aus dem Bad tappe und dabei fliegen ihre blonden Haare wie Federn um ihren Kopf.
Sonnenlicht tänzelt durch die Jalousien, als ich in die Küche komme.
Ich stelle einen Kaffee auf und suche im Kühlschrank nach einem Frühstück für Lara, die interessiert die Fotos an der Küchenwand betrachtet.
„Wer ist das?", fragt sie und patscht mit ihrem kleinen Finger auf das stille, lachende Gesicht meiner Mutter.
„Ein Engel", erwidere ich knapp. „Magst du Leberwurst?"
Lara runzelt die Stirn. „Ne." Auf den Engel geht sie nicht weiter ein.
Nach einigem Suchen finde ich einen Rest Nutella und ein paar Toasts, die Lara begeistert verschlingt. Sie ist so aufgekratzt und fröhlich, als wäre bei ihr alles in bester Ordnung.
Als wäre ihr Vater nicht tot, als läge ihre Mutter nicht mit Krebs im Sterben, als wäre sie nicht von ihrer letzten vollkommen entnervten Pflegefamilie praktisch zurückgegeben worden, wie einen Hund, den man zurück ins Tierheim trägt.„Weißt du, mit welcher Linie du zur Schule fahren musst?", frage ich.
„Frau Kiesling hat es mir aufgeschrieben."
Frau Kiesling ist die zuständige Tante im Heim für sie gewesen und gleichzeitig eine Freundin von Laras Mutter. Die beiden haben eine enge Beziehung zueinander, aber Frau Kiesling fehlt der Platz, um Lara aufzunehmen. Das hat Opa mir erzählt, bevor er wieder mitten im Gespräch eingeschlafen ist.
„Sie holt mich auch heute von der Schule ab", fährt Lara fort. „Wir gehen Eis essen."
Sie sagt es so stolz, als wäre Eisessen das Unglaublichste der Welt. Vielleicht ist sie auch einfach nur froh, das jemand freiwillig Zeit mir ihr verbringt.„Magst du noch einen Kakao?", wechsle ich das Thema.
Lara nickt. „Wir schreiben heute in Mathe einen Test", fährt sie fort und beobachtet mich, während sie auf eine Antwort wartet. „Einen ganz schweren."
Sie breitet die Arme aus, als wolle sie den Schwierigkeitsgrad in Größe angeben.
„Toll", sage ich wenig begeistert. „Wann bist du nachher mit deiner Frau Kiesling fertig?"
Sie lässt enttäuscht die Arme sinken, wahrscheinlich weil ich nichts zu ihrem Test gesagt habe.
„Ich muss bis acht Uhr arbeiten", erkläre ich, als sie nichts erwidert „Und ich habe nur einen Schlüssel, also kann ich dir keinen geben."
„Was arbeitest du denn?", fragt sie neugierig.
„In einer Autowerkstatt."
„Oh." Ihre Augen werden groß. „Da hat mein Papa früher auch gearbeitet."
Immer diese Kommentare zu ihrem toten Vater. Ich habe keine Ahnung, was ich darauf antworten soll.
Weil ich keine Ahnung mehr habe, was mir früher geantwortet wurde.
Ich bringe Lara bis zur Bushaltestelle und laufe dann weiter zur Uni.
Ein kleines bisschen Sorge schleicht sich in mein Unterbewusstsein, Lara ganz alleine mit dem Bus fahren zu lassen. Andererseits sind es nur vier Stationen und Frau Kiesling holt sie von der Haltestelle ab. Zumindest hat sie mir das gesagt, als ich gestern mit ihr telefoniert habe. Sie hat eine merkwürdige Stimme, als würde ihr ein rostiger Nagel im Hals stecken.
Und im Grunde genommen, kann es mir auch egal sein. Es ist nicht meine Sache, wenn das Kind verloren geht.
So denke ich mir das.
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Lara
Teen FictionLara hat niemanden mehr, bis auf ihren Cousin Simon. Und der hat sich sein Leben auch anders vorgestellt. Sich um eine Achtjährige zu kümmern, passt nicht in sein Leben. Aber Lara hat niemanden mehr, außer ihm.