Meine Oma-eine Hexe?

20 3 3
                                    

Mama sagt immer es sei ein Segen, dass wir so weit von Papas Teil der Verwandtschaft weg wohnen. Deshalb ist sie auch nicht begeistert,wenn Papa meint, dass wir Oma besuchen müssen. „Du könntest sagen, dass Timo krank ist und ich mich um ihn kümmern muss. Achtjährige kann man, wenn sie krank sind nicht alleine lassen.", erklärt Mama dann. „Diese Ausrede habe ich schon die letzten zehn Jahre gebraucht. Die ganze Verwandtschaft denkt schon Timo wäre ein chronisch krankes Kind." Das kommt wohl davon, dass Mama in ihrer Kindheit ein ganz braves Mädchen gewesen ist (zumindest behauptet sie dass immer) sie hat nie gelernt sich gute Ausreden auszudenken. Wenn man erwachsen ist lernt man sowas anscheinend nicht mehr.
„Und zu Mamas 80 Geburtstag müssen wir einfach kommen.", stellte Papa am Ende eines solchen Gesprächs klar. Es ist ganz komisch. Papa sagt immer Mama, wenn er Oma meint. Ich weiß auch nicht wieso. Mama nennt sie nur Elfriede, das Biest. "Willst du nicht auch mal deine Familie kennenlernen, Timo?", fragte Papa mich dann. So weit ich weiß kenne ich meine Familie ganz gut. Papa, Mama und mich. Manchmal kommt uns auch Onkel Robert besuchen. Er ist Kinderbuchautor und kann wunderbar Geschichten erzählen. Aber ich nickte trotzdem möglichst begeistert. Vielleicht springt ja ein neues Spielzeugauto für mich dabei raus. „Möglicherweise ist das ja die letzte Gelegenheit, dass du deine Oma kennenlernst.", behauptete Papa dann. In Mamas Gemurmel meinte ich ein „hoffentlich" zu verstehen. Aber ich kann mich auch täuschen. Ich bin auch viel zu sehr damit beschäftigt zu ergründen, warum Papa Oma diesmal nicht Mama genannt hat. Doch Papa hatte diesmal wohl gewonnen denn wir fuhren zusammen mit Onkel Robert los. Ich schlief auf der Fahrt ein. Als ich aufwachte horchte ich auf. „Elfriede ist 200 Jahre alt und eine Hexe. Aber das weiß natürlich niemand.", erzählte Onkel Robert gerade. Ich brauchte etwas um diese Nachricht zu verdauen. Meine Oma war eine Hexe. Deswegen nannte sie Mama immer „das Biest". „Ach, bist du wieder wach Timo.", fragte Papa gutgelaunt und wechselte natürlich schnell das Thema. „Wie lange schreibst du noch an deinem Buch, Robert?" „Ich bin fast fertig."
Die restliche Fahrt verbrachte ich damit zu überlegen, wie man einer Hexe behandelt. Die Feier fand in einem großen Garten statt. Als wir ankamen stellte sich ein alter dicklicher Mann als mein Großonkel Günther vor. Er war froh mich „wieder" zu sehen. Ich hatte noch nie etwas von ihm gehört. Er deutete mit seinem Stock auf den Teich und stellte mich dem Goldfisch Fridolin vor.
„Bist du eigentlich nach Timo von Wettin, dem Sohn von Markgrafen Dietrich benannt?", fragte er dann mit einem freundlichen Augenzwinkern. Ich sah zu Mama hoch. Aber auch sie schien überfragt. „Ähm...", überlegte ich und versuchte es dann mit einer Gegenfrage:„Sind Sie nach Günther Kastenfrosch benannt?" „Nach wem?", fragte er ganz erstaunt. „Naja dem Frosch aus der Tigerente halt.", fügte ich langsam und unsicher hinzu. „Soll ich uns vielleicht was vom Buffet holen?", fragte Mama ein bisschen zu enthusiastisch. „Wollen Sie lieber Canapés mit Lachs oder mit Käse?"In diesem Moment fiel Großonkel Günther das Glas Sekt aus der Hand und fiel in den Teich. Entsetzt schaute ich zu Fridolin. Doch der