Kapitel I

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Du bist gestorben und weißt es nicht,
Erloschen ist dein Augenlicht.
Und als wir kamen zu deinem Grab,
Da stieg der Mond vom Himmel herab.
In einer schaurigen Herbstesnacht,
Hab ich dich selber zu Grab gebracht.

~ Heinrich Heine - "Altes Lied"

Die Dunkelheit drohte mich zu verschlingen und ich öffnete die Augen. Doch die Schwärze wich nicht von mir. Sie blieb wo sie war.

Der kalte Untergrund, auf dem ich lag, drückte sich hart in meinen Rücken. Vorsichtig tastete ich meine Umgebung ab und bekam trockene Erde zu fassen, die in bröseligen Klumpen durch meine Finger rieselte. Gerne hätte ich mich jetzt umgeschaut, doch meinem Vorhaben wurde ein Strich durch die Rechnung gezogen, da ich keine Lichtquelle ausfindig machen konnte. So blieb ich noch eine Weile liegen, bis ich nicht mehr wusste, wie lange ich mich schon an diesem Ort befand, da mein Zeitgefühl, welches ohnehin nicht besonders gut war, nun noch mehr gestört wurde.

Als mein Körper bereits die Temperatur des gefrorenen Bodens übernommen und ich das Gefühl hatte, wenn ich noch länger so bleiben würde, bald keine Wirbelsäule mehr zu haben, gab ich mir einen Ruck und versuchte kläglich auf die Beine zu kommen. Mühsam schaffte ich es mich unter starken Schmerzen in eine ziemlich unbequeme Sitzposition zu befördern. Vorsichtig robbte ich in einem halbherzigen, verkorksten Schneidersitz vorwärts, stets darauf bedacht, nicht sofort wieder umzukippen.

Doch leider, wie sollte es auch anders sein, stieß ich nach einem Weg von vielleicht gerade mal sechs Robb-Zügen, für die ich mindestens fünfzehn Minuten gebraucht habe, gegen einen Baum und fiel wie ein Dominostein nach hinten um. Was zur Hölle machte denn ein Baum hier? Okay, ich war anscheinend in einem Wald und da standen nun mal Bäume, aber musste ich direkt in einen rein krachen? Fluchend rieb ich mir die Stirn. Ich wurde in meinem Handeln, dem Hindernis Schimpfwörter an die Krone zu werfen, die garantiert nicht für die Ohren eines Kindes bestimmt waren, unterbrochen, als ich plötzlich ein leises Rascheln in meiner Nähe vernahm.

Angstvoll riss ich meinen Kopf herum, ließ meine Finger durch das trockene Laub gleiten und schlug wild um mich. Ohne auch nur die Hand vor Augen zu erkennen stellte sich das jedoch als ziemlich schwierig heraus. Das einzige, was ich traf, war der Baum und das milderte meine Schmerzen nicht unbedingt.

Das Geräusch entfernte sich langsam, bis es schließlich ganz verklang. Wahrscheinlich war es nur ein Hase, oder ein anderes Fluchttier. Mein Atem beruhigte sich etwas und ich ließ die Arme erschöpft neben meinen Körper sinken.

Wie war ich hier her gekommen? Und was war hier überhaupt?
Ich wusste weder wer ich war, noch wo ich war. Diese Erkenntnis löste Panik in mir aus. Sofort wanderten meine Hände an meine Brust und bekamen auch etwas zu fassen. Erleichtert atmete ich aus. Wenigstens wusste ich jetzt, dass ich eine Frau war. Ich rollte mich zu einer Kugel zusammen und versuchte Erinnerungen aus den hintersten Ecken meines Gehirns zu kramen. Von der Schlussmachszene meines Exfreundes (woraufhin ich in den Wald rannte, gegen einen Baum lief und ohnmächtig wurde) bis hin zum Ruin meiner Lieblings-Keksfabrik (der Verlust verursachte in mir starke Depressionen und ich rannte aus Frust in den Wald, gegen einen Baum und wurde ohnmächtig) war mir alles Recht. Doch vergeblich. Das einzige, was ich in den tiefen meines Kopfes finden konnte, waren Worte. Ein einziger Satz spukte in meinem Kopf herum, ließ sich nicht vertreiben, wiederholte sich immer und immer wieder.

Vertraue niemals deinen Augen, denn sie werden dich täuschen.

Danke, komische Stimme in meinem Kopf, aber mein Name wäre mir lieber, denn anscheinend hast du noch nicht bemerkt, dass ich hier wortwörtlich im Dunkeln sitze! Was bringt es, meine Augen aufzumachen, wenn ich sowieso nichts sehen kann?!

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 24, 2016 ⏰

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