3. George

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Langsam hebe ich meine Hand und lege sie auf die Türklinke. Sollte ich zu ihm gehen? Es war verrückt, ich meine wir hatten schon seit etwa 9 Jahren nicht mehr wirklich miteinander gesprochen, aber irgendwie verändert sich doch eh gerade alles.
Entschlossen öffne ich die Tür. Die Treppe ist dunkel und ich steige langsam ein paar Stufen hinauf. Hinter mir schließe ich die Tür und nun ist es komplett dunkel. Nach einigen Sekunden gewöhnen sich meine Augen jedoch an dieses Lichtverhältniss und ich erkenne wieder etwas. Ich steige die Treppe weiter hoch und blicke mich um. Zeichnungen, überall Zeichnungen. Ich verschwende keine Zeit mit ihnen. Sie sehen aus, wie Gekrizel und man kann nichts darauf erkennen, aber irgendwie läuft mir trotzdem ein Schauer den Rücken hinunter, so, als ob sie bedeutsam sind und ich sie nur nicht verstehe, noch nicht.
Ich beeile mich und bin froh, als ich endlich oben ankomme. Neugierig blicke ich mich um. Durch einen kleinen Spalt am Ende eines Flures fällt etwas Licht herein. Es sieht so aus, als wäre dort ein Fenster. Ich gehe zu dem Spalt und sehe ihn mir genauer an. Tatsächlich, es ist ein kleines Fenster. Es wurde unsauber mit Holzbrettern vernagelt, aber einige Nägel fehlen schon. Es sieht so aus, als hätte sich vor kurzem irgendetwas dort hindurch gezwängt, aber das ist Quatsch. Wahrscheinlich waren diese Bretter nur morsch und deswegen sind die Nägel heraus gefallen.
Ich drehe mich wieder um. Ich entdecke zwei Türen. Die eine steht mir gegenüber und es scheint, als würde der Flur dahinter weitergehen, aber warum wird das dann durch eine Tür getrennt? Die andere ist etwa auf der Mitte des Flures,also schräg gegenüber der Treppe. 'Das ist Georges Zimmer',denke ich und gehe auf die Tür zu. Ohne groß zu überlegen öffne ich sie und platze in das Zimmer.

Ich kann zunächst nichts erkennen, da es in dem Zimmer sehr hell ist. Die Vorhänge sind aufgezogen und das Fenster ist geschlossen.
Allgemein ist das Zimmer sehr leer. Nur das Bett steht an einer Wand in Richtung Fenster und ein kleiner Fernseher steht in einer Ecke des Zimmers. Auch ein kleiner Stuhl steht neben einem Nachttisch, der wiederum neben dem Bett steht.
Ein blasser Junge mit fettigen und langen blonden Haaren guckt mich verdutzt an. Er sieht sehr abgemagert aus. "Jeef?", fragt er mit fast ersticker Stimme, "Jeef, bist du es?". Ich stehe vollkommen perplex da und bringe kein Wort heraus. 'Er sieht schlimm aus', denke ich. Schließlich nicke ich nur. Ein Lächeln spielt um Georges Lippen und dann entstehen eine lange Pause, in der wir uns nur gegenseitig anstarren. "Es ist sehr stickig.", durchbreche ich das Schweigen. 'Oh man...da siehst du deinen Bruder seit 9 Jahren das erste mal wieder und mehr fällt dir nicht ein?' Aber Georg lächelt, er weiß anscheinend auch nicht, wie er mit der Situation umgehen soll. Ich gehe zum Fester und reiße es weit auf.
Das Fenster geht in Richtung Park, der hinter unserem Haus ist. Es ist ein schöner Ausblick... Man sieht die Bäume und das Grün des Rasens leuchtet mir entgegen.
Nach einer Weile drehe ich mich wieder um und gehe auf George zu: "Und, wie geht's so?" 'Es wird echt immer schlimmer...' George guckt mich verlegen an und ich gucke wahrscheinlich ähnlich. "Naja", sagt er, "ich habe ein bisschen Hunger." Ich grinse und antworte: "Magst du Sandwiches?"

Nachdem ich 4 Toast mit Salat, Käse, Wurst und Ketchup zubereitet habe, setze ich mich auf einen Stuhl in der Küche. Irgendwas war komisch... Ich denke nach, aber komme nicht darauf, woran das liegt.
Ich beschließe wieder mach oben zu gehen. Als ich mir den Teller schnappe, fällt mir ein, dass George Medikamente braucht. Ich öffne einen Schrank, wo normaler Weise aller medizinischer Kram steht. Da ich keine Ahnung habe, was mein Bruder braucht, nehme ich mir einfach alles, was nicht unbedingt nach Flastern oder anderen alltäglichen Dingen aussieht mit.
Auf der Treppe finde ich dieses mal einen Lichtschalter und versuche ihn mit meinem Ellenbogen anzuschalten, da meine Hände voll bepackt sind. Diesmal gucke ich mir die Zeichnungen an, die ich vorhin noch als Kindergekritzel abgestuft habe. Es sind merkwürdige Zeichen. 'Vielleicht ist es eine andere Sprache.',überlege ich, aber ich denke mir weiter nichts und gehe die Treppe hoch.

Als ich wieder in Georges Zimmer stehe, sehe ich, dass er sich aufgesetzt hat. Er sieht schon viel munterer als zuvor aus. Ich bringe ihm das Tablett mit den Toast. "Ich wusste nicht, wie großen Hunger du hast." bemerke ich lächelnd. "Sehr großen", grinst George mir entgegen. "Dann ist ja gut!" erwidere ich und setze mich auf den Stuhl.
Ich beobachte ihn dabei, wie er sein Essen förmlich hinunterschlingt. Es geht nicht anders, ich muss lächeln. Szenen und Bilder kommen mir in den Kopf. George und ich als Kinder... Wir haben so viel gespielt, bis es dunkel wurde, dann haben wir uns immer versteckt und Clara und Mum erschreckt, wenn sie uns suchen gekommen sind...
Dann auf einmal eine andere Szene, in der George vor mir zusammen bricht und einen Hustenanfall bekommt. In der Mum schreiend rausgaufen kommt und mich von meinem Bruder wegschubst. In der sie ihn zum Auto trägt und weg fährt. In der ich alleine auf der Wiese sitze und mir Tränen in die Augen laufen...
Ich schüttel erschrocken den Kopf und sehe wieder den älteren George vor mir, den kranken, abgemagert George, der dabei ist, seine Brote aufzuessen. Aber halt, dieser George guckt mich besorgt an. "Alles in Ordnung?", er runzelte die Stirn. "Ja... Ähm, alles in Ordnung.", ich zwinge mir ein Lächeln auf. Und gucke Richtung Fenster. George isst weiter. 'Was mache ich hier? Warum passiert das alles jetzt?'
Als ich wieder zu ihm gucke, sehe ich, wie er die Medikamente studiert. "Weißt du, welche du nehmen musst?", frage ich leicht belustigt. "Nö!", erwidert er lachend, "Aber ich muss jetzt auch noch keine nehmen... Erst heute Abend." Ich nicke und lasse mein Blick durch das Zimmer schweifen. "Funktioniert der?", frage ich George und weise auf den kleinen Fernseher. "Vor kurzem hat er noch funktioniert, aber dann auf einmal nicht mehr.", sagt er mit einem Axelzucken. "Hm.",erwidere ich, erhebe mich und gehe in Richtung Fernseher. Ich öffne den kleinen Schrank, der unter dem Gerät steht. Ich erblicke mehrere Kabel... Alle durchgefressen."Hast du eine Maus als Haustier?, frage ich und schaue zu George. Der runzelt die Stirn und schüttelt den Kopf. "Nein, warum?" "Weil hier alle Kabel durchgebissen sind.",sage ich lächelt. George schnaubt, kein Wunder, dass der nicht funktioniert.", dann fängt er an zu lachen und ich lache mit ihm.
Es fühlt sich gut an. Ich war dumm, als ich glaubte, dass es besser sei alleine zu bleiben und meinen Bruder zu vergessen... Nein, es war schön einen Freund zu haben... Vielleicht würde er ja auch nicht sterben und der Arzt hatte sich geirrt. Ich meine er scheint sehr energiegeladen zu sein.
"Ich gehe runter und gucke, ob ich noch ein paar Kabel habe, die nicht durchgefressen sind." George nickt, "Komm ja wieder!", ruft er mir lachend hinterher,aber ich höre, dass in seiner Stimme etwas Ernstes liegt und ich weiß sofort, dass er es auch leid ist, ständig alleine zu sein.
Im Runtergehen der Treppe beschließe ich, meine ursprünglichen Ängste in den Wind zu schlagen und für meinen Bruder da zu sein.
Ich renne durch den Flur und suche in meinem Zimmer schnell ein paar Kabel zusammen. Beziehungsweise ziehe ich alle Kabel aus meinem Fernseher, den ich sowieso nicht mehr benutze heraus und will gerade wieder nach oben, als mir die alte PS2 wieder einfällt, die unter meinem Fernseher seht. Ich ziehe auch sie ab und muss husten. 'Die ist ja total verstaubt!' Mit der bloßen Hand wische ich sie ab und stürme, mit vollen Händen, aus meinem Zimmer und direkt in Clara's Arme.

"Wo willst du denn hin?" Ihre grünen Augen durchbohren mich. 'Erstaunlich, dass wir Drei uns überhaupt nicht ähnlich sehen. Also soweit ich über mich selber urteilen kann...Moment, Clara, sie... sie sieht mich direkt an... Also, sie schaut mir in die Augen?!.... Warte, das hatte George auch getan... Sie sahen mich ganz normal an... Ohne Angst!' Ein Lächeln schleicht auf mein Gesicht und ich jauchste leise. Clara hatte es nicht gehört. "Was willst du denn mit den Kabeln?",fragt sie verwirrt und bestimmt. 'Mist, was soll ich sagen?...Ich kann ihr... Nein, ich will ihr nicht sagen, dass ich zu George will....' "Ich... Äh... Ich." laute Musik dringt aus der offenen Kellertür und jemand ruft nach Clara. "Nagut, ich muss wieder runter... Mach, was du willst... Aber irgendwann möchte ich noch eine Erklärung!" Sie dreht sich wieder um und geht in den Keller. Die Tür knallt hinter ihr ins Schloss. Verdutzt stehe ich nun alleine auf dem Gang. Hatte sie mir gerade zugezwinkert? Ich schüttel meine Verwirrung ab und laufe wieder zu George.

"Wow, das sind aber viele Kabel!", ruft mein Bruder mir entgegen, als ich das Zimmer betrete, "Brauchst du die denn alle?" "Werden wir sehen.", sage ich und hiefe die Kabel vor den Fernseher.
Nach einer ganzen Weile bin ich endlich fertig. "So, das sollte es sein.", zufrieden betrachte ich mein Werk. "Super!", freut sich George, der mir die ganze Zeit neugierig zugesehen hatte. "Mal gucken, ob es funktioniert.", ich drehe mich um, "Ähm, wo ist die Fernbedienung?" "Hier.",antwortet George und nimmt die Fernbedienung von dem Nachttisch. Er schaltet den Fernseher an und... Nichts. "Mist.", zische ich,"Was ist denn jetzt?". Ich beuge mich zu dem Kabelsalat runter und studiere alles noch einmal ganz genau. "Haha!", stoße ich hervor. "Was ist?",fragt George neugierig. Ich drehe mich zu ihm um und halte ein Kabel in der Hand,"Vielleicht bringt es ja was, wenn ich dem Ganzen auch Strom gebe!"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 12, 2018 ⏰

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