machte in gewohnter Weise den Mund auf und zu und nahm damit einen großen Schluck Champagner in sich auf. „Ich glaube der ist ein Allesfresser, Mama." Aus irgendeinem Grund schaute Mama mich streng an. Und Großonkel Günther sah beleidigt aus. „Ich denke ich nehme Käse.", meinte er schließlich. Als wir alle am Tisch saßen rührte ich in der Suppe, die meiner Meinung nach sehr verdächtig aussah. Gegenüber von mir wurde einer Frau mit rundem Bauch schlecht. Der Mann neben mir meinte, dass liege daran, dass sie schwanger sei und glaubte mir nicht. Deswegen machte ich mich auf Papa zu suchen, der am anderen Ende des Tisches saß. Am besten ging das unter dem Tisch. Ich durfte schließlich keine Aufmerksamkeit bei der Hexe hervorrufen, die mir noch nicht vorgestellt worden war. Ich hatte aber schon mehrere Frauen ins Auge gefasst, die meiner Meinung nach als Hexen in Betracht kamen. Ich stieß aus Versehen mit dem Ellenbogen an die Beine einer dicken Frau, die mir den Weg versperrten. Ich schaute zu ihr auf. Sie machte den Mund auf und zu wie Fridolin, wenn er Champagner trinkt. Ich musste sie beruhigen sonst würde sie mich verraten. „Drillinge aufzuziehen wird bestimmt nicht einfach.", sagte ich und lächelte verständnisvoll. „Welche Drillinge?" Ich deutete zur Erklärung auf ihren Bauch. „Du mieser Bengel!", schimpfte sie. „Oh, sorry, beim nächsten Mal deute ich nicht mit dem nackten Finger auf sie. Ich nehme den Stock, versprochen. Ich hatte nur gerade keinen parat!" Sie schien nicht beruhigt und ich kroch schnell weiter. Als ich an Onkel Robert vorbeikam wollte er wissen, was ich hier machte. Aber ich hatte keine Zeit für Erklärungen. Bald würden hier bestimmt alle tot umkippen. „Was tut man um eine Hexe zu besänftigen?", fragte ich deswegen. „Hexen sehen das als Kompliment an, was wir als Beleidigung empfinden würden.", erklärte er mir. Ich nickte und krabbelte flink weiter. Ich hatte schon einen Plan. Doch ich wurde unterbrochen. Am Tischende, das mein Ziel war, stand jemand auf. „Liebe Familie..." Es war Papa. Er räusperte sich. Aber es kam nichts mehr. Schnell sprang ich unter dem Tisch hervor nach vorn. Ich würde ihm helfen. Ich würde seine Rede vollenden. „Liebe Leute, wir wissen alle, dass Oma ein Biest ist. Sie ist eine Hexe. Und da sie die schlechteste Lügnerin der Welt ist wissen wir auch, dass sie eigentlich 200  Jahre alt wird. Wir alle hassen sie aus vollem Herzen. Und...ähm...wir hoffen, dass dieses grässlich Fest uns noch lange...also, dass wir diese scheußliche Zeit miteinander schnell vergessen." Oma saß steif da. Sie sah eigentlich nicht so aus wie ich mir eine Hexe vorstelle. Besonders das rosa Kostüm passte nicht wirklich in meine Vorstellung. Niemand klatschte auf meine Rede. Wahrscheinlich waren sie alle zu ergriffen. Omas krächzende Stimme passte eher zu einer Hexe als ihr Äußeres, als sie fragte: „Meine Hörgeräte sind gerade ausgefallen. Kann mir jemand neue Batterien holen? Und dann bitte ich den jungen Herrn zu wiederholen, was er eben gesagt hat. Ich habe es nämlich nicht verstanden."
Dazu kam es dann aber nicht. Wir verließen die Feier sofort. Doch eine Folge hatte es.
Seitdem braucht sich Mama keine Ausreden mehr einfallen lassen. Denn wir werden sowieso nicht mehr auf Familienfeiern eingeladen.

Meine Oma-eine Hexe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt