Ich habe oft Angst. Ich habe viele Ängste. Ich habe Angst zu leben, aber ich habe auch Angst vor dem Tod. Ich lebe in meiner kleinen Luftblase, wo nichts raus und nichts rein kann. Es dient zu meinem Schutz.
Wenn du so mit Angst umgehst wie ich, dann machst du es falsch. Man kann vor allem Angst haben und jeder hat andere Ängste, und jeder geht anders damit um. Ich gehe den Ängsten aus dem Weg. Eigentlich geh ich der Welt aus dem Weg, denn da ist überall irgendetwas da draußen vor dem man Angst haben kann.
Meist sitze ich zu Hause, in meinem Zimmer, meiner Luftblase, wo niemand raus und rein kommt. Manchmal gehe ich zur Therapie, eine der wenigen Fälle, wo ich aus dem Haus gehe. Schule habe ich schon lange aufgegeben, nach unendlichen Versuchen und Panikattacken.
Hast du nie das Gefühl, dass du in dieser Welt perfekt sein musst? Hast du nie Angst etwas falsch zu machen? Angst zu Versagen? Ich schon.
Heute war anders. Heute ging ich raus. Warum? Meine Mutter bat mich darum und ich wollte ihr helfen. Andere waren immer wichtiger und ihr fiel es unglaublich schwer mit meiner Situation umzugehen, deshalb stellte ich mich meiner Angst vor der Welt da draußen für sie.
Wenn ich nach draußen ging, dann war das erste was ich machte immer ganz tief Luft holen. Ich atmete, die Natur ein, die eine der wenigen Sachen war, vor denen ich mich nicht fürchtete. Doch leider begegnete ich ihr selten, da sie es nicht schaffte in meine Luftblase einzudringen.
Meine Mutter hatte mir ein wenig Geld gegeben und mich in die Stadt geschickt, um mir ein schönes neues Outfit zu kaufen, welches ich ihr hinterher zeigen könnte. Ich hasste die Stadt und shoppen. Aber ihr zu Liebe tat ich es trotzdem. Ich hatte mir auch ein Buch mitgenommen, vielleicht würde ich ein schönes Cafe finden, wo ich Kaffee trinken und in Ruhe lesen könnte.
Die Bushaltestelle war nicht weit entfernt von meinem Haus. Ich lief mit meinem Blick auf den Boden gerichtet und schnellen Schrittes zu ihr. Ich hasste es Bus zu fahren beziehungsweise mit irgendwelchen öffentlichen Verkehrsmitteln. Mir waren da immer viel zu viele Menschen auf einem Haufen. Viele unfreundlich. Und so viel, was man falsch machen könnte vor all den Menschen. Ich setzte mich nach ganz vorne, direkt hinter den Busfahrer. Dort fühlte ich mich am wohlsten, da ich so nicht an all den Menschen vorbeigehen musste, die mich musterten und in ihren Gedanken bewerteten.
Irgendwann musste ich aus dem Bus aussteigen und in eine U-Bahn umsteigen. U-Bahn fahren war genau so schrecklich wie Bus fahren und ich war froh, als ich endlich aussteigen musste.
Ich wohnte in einer Großstadt, mit einem sehr großen Stadtzentrum, in dem täglich unzählige Menschen shoppen gingen. Meiner Meinung nach viel zu viele Menschen und viel zu viel verschwendetes Geld. Ich hatte keine Lust durch die gesamte Stadt zu rennen, also begab ich mich in ein Einkaufszentrum, in dem sich glücklicherweise auch ein kleines, schön aussehendes Cafe befand, womit ich mir die spätere Suche nach einem erspart hatte.
Als erstes ging ich in irgendeinen Modeladen, wo heutzutage so ziemlich jeder in meinem Alter einkaufen ging. Ich fand schnell etwas, was mir gefiel, da ich nicht wie andere stöberte, sondern so schnell wie möglich etwas finden wollte. Ich nahm die Teile mit in die Umkleide und zog mich um. Ich betrachtete mich in dem schwarzen Skaterrock und dem schwarzen Spaghettiträger-Top mit den pinken Blüten darauf. Mir gefiel es. Nur ich gefiel mir nicht. Ich hätte dünner sein können, schöner. Aber ich hielt mich nicht länger mit meinen Selbstzweifeln auf, da ich ja schnell hier raus wollte. Also schlüpfte ich schnell wieder in meine Jeans und mein Flannelhemd und ging mit den Sachen zur Kasse.
Nachdem ich aus dem Laden gegangen war, suchte ich das kleine Cafe auf. Zum Glück waren wirklich nicht viele Menschen dort. Nur ein Paar, welches Kaffee trank und wären den Schlücken Küsse austauschten und eine alte Frau, welche genüsslich ihren Kaffee trank, als gebe es gar keine Zeit in diesem Universum.
Ich bestellte eine dark choco machiatto und setzte mich mit meinem Buch in die hinterste Ecke und begann zu lesen. Ich mochte das Buch sehr. Es ging um einen Jungen, der sich selbst in eine Psychiatrie einwies und dort lernte das Leben wieder zu schätzen und zu lieben und seine große Liebe dort fand.
Die kleine Glocke, die läutete, wenn jemand den Laden betrat, lies mich aufschauen. Ein großer Junge, mit braunen, verwuschelten Haaren, kam rein. Ich weiß nicht was es war, aber irgendwas an ihm lies mich ihn länger anstarren, bevor ich mich wieder meinem Buch zuwand. Der Junge bestellte und setze sich danach auf den Platz gegenüber von mir. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte, da ich jede Art von Sozialisierung und Menschenkontakt bis jetzt völlig abgelehnt hatte. Ich wollte keine Konversation oder so mit ihm führen, eigentlich wollte ich, dass er aufstand und wieder ging, aber andererseits wollte ich das auch nicht, denn irgendwas an ihm gefiel mir.
„Du liest mein Lieblingsbuch". Erst begriff ich gar nicht, dass die Worte an mich gerichtet waren, auch wenn ich die einzige hier mit einem Buch in der Hand war, und las einfach weiter.
„Du redest wohl nicht mit Fremden, heh?", meinte er dann und dieser Satz lies mich in seine grünen Augen aufschauen.
„M-Meinst du mich?", fragte ich unglaublich leise.
Er nickte und erwähnte erneut, dass ich sein Lieblingsbuch lese.
„Danke", erwiderte ich, was eine beschissen Antwort war, aber wie gesagt meine sozialen Talente sind sehr gering.
Er lächelte und ich konnte mich nicht zurückhalten auch zu Lächeln, was ich seit Ewigkeiten nicht mehr getan habe.
„Dein Lächeln ist wunderschön", sagte er.
Mein Blick fiel auf den Boden und ich spürte, wie meine Wangen anfingen zu glühen.
„Ich muss jetzt gehen, hast du einen Stift bei?"
Verwirrt sah ich ihn an, aber komischerweise trug ich immer ein Stift mit mir rum, also holte ich ihn aus meiner Jackentasche und überreichte ihn mir.
„Ich wusste, dass ein Mädchen wie du einen Stift bei hat", erwiderte er grinsend.
Er nahm eine Serviette und schrieb etwas drauf, bevor er sie mir in die Hand drückte, mir ein letztes Lächeln zuwarf und das Cafe verließ.
„Du bist wunderschön. 0176 817 278 44.", stand drauf.
Ich rief ihn nie an. Ich hatte Angst, dass das alles nur ein Spiel war, dass er nichts ernst meinte. Wer könnte mich schon wollen?