☆ Ohne Dunkelheit kein Licht ☆

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❝So wie es ohne Dunkelheit kein Licht geben kann, verpassen wir ohne Tiefschläge auf unserem Weg unsere Träume zu verwirklichen die Chance, an uns selbst zu wachsen.❝

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Gestern noch gab es in meinem Leben keinen Platz für Selbstzweifel. Heute sah ich mich unfreiwillig mit der Frage konfrontiert, was ich in der Vergangenheit wann wie falsch gemacht habe. Ich war immer ambitioniert und ehrgeizig gewesen. Neben meinem Plan A, Ärztin zu werden, existierte nie ein Plan B.

Ich saß in unserer schmalen Küche an dem kleinen, quadratischen Esstisch und starrte apathisch an die weiß verputzte Wand. Der Brief vom Prüfungsausschuss lag noch immer entfaltet vor mir. Nicht bestanden lautete sein niederschmetternder Inhalt. Und in unserem gemeinsamen Schlafzimmer hörte ich Adrian weiter unbeirrt seine Sachen zusammenpacken. Er wusste nicht, was in dem Schreiben stand, aber ich war mir sicher, dass es ihn auch nicht länger interessierte.

Als ich vorhin nach Hause gekommen war, hatte er hier regungslos gesessen. Mit angespannten Kiefermuskeln, meinem beunruhigten Blick pedantisch ausweichend. Vielleicht, vermutete ich, um bei meinem Anblick nicht in Versuchung zu geraten, sein Vorhaben letztendlich noch umzuwerfen. Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, was mich erwartete. Fragte mich nun aber, ob es etwas an der Intensität des zerreißenden Schmerzes geändert hätte, der mich vollkommen lähmte und zur Tatenlosigkeit verdammte. Höchstwahrscheinlich nicht. Ob Kenntnis oder Unwissenheit, er hätte mich ohnehin verlassen und ich wäre gleichwohl nicht in der Lage das sinnige Wieso in seiner Gesamtheit zu erfassen.

"Ich gehe dann jetzt", verkündete er, als er im Türrahmen erschien und sein Gesicht einen reuevollen Ausdruck zur Schau trug. Es tat ihm leid, das sah ich ihm an, zudem kannte ich ihn, konnte leicht schlussfolgern, dass ihn Gewissensbisse plagten, schließlich waren wir seit der Oberstufe ein Paar. Wir waren es gewesen wohlgemerkt. Denn nun hatte er allein beschlossen, unsere gemeinsamen Jahre einfach wegzuwerfen. Für eine andere Frau, die er nach eigener Aussage erst seit gerade einmal ein paar Monaten kannte. Es tat ihm meinetwegen leid, nicht unserer Beziehung wegen, die für ihn offenkundig an Priorität verloren hatte.

"Zieh bitte die Türe hinter dir zu, wenn du gehst", erwiderte ich trocken. Mehr hatte ich ihm nicht zu sagen. Er nickte knapp, dann schulterte er seine Sporttasche, in der er das Nötigste verstaut hatte und wandte sich von mir ab. Es bestätigte einmal mehr mein Eindruck, den ich nicht erst gestern gewonnen habe, dass wir beide uns einander nichts mehr zu sagen hatten.

"Ich komme nächste Woche nochmal und hole den Rest ab", lauteten seine letzten Worte, bevor er im Flur verschwand. Ich lauschte auf die Wohnungstür, die einige Augenblicke später bestimmt ins Schloss gezogen wurde. Das war der Funken, der den Schalter in meinem Inneren in Bewegung setzte und die Tränen aus meinen Augenwinkeln brechen ließ.

Ich war bereits ohne Perspektive, und nun auch noch allein. Nach dem nicht bestandenen ersten Versuch der Mündlichen hätte ich mich mental auf diese Möglichkeit vorbereiten sollen. Denn das konnte passieren, die Wahrscheinlichkeit eines Nichtbestehens war nicht sehr gering. Als Medizinstudierender sollte man sich am besten schon im frühen Stadium seines vorklinischen Studiums dessen vergegenwärtigen. Die Hürde des Physikums bedeutete für einige von uns das Aus vom Traumberuf Arzt.

Ab heute musste ich lernen, zu akzeptieren, es nicht geschafft zu haben. Trotz einem erstklassigen Abitur konnte ich es nicht bewerkstelligen, meinen Traum zu verwirklichen. Ab morgen würde ich mir offiziell neue Träume suchen müssen.

Aber was machte man, wenn man alles auf eine Karte gesetzt hatte, wenn es keine Alternativen gab, wenn der Sinn im Leben ausschließlich darin bestanden hatte, sich für die Medizin aufzuopfern?

SkycatcherWhere stories live. Discover now