Kapitel 1 - Das Schokokeksdilemma

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Wenn man Zeit seines Lebens täglich mit dem Tod konfrontiert wird, dann verschwindet irgendwann seine Bedrohlichkeit.
Es ist alles eine Frage der Einstellung und eine Sache der Gewohnheit.
Ja, man kann sich an den Tod gewöhnen, genauso wie an alles andere im Leben und wenn man sich erstmal damit abgefunden hat, dass das große Abenteuer des Daseins für jeden einmal endet, dann lernt man sogar mit Leichtigkeit die Vorzüge des Todes kennen und lieben.

Diese Faszination und Erkenntnis begleitete mich bereits seit meiner frühsten Kindheit, wie hätte es auch anders sein sollen mit einem Bestatter als Vater der sein Gewerbe von seinem Vater, so wie dieser von seinem vor ihm, geerbt hatte?
Mein Vater hatte mir seinen Beruf nie verheimlicht und so war ich schon früh mit Särgen, Urnen und Leichen in Kontakt gekommen.

Im Nachhinein würde ich nicht sagen, dass diese Einstellung mir geschadet hatte, dennoch hatte sie mich verständlicher Weise sehr geprägt.
Auch jetzt im Alter von 25 konnte ich mich noch genau an meine erste Leiche erinnern.

Damals war ich vier Jahre alt und wusste dank den Erläuterungen meines Vaters schon, dass Menschen und auch Tiere irgendwann starben.
D

ennoch war der Anblick meiner alten Nachbarin , wie sie da mit dem Gesicht am Boden lag, Arme und Beine weg gestreckt und vollkommen reglos, ein neuer, ungewohnter und auf komische Weise faszinierender Anblick.

Neugierig ging ich also auf sie zu und stupste sie an. Als sie sich auch dann noch nicht regte verstand ich die Lage, ließ mich aber nicht vom gewohnten Tagesablauf abhalten und begann mich mit ihr zu unterhalten. Die Tatsache das sie dabei bewegungslos auf dem Boden ihrer Einbauküche lag hielt mich davon nicht ab, ich wüsste ohne hin was sie auf meine Fragen und Erzählungen antworten würde.
So redete ich über das Wetter, den Kindergarten, aß ein paar der Schokokekse, die die gute Frau bereits für mich bereit gestellt hatte und streichelte die Katze.
Gegen späten Nachmittag ging ich dann wie gewohnt Nachhause, seit kurzem dürfte ich schon ganz alleine das kurze Stück nach Nebenan laufen, das machte mich sehr stolz.
Als meine Mutter dann fragte wie es war und wie es der alten Dame ging, erzählte ich ihr das diese Tod sei.
Danach ging ich in mein Zimmer und schlief tief und fest und träumte von Schokokeksen.

Etwa eine Woche später fand die Beerdigung statt.
Ich weiß noch das ich an diesem Tag sehr glücklich wahr.
So verwirren es auch sein mag war ich überhaupt nicht traurig, denn mein Vater hatte mir noch am Abend zuvor den Sarg mit meiner alten Freundin darin gezeigt und gesagt, dass sie jetzt an einem Ort sei, an dem sie alles machen konnte was sie wollte.
Auf die Frage, ob das auch hieße das sie ganz viele Schokokekse essen durfte, nickte er nur. Ich fand auch das sie, wie sie da so im Sarg lag, mit rosig geschminkten Wangen, sehr zufrieden aussah und wirkte als ob sie schliefe. Ich steckte ihr noch unbemerkt einen Keks für den Weg zu, bevor der Sarg abgeholt und in die Kirche gebracht wurde.
Außerdem war ich glücklich weil ich die Katze behalten durfte, einzig und allein die Kekse vermisste ich bereits jetzt.

So überstand ich meine erste Bestattung und das ohne eine Träne. Danach folgten viele weitere und umso älter ich wurde, umso mehr interessierte ich mich für die Arbeit meines Vaters.

Im Alter von sieben ließ uns unsere Grundschullehrerin ein Bild zu unserem Traumberuf malen. Abends wurden meine Eltern angerufen und von meiner Lehrerin dringend um ein Treffen gebeten. Vollkommen aufgelöst erklärte sie, dass sie sehr besorgt um meine geistige Verfassung sei, hatte ich doch in der heutigen Stunde ein komplett schwarzes Blatt abgegeben.

Am nächsten Tag staunte sie nicht schlecht, als meine Eltern sich zu einem Gespräch in ihrem Büro einfanden, denn während meine Mutter in einem luftigen Sommerkleid steckte, trug mein Vater seinen schwarzen Bestatteranzug und nahm beim Eintritt in den Raum seinen schwarzen Seidenzylinder ab. Beiden schüttelte sie die Hand , dann setzten wir uns.  Ich auf den Schoß  meiner Mutter, mein Vater aus einen zweiten Stuhl daneben und die Lehrerin hinter den Schreibtisch.
Sie kam sofort zum Punkt und schilderte noch einmal besorgt die Geschichte des Vortages. Meine Eltern sahen mich an, Verwunderung in ihren Gesichtern, allerdings wohl nicht die gewünschte Reaktion meiner Lehrerin. Sie redete weiter, wand sich dieses Mal jedoch an mich und fragte was es mit dem Bild, auf sich habe.
Ich zuckte mit den Schultern.

Schon damals wusste ich das ich kein besonders großes Maß an künstlerischem Talent geerbt hatte, deshalb hatte ich mich für das Motiv eines Sargdeckels entschieden - von innen versteht sich, denn ich wollte Bestatter werden, genau wie mein Vater.
Mein Vater grinste, die Lehrerin jedoch funkelte ihn böse an und murmelte etwas von falschem Umgang in so jungem Alter. Es war uns egal.

Als wir das Schulgebäude verließen klopfte mein Vater mir anerkennend auf die Schulter:" Mein Sohn will also Bestatter werden? Fabelhaft! "
Gemeinsam stiegen wir in den Leichenwagen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 20, 2016 ⏰

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