Das Ritual

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Vor einiger Zeit war ich mit einer jungen Dame befreundet, auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen möchte. Eines Tages war ich als Helfer in ihrem Haus, um ihr bei der Entrümpelung des Dachbodens behilflich zu sein. Da das Haus nun schon sehr lange im Besitz der Familie war, lagerte dort allerhand alter Kram, der zu einem großen Teil unter staubigen alten Tüchern verdeckt war. Nach kurzer Zeit fanden wir unsere Freude daran die uralten Gegenstände genauer unter die Lupe zu nehmen und über deren Herkunft zu rätseln. Unter allerhand anderen interessanten Dingen, fanden wir den folgenden Brief, der nach Aussage der Bekannten an ihre Urgroßmutter adressiert war. Diese hatte damals eine Weile in England gelebt. Obwohl besagter Brief sehr alt und die Urgroßmutter schon lange verstorben war, wusste meine Bekannte immerhin dies über den Absender: Der Mann war ein guter Freund der Urgroßmutter, wurde jedoch irre und verstarb jung unter ungeklärten Umständen. Es musste der letzte Brief sein, den er an die Großmutter geschrieben hatte und den ich hier nun wiedergeben möchte:

Meine liebe Anna-Luise,

ich hoffe du verzeihst meine sehr späte Antwort auf deinen letzten Brief, über den ich mich so sehr gefreut habe. Voller Freude höre ich, wie gut es dir und den Kindern geht und ich hoffe auch jetzt - nach den inzwischen verstrichenen Monaten - könnt ihr das Leben in der Heimat genießen. Das wünsche ich mir von Herzen und... ach, gerne würde ich daran Teil haben. Umso mehr danke ich für deine Einladung, die ich nur zu gerne annehmen würde. Doch kann ich, so gerne ich doch würde, keine Zusage machen. Nur unser guter Gott weiß, wie schnell dieser Brief dich erreicht und ebenso obliegt unserem Herrgott die Antwort auf die Frage, ob ich euch überhaupt noch besuchen kann. Welch eine ironische Formulierung von mir, denn nie zuvor stand ich so kurz davor, dem Glauben zu entfallen wie dieser Tage. Verzeih mir, das ist kein guter Anfang für einen Brief.

Du fragtest mich wie es mir geht und ich will darauf ganz ehrlich antworten: es steht nicht gut um mich, ich habe das Gefühl einem Wahnsinn anheim zu fallen. Du kennst mich und denkst dir nun sicher ohne jeden Anflug der Überraschung deinen Teil dazu. Ich habe wohl bemerkt mit welcher Skepsis du meinen letzten Brief und die freudige Nachricht über meine neue Arbeitsstelle aufgenommen hast. Aber lass mich dir sagen: Meinen Hang zur Esoterik und meine Suche nach dem Übersinnlichen hatte ich schon lange überwunden, als ich nach langer Suche die Arbeit in dem Museum antrat. Wie ich dir schon berichtete, hatte es auch gut begonnen. Es ist ja nicht schwer den Nachtwächter zu spielen und selbst wenn der Lohn kaum zum Leben in dieser Stadt reicht, schien es doch leicht verdientes Geld zu sein.

Die meisten Nächte verbrachte ich in einem gemütlichen Sessel und las Bücher, ohne jedoch dabei meine Pflicht zu vergessen, die ja nun mal nur darin bestand hin und wieder eine Runde durch die Säle zu drehen, um nach den Rechten zu schauen. Es mag ja unheimlich erscheinen nächtens zwischen den düsteren Exponaten umherzugehen, aber das rührte nicht an mir. Ich bin schließlich an sich kein nervenschwacher Geist und Eindringlinge gab es kaum zu fürchten. Die Kunstschätze mögen für irgendwelche Leute vielleicht einiges Wert sein, aber eben nur für sehr wenige. Der Professor versicherte mir, dass wohl kaum jemand ein Interesse habe, sich eine der Statuen ins eigene Heim zu stellen. Das glaube ich gerne, wenn ich mir die hässlichen Fratzen anschaue. Zudem sind sie zu groß und zu schwer um sie schnell verladen zu können. Es war schon sehenswert, wie sie die Statuen in das Museum brachten. Interessenten scheint es auch nicht allzuviele zu geben. Täglich kommen Studenten, die sich hier mit gelangweilter Mine umtun - wohl weil man es ihnen so aufgetragen hat. Aber tatsächlich interessiert scheint kaum einer von denen zu sein. Ich kann es ihnen kaum verübeln, denn in den meisten dieser eigenwilligen Statuen ist für einen unkundigen Menschen kaum etwas zu erkennen. Mit einigen guten Willen lassen sich in den alten Steinen noch die menschlichen Züge erahnen, die sie sicher einmal dargestellt hatten. Von den Statuen abgesehen gibt es viele steinerne Platten auf denen Hieroglyphen zu sehen sind, die aber scheinbar niemand entziffern kann. Es gibt nur wenige fachkundige Menschen, die so etwas interessieren kann. Ohne jeden Zweifel ist der Professor einer von diesen. Täglich kommt er her und beschäftigt sich mit den Exponaten und manchmal bleibt er bis in die Nacht, so dass ich ihn oft antreffe.

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