Meine roten Schuhe müssen direkt neben meinen blauen stehen. Ich mag den Kontrast so sehr. Wenn sie anders stehen, werde ich wütend. Wie kann meine Mama ihre Schuhe zwischen meine stellen? Verärgert nehme ich ihre schwarzen Stiefel und werfe sie in den Mülleimer in der Küche.
„Dave", höre ich meine Mutter und ich erkenne an ihrem Tonfall, dass sie sauer ist, „Du kannst meine Schuhe nicht einfach wegwerfen. Wie oft soll ich dir das noch erklären?" Sie seufzt und hebt ihre Stiefel aus dem Mülleimer. „Deine Schuhe standen falsch", erkläre ich und zucke mit den Schultern.
„Meine Schuhe brauchen auch einen Platz", antwortet meine Mutter und läuft mit ihnen in den Flur. Ich folge ihr schnell. Sie stellt sie neben meine blauen Schuhe. „Nein", schreie ich wütend und sie dreht sich zu mir. „Sie dürfen nicht in mein Regal", sage ich und stelle mich schützend vor mein Schuhfach, in dem meine beiden paar Schuhe stehen, in rot und blau. „Dave, in dem Regal ist noch genügend Platz", sagt meine Mutter genervt, „Meine Hausschuhe stehen auch manchmal in deinem Regal." Ich nickte. „Ja, die dürfen das, weil sie gelb sind", erkläre ich meiner Mutter, „Aber diese Schuhe sind schwarz!" Meine Mutter verdreht die Augen, wie immer, wenn sie etwas nicht versteht. Dann stellt sie die Schuhe in ihr Regel und ich lächele zufrieden. „Farben entstehen erst durch Licht", rufe ich ihr hinterher und folge ihr in die Küche, „Farben reflektieren das Licht. Deswegen nehmen wir sie als Farben wahr. Und schwarz kann das nicht. Schwarz ist keine Farbe." Meine Mutter lächelt. „Und wieso dürfen in dein Regal nur Farben und kein Schwarz?", fragt sie mich und beginnt die Nudeln zu kochen. Ich schüttle den Kopf über ihre Fragen. „Weil die nicht zusammen gehören", antworte ich selbstverständlich und setze mich auf meinen Stuhl. Ich beobachte wie meine Mutter die Nudeln kocht. Der Wasserdampf steigt auf und ich öffne schnell das Fenster, bevor es beschlägt. Dann kann ich nicht mehr nach draußen schauen und ich weiß nicht, was dort draußen auf mich wartet. Nach ein paar Minuten ist meine Mutter fertig und meine Schwester Lilly kommt in die Küche gelaufen. Lilly ist erst fünf und klein. Sie nimmt auf dem Stuhl neben mir Platz und wartet hungrig auf ihren Teller Nudeln. Ich bekomme meine Portion als letztes, in einer Schüssel. Es kommt mir seltsam vor von einem flachen Teller zu essen. Es könnte etwas runterfallen und dann wird der weiße Boden mit roter Soße vermischt. Wieso sollte man so etwas zulassen? Vorsichtig hebe ich meinen Löffel hoch und führe die Nudeln zu meinem Mund. Lilly hingegen stopft sich die Pasta zügig in ihren Rachen.
„Lass das Lilly", sage ich ärgerlich und rücke ein Stück von ihr weg. Sie verzog das Gesicht. „Ich mache gar nichts", antwortet sie und streckt mir die Zunge raus. „Es reicht", mischt sich meine Mutter ein und schenkt uns einen wütenden Blick. Ich schweige und widme mich wieder meinen Nudeln. Ich mochte diesen Nudeln nicht gerne, weil sie eine seltsame Farbe hatten. Aber bunte Nudeln gab es nur selten. Und immerhin waren sie nicht weiß. Weiß ist keine Farbe, sondern entsteht nur, wenn man sie mischt. Es ist keine natürliche Farbe und wer isst etwas Unnatürliches? Niemand! Einmal hat meine Mutter Reis gekocht. Ich dachte tagelang, dass sie mich vergiften wollte. Wie kann man etwas unechtes Essen? Manchmal glaube ich, dass meine Familie nicht sehr intelligent ist. Sie verstehen einfach nicht, dass Farben nur Licht sind, die ein bestimmtes Lichtspektrum unseres Auges reizen. Man darf dieses nicht überreizen. Eine warme Farbe muss immer neben einer kalten Farbe stehen, für die Balance.
Ich schreie, als Lilly die Nudeln so hastig auf ihrer Gabel aufdreht, dass die Soße zu mir herüber spritzt. Kleine rote Punkte sind auf meinem gelben T-Shirt zu sehen. Mein Atem wird flacher und ich versuche panisch nach Luft zu schnappen, aber es geling mir nicht. Zwei warme Farben denke ich innerlich und versuche das T-Shirt von mir zu reißen.
„Es ist nur etwas Soße Dave", versucht meine Mutter mich zu beruhigen, aber sie versteht es einfach nicht. Ich bekomme keine Luft mehr und spüre wie sich mein Hals verengt. Endlich schaltet Lilly das Licht aus, doch ich sehe die Sonne, welche durch das Fenster reflektiert. Meine Mutter folgt meinem Blick und eilt auf die Glasscheibe zu, um die schützenden Rollos herunterzulassen. Es ist stockdunkel in der Küche.
„Zieh es aus", schreie ich und versuche weiterhin das Kleidungsstück von meinem Körper zu befreien, doch es will einfach nicht funktionieren. Ich spüre die Hände meiner Mutter, die mir das Oberteil über den Kopf zieht und endlich kann ich wieder atmen. Ich nehme einen großen Atemzug Sauerstoff oder eher Oxygenium, Nitrogenium und Argon in mir auf und spüre wie mein Körper sich entspannt.
In der Zwischenzeit hat meine Mutter die Rollos wieder hochgemacht und sich an den Tisch gesetzt. Diesesmal setzte sie sich zwischen Lilly und mich. Ich kehre an den Tisch zurück und starre Lilly wütend an. „Das war Absicht", werfe ich ihr vor und betrachte angewidert den vollen Löffel mit Nudeln, den sie in der Hand hält. Lilly schüttelt den Kopf „Soße spritzt manchmal!", antwortet sie aufgebracht, „Im Kindergarten essen alle Soße und alle sagen, dass du spinnst." „Spinnen ist umgangssprachlich, das Wort benutzt man nicht", stelle ich fest und ignoriere ihre Aussage. Wieder vernehme ich das laute Seufzen meiner Mutter. „Dave, iss bitte in deinem Zimmer weiter." Ich lächele und stehe hastig auf. In meine Zimmer war ich sowieso viel lieber, aber aus einem mir unerklärlichen Grund, war meine Mutter der Meinung, dass man in der Küche essen musste.
Ich setze mich an meinen Schreibtisch. Die Buntstifte liegen geordnet vor mir. Ich nehme den gelben Stift und lasse ihn über das Blatt fahren und ein gelber Strich entsteht. Schnell stehe ich auf und halte das blaue Blatt mit dem gelben Strich in das Licht. Dann schreibe ich in mein Buch, wie sich das gelb verändert hat. Kurze Zeit später klopft meine Mutter an. „Du hast ja gar nicht aufgegessen", sagt sie und deutet auf meine Teller. Ich zucke sachte mit den Schultern. Die Nudeln hatte ich wohl vergessen. Sie setzte sich zu mir und betrachtete das Heft auf meinen Schoß. „Lilly hat das gerade nicht so gemeint", sagte sie sanft. Ich schaute sie an. Ihr Blick schien traurig. „Ich weiß", antworte ich, „sie versteht das alles noch nicht, sie ist zu klein." Meine Mutter lächelt und nickt. „Du bist besonders", sagte sie und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Ich wischte ihn schnell weg. Spucke auf der Stirn glitzerte so seltsam in der Sonne. „Ich weiß", wiederhole ich wie selbstverständlich, „keiner von euch versteht die Melodie der Farben, nur ich." Das Lächeln auf ihrem Gesicht breitet sich aus, bevor sie aus meinem Zimmer verschwindet.
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Melodie der Farben
Short StoryWenn einer aus der Reihe tanzt, ist die Reihe besser zu sehen. Das Außergewöhnliche, Andersartige und Besondere gehört zum Leben unabdingbar und macht es erst lebbar - erst lebendig! Ihr findet diese Geschichte ebenfalls in Poetry - Thinking out lou...