Es war einmal ein kleiner Junge, der hatte keine Freunde. Unfreundlich, gemein und egoistisch war er, keiner in der Schule wolltemit ihm befreundet sein. Selbst im Internat wollte niemand ein Zimmer mit ihm teilen.
Eines Tages trug es sich zu, dass er allein einen Spaziergang durch die nahe gelegene Promenade machte. Es dämmerte bereits, da erblickte er ein bläuliches Licht. Neugierig folgte er dem Licht und alsbald kam er an den toten Stamm einer Eiche. Dort verweilte der Lichtball kurz und im nächsten Augenblick war es verschwunden. Der Junge trat näher heran und entdeckte ein Loch im Stamm. Darin war ein in Leder gebundenes Buch versteckt. Enttäuscht musste er feststellen keine einzige Seite beschrieben war. Kurzerhand nahm er es mit.
Tag und Nacht lag es auf seinem Schreibtisch und immer musste er an die leeren Seiten denken. Bald hielt er es nicht mehr aus und nahm einen Stift zur Hand. In den folgdenenTagen schrieb er seine Gedanken nieder, bis er schweren Herzens erkennen musste, dass er vollkommen allein war.
Den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch weinte er und sein Kissen wurde ganz salzig von seinen Tränen. Nachdem seine Trauer versiegt war, entschloss er sich dazu, bei all jenen um Vergebung zu bitten, die er je schlecht behandelt hatte. Dies rührte so sehr an den Herzen seiner Lehrer und Mitschüler und sogar seiner Eltern, dass sie ihm alle vergaben.
Nun hatte er viele gute Freunde und seine Leistungen in der Schule stiegen. Seine Eltern besuchten ihn so oft es nur möglich war. Jeden Tag ging er mit seinen neuen Freunden in die Stadt, um sich Süßigkeiten zu kaufen. Sie spielten zusammen, machten Ausflüge, radelten zum Baggersee, aßen Eis und taten eben Dinge, wozu Jungen in ihrer Freizeit Lust hatten. Mit diesen Erinnerungen füllte der glückliche Junge nun sein gefundenes Tagebuch, bis auch die letzte Seite vollgeschrieben war. Er war sehr zufrieden mit dem Ergebnis.
In dieser Nacht erschien das blaue Licht wieder und führte ihn hinaus zu dem Stamm, wo er vor einigen Wochen das Tagebuch entdeckt hatte. Damals war es noch genauso leer gewesen wie er selbst. Aber nun trug er es voller Glück im Herzen zu seinem Versteck zurück. Lächelnd legte er das Buch in das Loch und erschrak, als plötzlich eine Lichtgestalt erschien.
Mit großen Augen starrte er das schöne Mädchen an, das mit wehendem Haar und einem seligen Lächeln auf den Lippen vor ihm schwebte. Der Junge konnte beinahe durch sie hindurchsehen.
Sie sprach: „Ich danke dir, mein Freund, denn du hast meinen Traum erfüllt. Dieses Tagebuch sollte mit den glücklichsten Tagen der Kindheit gefüllt werden, da mir das nicht vergönnt war.“
Sie streckte eine Hand aus und berührte seine Wange, auf der eine einzelne Träne hinab rollte. Dann küsste sie ihn auf die Stirn und wurde wieder zu dem blauen Lichtball. Der Junge beobachtete, wie jenes Licht im Versteck des Buches verschwand.
Am nächsten Morgen kam er in aller Eile zu der Eiche und ihm blieb die Luft im Halse stecken, als er sah, was sich dort getan hatte: Am toten Stamm des Baumes wog sanft ein winzig kleiner Spross im lauen Sommerwind hin und her. Ein einziges grünes Blatt schimmerte in der Sonne und es wuchs so schnell, dass man ihm dabei fast hätte zusehen können. Es dauerte nicht lange, bis aus dem Spross ein gesunder kräftiger Ast geworden war. Nach diesem kamen noch viele weitere Äste und bald war aus der toten Eiche wieder ein schöner, junger Baum geworden.

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Das Tagebuch
Historia CortaEs war einmal ein kleiner Junge, der hatte keine Freunde . . .