Sternenfest - Der Tag der Heilung

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Im Jahre 1432 existierte im alten Königreich Salomon jenseits des großen Gebirges mitten im tiefsten Wald Jeoden ein völlig unbeachtetes Dorf namens Astrum. Jedes Jahr an Mittsommernachtswende verschönerten die Bewohner ihr kleines Dorf aufs Neue und bereiteten ein ansehnliches Mahl, um einem besonderen Ereignis der Vergangenheit die Ehre zu erweisen.

Im Juni kehrte der bedeutsame Jahrestag wieder und alle Bewohner im Dorf befanden sich in heller Aufregung. Früh am Morgen, beinahe mit den ersten Sonnenstrahlen, befreite sich jedermann von dem angewärmten Laken und wie jedes Jahr widmete man sich mit unermüdlicher Konzentration den Vorbereitungen der Festlichkeiten. Auch im Hause Cremerius erfasste der Überschwang dieses besonderen Tages die vierköpfige Familie:

„Ari! Wach auf, Ari." Ein beharrliches Rütteln, das von meiner rechten Schulter ausgehend sich über meinen gesamten Körper ausbreitete, und die unentwegt wiederholten geflüsterten Worte rissen mich unsanft aus meinem ruhigen Schlaf. Murrend und ohne meine Augen auch nur spaltbreit zu öffnen murmelte ich schläfrig: „Was ist?"

„Jetzt steh doch auf, Ari!" Ein Keuchen entfuhr mir, als plötzlich ein schweres Gewicht, vergleichbar mit einem prallen Sack Getreidekörner, auf meinem Körper landete und das alte Rost meines Bettes zum Knarren brachte. Entgeistert schlug ich meine Augen auf und sah direkt in die hellblauen Augen meiner jüngeren Schwester Lia.

Missmutig schob ich sie unsanft von meinem Oberkörper herunter und brummte: „Was soll das denn?" Ihre allseits bekannte Schmolllippe kurzzeitig nach vorne schiebend und sich das voluminöse strohblonde Haar aus dem Gesicht streichend verkündete sie fast schon beleidigt: „Weißt du denn nicht was heute für ein Tag ist?" Ihre Knie jeweils links und rechts neben meiner Hüfte aufgesetzt blickte sie mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

Plötzlich begriff ich und saß mit einer schnelle Bewegung auf meiner dünnen Schlafunterlage aufrecht, sodass Lia hinten über auf ihren Rücken purzelte. „Heute ist das Sternenfest!", rief ich aufgeregt und strampelte das Bettlacken von meinen Beinen. Eilig erhob ich mich und sah mich geschwind im Zimmer um, welches ich mir mit meiner kleinen Schwester teilte.

„Wie spät ist es?", gestresst wandte ich mich Lia zu, indes ich meine Anziehsachen zusammensuchte. Frech grinsend, nun im Schneidersitz, erwiderte sie: „Kurz nach sechs." Ich hielt inne und stöhnte auf: „Wieso weckst du mich dann auf diese hektische Art und Weise, als ob ich zur Eile verpflichtet wäre?" Ihre Schultern zuckend stand sie auf und griff nach ihrer Kleidung: „Ich wollte nur nicht, dass du später in Stress gerätst. Außerdem konnte ich nicht mehr schlafen." Ihr daraufhin breites Grinsen konnte ich nur erwidern. Jeder in unserem kleinen Dorf liebte den Tag des Sternenfestes. Früher, als ich noch jünger war, fieberte ich monatelang auf diesen Tag hin und zählte die Sonnenaufgänge.

Zum Waschen goss ich gerade erst das Wasser in die große porzellanene Schüssel, als Lia schon ihre Hände hineintauchte und sich das Wasser freudig lachend ins Gesicht spritzte. Amüsiert grinste ich, dann tat ich es ihr gleich. Eilig streiften wir unsere Arbeitskleidung über. Unsere festlichen Sachen durften wir erst nach den Vorbereitungen anziehen, da sie ansonsten sicherlich beschmutzt werden würden. Enthusiastisch blickte ich zu meiner jüngeren Schwester, die nur wenige Zentimeter kleiner als ich war, und äußerte voller Tatendrang: „Dann wollen wir mal!" Ihre Erwiderung folgte mit einem breiten Lächeln, doch ihre Augen zeigten mir Trauer: „Was du mit guter Laune tust, fällt dir nicht schwer." Auch mich stimmten die Worte schwermütig, doch ebenfalls voller Mut. Früher hatte uns unsere Mutter jedes Jahr aufs Neue mit diesem einem Satz motiviert, da die zu erledigten Arbeiten uns zuweilen hart belasteten und die Stunden bis Mittag jedes Mal voll mit Stress beladen waren. Mit einem leichten Lächeln auf meinen Lippen legte ich meinen rechten Arm um Lia und meinte leise: „Machen wir sie stolz, so wie wir es immerzu tun."

Meine KurzgeschichtenWhere stories live. Discover now