Vorwort

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Ich habe einiges für dich gebastelt, lieber teuer Leser: Doch bevor du einen Blick auf die kleinen, handgearbeiteten Schätze wirfst, die ich feilhalte, wollen wir ein wenig darüber sprechen, ja? Es dauert nicht lange. Komm, setz dich neben mich. Und rück doch ein wenig näher. Ich beiße nicht. Allerdings ... wir kennen uns nun schon seit sehr langer Zeit, und ich vermute, du weißt, dass das nicht so ganz stimmen kann.
Nicht wahr?

I

Ihr würdet euch wundern - zumindest nehme ich das an -, wie viele Leute mich fragen, weshalb ich immer noch Kurzgeschichten schreibe. Das hat einen ganz einfachen Grund: Sie zu schreiben macht mich glücklich, weil ich dazu geschaffen bin, andere Menschen zu unterhalten. Gitarre spiele ich nicht besonders gut, und Step tanzen kann ich gar nicht, aber das kann ich. Daher tue ich es.
Zugegeben, von Natur aus bin ich Romancier und habe eine besondere Vorliebe für lange Texte, in die Autor und Leser mit Haut und Haar eintauchen können, weil die Literatur dort die Chance erhält, zu einer nahezu realen Welt zu werden. Gelingt ein langes Buch, so haben Autor und Leser nicht nur eine Affäre; sie sind verheiratet. Wenn Leser mir schreiben, wie schade es sei, dass The Stand oder Der Anschlag ein Ende finden mussten, habe ich das Gefühl, dass das betreffende Buch ein Erfolg war.
Allerdings haben auch kürzere, intensivere Erfahrungen ihre Vorteile. Sie können erfrischend, ja schockierend sein, wie ein Walzer mit einem Fremden, den man nie wiedersehen wird, wie ein Kuss im Dunkeln oder wie ein wunderhübscher, kurioser Gegenstand, der bei einem Straßenflohmarkt auf einer billigen Decke ausliegt. Tja, und wenn meine kurzen Geschichten gesammelt erscheinen, komme ich mir wirklich immer vor wie ein Straßenhändler, wenn auch wie einer, der nur um Mitternacht verkauft. Ich breite mein Sortiment aus und lade die Leser - das seid ihr - dazu ein, herbeizukommen und etwas auszuwählen. Dabei füge ich immer die angemessene Warnung hinzu: Seid vorsichtig, meine Lieben, denn manche dieser Waren sind gefährlich. Das sind jene, in denen böse Träume verborgen sind, jene, die einem im Kopf herumgehen, wenn man nicht einschlafen kann und sich fragt, weshalb die Tür des Kleiderschranks offen steht, obwohl man bestens weiß, dass man sie geschlossen hat.

II

Würde ich sagen, ich hätte schon immer die strengere Disziplin geschätzt, die kürzere literarische Werke mir auferlegen, so würde ich lügen. Kurzgeschichten erfordern eine akrobatische Fähigkeit, die viel ermüdender Übung bedarf. Was leicht zu lesen ist, ist schwer geschrieben, sagen manche Lehrer, und es stimmt. Fehler, die in einem Roman oft übersehen werden, treten in einer Kurzgeschichte eklatant zum Vorschein. Daher ist strenge Disziplin unerlässlich. Der Autor muss seinen Impuls zügeln, gewissen faszinierenden Nebenwegen zu folgen, und sich an die Hauptroute halten.
Die Grenzen meines Talents empfinde ich nie so deutlich wie beim Schreiben kürzerer Texte. Ich habe mit einem Gefühl der Unzulänglichkeit gekämpft, mit einer tief reichenden Frucht, ich könnte unfähig sein, die Kluft zwischen einer tollen Idee und der Realisation ihres Potenzials zu überbrücken. Kurz gesagt, läuft das darauf hinaus, dass das fertige Produkt nie ganz so gut zu sein scheint wie die großartige Idee, die eines Tages aus dem Unterbewusstsein aufgetaucht ist, begleitet von dem begeisterten Gedanken: Menschenskind! Das muss ich sofort aufs Papier bringen!
Manchmal ist das Ergebnis trotzdem ziemlich gut, und gelegentlich ist es sogar besser als das ursprüngliche Konzept. Wenn das geschieht, bin ich begeistert. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, in das verdammte Ding heineinzukommen, und das ist meiner Meinung nach der Grund, weshalb so viele Möchtegernautoren nie tatsächlich zur Feder greifen oder sich an die Tastatur setzen. Allzu oft ist das so wie der Versuch, an einem kalten Tag den Wagen anzulassen. Zuerst macht der Motor nicht einmal eine Umdrehung, er ächzt lediglich. Wenn man jedoch dranbleibt (und wenn die Batterie nicht schlapp macht), springt der Motor an ... holpert eine Weile ... und läuft dann rund.
Dieses Buch enthält Geschichten, die als Inspirationsblitz aufgetaucht sind, zum Beispiel >>Sommerdonner<<, und sofort geschrieben werden mussten, auch wenn das bedeutete, die Arbeit an einem Roman zu unterbrechen. Andere wie >>Raststätte Mile 81<< haben jahrzehntelang geduldig auf ihre Chance gewartet. Der strenge Fokus, den es zum Entstehen einer guten Kurzgeschichte bedarf, ist jedoch immer derselbe. Romane zu verfassen ist ein wenig wendig, selbst wenn es zwanzig Innings dauern sollte. Kurzgeschichten zu schreiben ist mehr wie ein Basketball- oder Footballspiel - man kämpft nicht nur gegen das andere Team, sondern auch gegen die Uhr.
Geht es darum, erzählende Literatur zu schreiben, egal ob lang oder kurz, so findet der Lernprozess nie ein Ende. Für das Finanzamt bin ich aufgrund meiner Steuererklärung ein professioneller Schriftsteller, aber in kreativer Hinsicht bin ich immer noch ein Amateur, der sein Handwerk erlernt. Das gilt für uns alle. Jeder schreibend verbrachte Tag ist eine Lernerfahrung und ein Ringen darum, etwas Neues zu tun. Den Text herunterzuleiern ist unzulässig. Das eigene Talent kann man nicht vermehren, es ist angeboren, aber es ist möglich, dieses Talent vor dem Schrumpfen zu bewahren. Zumindest sehe ich das gern so. Und he! Ich tue es immer noch wahnsinnig gern.

III

Da sind sie also, die Waren, meine lieben treuen Leser. Heute Nacht verkaufe ich ein bisschen von allem - ein Monster, das wie ein Auto aussieht (ein Anklang an Christine ), ein Mann, der töten kann, indem er Nachrufe schreibt, einen E-Reader, der Zugang zu Parallelwelten bietet, und jenes immerwährende Lieblingsmotiv, das Ende der Menschheit. So etwas biete ich gern feil, wenn die anderen Verkäufer schon lange heimgegangen sind, wenn die Straßen verlassen sind und wenn eine kalte Mondrinde über den Schluchten der Großstadt schwebt. Dann breite ich meine Decke aus und lege meine Waren bereit.

Genug geredet. Vielleicht möchtet ihr jetzt etwas kaufen ja? Alles, was ihr seht, ist von Hand gemacht, und obwohl ich jeden einzelnen Artikel liebe, verkaufe ich sie alle gern, weil ich sie speziell für euch gemacht habe. Nur zu, ihr könnt sie euch ruhig näher ansehen, aber seid bitte vorsichtig. Bestenfalls sind sie bissig und schnappen zu.

6. August 2014

Basar der Bösen TräumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt