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Ein leichter Wind weht durch meine Haare während ich den Menschen um mich herum dabei zusehe, wie sie sich abhetzen und gestresst versuchen ihre Kinder in den Zug zu bringen und dabei nichts zu vergessen. Die kleine alte Dame, mit ihren kurzen grauen, gelockten Haaren und ihrem alt aussehenden Kleid, neben mir sieht zu mir hoch und lächelt mich aufmunternd an. Ich weiß, dass sie es nur gut mit mir meint und möchte, dass ich trotz der ganzen miesen Schicksale, die mir im letzten Jahr widerfahren sind , glücklich werde. Für mich fühlt sich das alles jedoch im Moment einfach nur surreal an. Natürlich muss ich irgendwann wieder anfangen halbwegs normal zu leben und mein Leben wieder in den Griff bekommen, dennoch spüre ich tief in mir, dass ich dazu noch nicht bereit bin. Ich bin noch nicht bereit dafür einfach so zu tun, als wäre nie etwas passiert.

"Loi, du musst in den Zug, sonst fährt er noch ohne dich", schreit mich die alte Frau an.

"Oma, mach dir keine Sorgen, ich gehe ja schon. Ich schreibe dir, sobald ich in der Schule bin", antworte ich ihr ebenfalls schreiend.

Meine Oma ist schon eine ganz spezielle und absolut liebenswerte Frau, jedoch hört sie nicht mehr so gut und möchte sich nicht eingestehen, dass sie alt wird und ein Hörgerät bräuchte. Sie ist etwas ganz besonderes und die einzige Familie, die ich noch habe. Egal um wen es geht, sie ist immer zur Stelle und versucht so gut wie möglich zu helfen. Manchmal klappt es besser und manchmal schlechter, jedoch ist jeder immer Dankbar. Ich werde sie sehr vermissen wenn ich in der Schule bin, habe mir jedoch schon vorgenommen, sie in den nächsten Ferien zu besuchen. Irgendwie mache ich mir Vorwürfe, dass ich sie alleine lasse und nicht bei ihr bleiben kann, um mich um sie zu kümmern. Nicht nur ich hatte einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften, sondern auch sie, auch wenn sie dies niemals vor mir zugeben würde.

Ich drehe mich zu ihr, lächel sie noch einmal an und nehme die kleine Frau in eine Umarmung.

"Ich hab dich lieb und werde dich vermissen, Oma. Pass auf dich auf, okay? Und lass Herrn Seimler in Ruhe. Er möchte keine Hilfe von dir. Nicht, dass ich mir wieder stundenlang anhören muss, dass du ihn nicht in Ruhe gelassen hast", sagte ich, nachdem ich die Umarmung beende.

Noch einmal sehe ich ihr in die Augen und wir lächeln uns an, bevor ich zum Abschied die Hand hebe, mich umdrehe und mit meinem Gepäck in den Zug steige.

Kurz nachdem ich den Zug betreten habe, setzt sich dieser auch in Fahrt. Auf der suche nach einem leeren Abteil stolpere ich wegen meinen schweren Koffer durch die Gänge des Zuges. In den Abteilen sitzen die verschiedensten Persönlichkeiten. Während hinter der einen Tür ein paar SchülerInnen aufgeregt diskutieren, schlafen andere im nächsten Abteil und liegen dabei quer über den Sitzen. Hier und da hört man eine Eule schreien oder eine Kröte quaken. Hinter mir im Gang geht eine ältere Frau mit ihrem Wagen voller Leckereien durch die Abteile und verkauft ihre Sachen an SchülerInnen. Alle Abteile bisher sind belegt und ich persönlich würde mich nicht wohl fühlen andere fragen zu müssen, ob sie noch einen Platz frei haben. Generell bin ich eher schüchtern und brauche meine Zeit bis ich mich wohlfühle und mich Anderen öffne. Dieser Charakterzug steht mir leider immer wieder im Weg, jedoch finde ich nicht den Mut dies zu ändern. Als außenstehende Person würde ich mich wohl eher als das graue Mäuschen, das schüchtern in der Ecke sitzt, sehen. Manchmal wünschte ich mir, dass es mir leichter fallen würde mich anderen zu öffnen. Stattdessen schlendere ich nun seit zehn Minuten durch den Zug und bin immer noch auf der Suche nach einem freien Platz für mich. Zur Not würde ich auch im Gang auf meinem Koffer sitzen, jedoch haben die Abteile Fenster zum Gang und ich befürchte, dass ich dann komisch angestarrt werden würde.

Kurz bevor ich aufgeben wollte finde ich doch noch ein leeres Abteil, in dem ich es mir dann schließlich gemütlich mache, nachdem ich all meine Kräfte damit verschwendet habe meinen Koffer in die obere Ablage zu heben. Ich hätte doch nicht so viel mitnehmen sollen. Einen Teil hätte mir meine Oma auch später noch zukommen lassen können. Mit dem Rücken ans Fenster gelehnt starre ich auf den Vorhang, der die Sicht auf den Gang blockiert, welchen ich beim betreten des Abteils direkt zu gezogen habe, und versinke in Gedanken. Wie wird es in der neuen Schule wohl sein? Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich jemals dort wohl fühlen werde. Oft muss ich daran denken, dass mir meine Eltern viele Geschichten aus dieser Schule erzählt haben und dabei immer ein riesen Lächeln auf den Lippen hatten. Kurz nach ihrem Schulabschluss haben sie gemeinsam die Welt unsicher gemacht, um sich dann in Amerika niederzulassen und mich zur Welt brachten. Dort habe ich die Ilvermorny-Schule besucht, aber vor meinen Abschluss verlassen, um dann bei meiner Oma zu leben, da ich sonst komplett alleine gewesen wäre. Jetzt sitze ich hier in diesem Zug und bin auf dem Weg in die Schule, von der meine Eltern mir immer erzählt haben. In diesem Moment wird mir bewusst, wie sehr ich sie vermisse. Mit zitternder Hand greife ich in meine Hosentasche und ziehe ein gefaltetes Stück Papier heraus. Vorsichtig öffne ich es und blicke in die Gesichter meiner Eltern. Eine einzelne Träne schafft den Weg aus meinem Augenwinkel und läuft langsam entlang meiner Nase , bevor sie von meiner Nasenspitze tropft und auf dem Bild landet. Mit meinem Ärmel wische ich den Tropfen weg, falte das Bild und packe es wieder in meine Hosentasche. Ich wische mir noch einmal über meine Augen und meine Nase, um die nasse Spur zu trocken. Warum tut es immernoch so weh, wenn ich an meine Eltern denke? Müsste es nicht mit der Zeit besser werden? Frustriert stehe ich auf und ziehe mir meine Jacke aus, welche ich auf einen der Sitze lege.

Death Eater in LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt