Cappuccino

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Die Luft um mich herum flimmert, vernebelt meinen Kopf mit ekligen Gerüchen und ihrer widerlichen, fast greifbaren Konsistenz. Ich schwanke, halb im Delirium, durch die dunklen, verstörenden Tunnel der Londoner U-bahn während die vorhandene Geräusch Kulisse meine Schläfen zum pulsieren bringt, als ob sie eine Herzrythmusmassage nötig hätten. Die Wände versperren mir die Chance auf einen Atemzug, auf dass erlösende Gefühl von klarer Luft in den Lungen. Stöhnend setze ich mich auf eine der tausend Rolltreppenstufen die an mir vorbei fahren um der stickigen Hölle unter mir zu entkommen. Am oberen Ende angekommen, legt sich das schwummerige Gefühl in meinem Magen langsam.
Erleichtert stämme ich mich nach oben, noch bevor mein Jackenzipfel in die Treppe eingesogen werden kann. Der Anblick nach unten beweist mir noch einmal das ich grade der Hölle auf Erden entwischt bin: lauter, dicht aneinander gedrengte Körper stürzen sich unter mir in Richtung Ausgang. Für mich wirken sie wie ein riesiger, pulsierender Körper der verzweifelt versucht seinem Schicksal in den engen Tunneln zu entrinnen. Nachvollziehbar. Ausgelaugt husche ich durch die Sicherheitskontrolle. Mein Blick wandert die Schaufenster entlang, bis er schließlich an einem schummrigen Café hängen bleibt. Ein kleiner Kaffee wird wohl nicht schaden, ausserdem hab ich mir den nach dieser Folter doch was verdient, also was soll's?
Ich betrete das düstere Lokal. An den zerkratzten Eichenholztischen sitzen vereinzelt Gäste die abwesend in ihre dampfenden Becher starren. Ich haste in Richtung der kleinen, weißen Stahltheke hinter der ein kleiner, dicker Mann mit roter Schürze und halbglaze zwischen der dürftigen Kuchenauslage verschwindet. Ich warte darauf das er fertig wird und nutze die Zeit dazu, meinen Kopf zu klaren. Nach einer Weile wandert mein Blick zu einem grässlichen Bild eines knochigen Cameleons, was die gelbstichige Tapete ziert. Es ist wirklich grauenvoll. Ungeduldig klopfe ich mit der flachen Hand auf den Tresen. Der Mann , der laut dem rosé farbenen Schildchen an seiner Schürze "Der freundliche Fred" heißt, sieht mich gar nicht freundlich an. Als er mit einer unpassend hohen
Stimmlage :"Sie wünschen? " grunzt überlege ich ernsthaft auf meinen Kaffee zu verzichten. So wie der drauf ist tut der mir wer-weiß-was da rein. Ein Blick in seine zusammen gekniffenen Schweinzäuglein lässt mich jedoch schon aus purem Respekt ordern. Meine Güte, der hätte einen guten Polizisten abgegeben. Oder vielleicht einen guten Metzger. Hastig bestelle ich mir einen Cappuccino mit Sahne und Karamellsauce to go. Ich drücke dem freundlichen Fred ein paar Münzen in die Hand und höre nur noch das rasseln der sich öffnenden Kasse , als ich aus dem Laden stürme. Doch zu bestellen ist eine wirklich gute Idee gewesen.  Während das Gebräu des Lebens meine Kehle runter rinnt kehrt langsam die Farbe in mein Gesicht zurück. Mein Herzschlag beruhigt sich wieder und meine Hände hören auf zu zittern. Der Kaffeeduft beruhigt mich und die Kopfschmerzen gehen zurück. Schon wenige Schritte später ist nur noch eine kalte Pfütze in dem braunen Pappbecher. Enttäuschend. Meine Augen schweifen in Richtung der Sonnenstrahlen, die ihr goldenes Muster in den Staub brennen.
Dabei vergesse ich völlig auf meine Umgebung zu achten, woraufhin ich prompt in einen kleinen nassen Sack renne.
Bei näherem Hinn sehen entpuppt sich der Sack als blondes, sommersprossiges Mädchen, circa fünf Jahre alt. Ihr krauses Haar ist in zwei, kleine Zöpfchen geflochten, die ihr frech vom Kopf abstehen. Ihrem breiten Gesicht zufolge ist sie aber kein bisschen für Sarkasmus zu haben, nicht heute. Ihre Augen sind rot und tänenverquollen, und sie hat eine dicke Rotzfahne an meiner schwarzen Jeans abgeschmiert. Trotzdem gehe ich in die Knie und frage: "Hey. Was ist denn? Hast du dir weh getan?"  Normalerweise interessiert mich sowas nicht, aber da ich grad selbst eine schlimme Situation überstanden habe fühle ich mich... irgendwie beschwingt. Unter Schluchzern berichtet sie :"Ich...hjk. .. will zu Mamaaa aa! " , schon habe ich jegliche Lust verloren. Entnervt stehe ich auf um so zu tun als wäre nie etwas passiert als eine winzige Hand an meiner Jacke zieht. Das Mädchen zieht ein Schippchen und drückt auf die Tränendrüse. Verdammt. Für so was habe ich jetzt weder Zeit noch Lust. "Läßt du mich in Ruhe wenn ich dir jemanden da lasse der dir hilft?" , gebe ich mich geschlagen. Ich kann förmlich sehen wie sich ein Fragezeichen in ihrem Gesicht bildet. Ich halte ihr meinen letzten Kaffeerest entgegen und gehe in die Hocke. Sie fängt sofort wieder an die widerlichen Hicks Laute von sich zu geben. "Hey hey hey, unterbrich mich nicht!" , beschwere ich mich: "Guck lieber her..."
Ich nehme das Gefäß in beide Hände und fange an mit meinen Fingern über die raue Oberfläche zu fahren. Ich schließe meine Augen, beginne rhytmisch hin und her zu schwanken und Summe eine leise Melodie. Als ich die Augen wieder öffne geht ein sanftes Leuchten von dem Kaffeebecher aus, das ihm eine erhabene Aura verleiht. Schon allein das scheint zu reichen um das Gör ins staunen zu versetzen. Immerhin hält sie jetzt ihren Mund. Ich plaziert den Becher auf den mit Kaugummis übersehten Boden vor mir, strecke die Hände darüber und schnippse mit den Fingern. Das Leuchten zieht sich in das Innere des Behältnis zurück. Eine Weile lang geschieht nichts, doch dann schiebt sich der abgekühlte Rest durch das schmale Mundstück und blähte sich darüber auf wie ein Ballon. Er dehnt sich aus und zieht sich zusammen, beginnt eine konkrete Form anzunehmen. Eine kleine Kugel separiert sich vom Rest, Arme und Hände zwängen sich aus dem Kaffekörper. Nur der Unterleib läuft flüssig und dauerhaft tropfend auf den Plastikdeckel. Der Djinn, den ich geschaffen habe, sieht etwas beleibt aus, mit einem Doppelkinn, Ziegenbart und einer Knollnase.
Es ist ein einfacher, physischer Djinn der dafür gemacht ist einfache, physische Befehle auszuführen. Befehle wie: Such die Eltern dieses Heulkrampfs. Die Augen besagten Mädchens ploppen fast aus ihren Hölen, sodas sie eine erschreckende Ähnlichkeit mit Poppkorn aufweisen. "Djinn, Djinn das Mädchen hat einen Wunsch." An sie gewann fauchen ich :"Sag was du dir wünscht. Irgendwas in der Richtung: ich wünsche mir meine Eltern im gesunden Zustand und lebend zu finden. Na mach schon!" Doch ihre Aufmerksamkeit gilt nur dem flüssigen Körper. Es ist, als ob weder ihre Eltern verschwunden, noch ich existieren würde. "Wohnt da noch wer?", fragt sie aufgeregt."Nun ja, ... "  , setzt der Djinn mit seiner näselnden Stimme an, aber er wird durch eine schrillende Stimme unterbrochen. " Ist es nich eng da drinnen? Wie heißt du?? Magst du Pink so sehr wie ich ???" , "Ähmm, nun ja... ", ist alles was er hervorbringt. Ihr Wortstrom beginnen sich wie ein Presslufthammer in mein Gehirn zu brennen. In einem Anflug von Wut packe ich den schleimigen, triefenden Bauch des Djinns und presse ihn in meiner Faust zusammen. Zwischen zusammen gepressten Zähnen zische ich " Jetzt wünsche dir was oder geh!" Endlich nimmt sie mich ernst und schraubt ihr Interesse zurück. Nachdem sie mich noch dreimal fragt, ob sie sich auch wirklich alles wünschen könne, lass ich die beiden allein.
Meine Nerven sind schon wieder völlig am Ende, genau wie der Drang, irgendjemanden einen Gefallen zu tun. Als ich die vergilbten Butzenglasscheiben unseres Ladens erspähe, die völlig unpassend zwischen den auf Hochglanz polierten Schaufenstern von Schokolaties und Informationsschaltern stecken, überkommt mich ein warmes Gefühl und eine Erkenntnis. Verdammt! Sie war der Grund warum wir hier waren. Und ich hab mich nicht mal bezahlen lassen... Loy wird mich umbringen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 29, 2016 ⏰

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