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Zitternd stieg ich aus dem bereits ausgekühlten Wasser und trocknete mich eilig ab. Das Fenster stand offen und ein eiskalter Wind wehte mir durch die Haare. So schnell ich konnte, zog ich mir meine Klamotten an und stellte mich vor den Spiegel. Einen Moment lang starrte ich bloß mein Spiegelbild an. Meine blauen Augen, meine etwas lange Nase, meine roten Wangen, mein dunkel-gefärbtes Haar. Auch ein paar vereinzelte Pickel fielen mir ins Auge, doch die kümmerten mich kaum. Mein Gesicht war so ungefähr das Einzige, das ich an mir mochte. Ich hatte schon oft Komplimente für meine Augen bekommen und ich liebte meine Haare. Ich liebte es sie zu verändern, zu frisieren, sogar sie leicht zu verschneiden – natürlich niemals mehr als fünf Zentimeter, denn ich wollte sie gern lang tragen.

Der Rest von mir..naja. Das war ja nicht wirklich ich, nur das, was meine Gene mir eingebrockt hatten. Zumindest versuchte ich mir das immer einzureden.

Also wie sich schon vermuten lässt, hatte ich nicht unbedingt das Idealgewicht. Wenn man hinsah, waren an meinem Körper deutlich einige Fettröllchen zu verzeichnen. Meine Oberschenkel glichen jungen Bäumen und durch mein breites Kreuz wirkten meine Arme nur noch dicker als ohnehin schon. Ich hasste es. Das einzige Glück hatte ich bei meinen Fingern, die zu meiner größten Erleichterung keine „Wurstfinger" waren.

Ich gab wirklich mein Bestes, meine Ernährung runterzuschrauben, ich hatte mir ein sportliches Hobby gesucht, ja sogar einen Job nach der Schule angenommen, nur um den Blick vom Kühlschrank abzulenken. Nichts half – es war ein Fluch.

Also blieb mir nur mein Gesicht, um mich einigermaßen ansehnlich zu fühlen. Viele mögen jetzt denken, dass es hätte schlimmer kommen können, doch für mich gab es dennoch genug Grund mich hässlich zu fühlen.

Nachdenklich klopfte ich mit meinen langen Fingernägeln auf den Rand des Waschbeckens. Dann schnappte ich mir eine Bürste und kämmte meine Haare gut durch. Ich wollte sie eigentlich nicht föhnen, weil so keine Wellen entstanden, aber ich wollte sie auch nicht einfach offen lassen. Ohne groß nachzudenken schnappte ich mir einige feuchte Strähnen und flocht jeweils aus dreien von ihnen dünne Zöpfe, die ich hinter dem Kopf noch einmal zusammenflocht. Dann band ich mir einen Pferdeschwanz, aber so, dass man das entstehende Muster noch erkannte. Ich betrachtete mich erneut im Spiegel. Ich wusste, wir würden heute Abend noch meine Großeltern besuchen und meine Haare waren noch nicht vollständig getrocknet. Also..doch föhnen. Vorsichtig trocknete ich meinen Pferdeschwanz, darauf bedacht, nicht wieder alles zu zerstören. Schließlich drehte ich ihn noch zu einem Dutt hoch. Mit dem Schminkspiegel meiner Mutter begutachtete ich noch einmal alles von hinten. Nett.

Zufrieden und einigermaßen gutgelaunt hüpfte ich die Treppe hinunter, in die Küche. „Hey! Trampel hier ni so rum!", hörte ich meine Mutter sofort aus dem Wohnzimmer schreien. Natürlich – ich hatte nur darauf gewartet. Doch das konnte mich kaum ausbremsen. Ich war es gewohnt, dass sie ständig wegen irgendwelchen Lappalien meine Laune zerstörte.

Aber nicht gerade jetzt, sie würde ihr Ziel bestimmt noch irgendwann diesen Abend erreichen, doch..eben nicht jetzt.

Vorsichtig stellte ich meinen Laptop auf den Tisch und startete meine YouTube-Playlist. Gebannt höre ich den Musikvideos zu, während ich mir ein Glas Milch fülle. Sofort überkam mich ein schlechtes Gewissen – eigentlich dürfte ich nur Wasser trinken...aber was soll's. Das würde es jetzt auch nicht schlimmer machen. Gedankenverloren starrte ich mit dem Glas in der Hand aus dem Fenster. Es war bereits dunkel und einige leuchtende Sterne waren am klaren Nachthimmel zu erkennen. Die Sterne – es gab für mich nichts Perfekteres. Wann immer ich sie ansah, fühlte ich mich so frei und unverletzlich, ein überwältigendes Gefühl. Doch der Moment währte natürlich wieder nicht lang. Mum riss die Küchentür auf und kam hereingestürzt. „Wieso bist du denn immernoch ni angezogen? Wir wollten schon vor zehn Minuten bei Oma und Opa sein!", meckerte sie aufgebracht. „Du hättest mir ja auch einfach eher Bescheid geben können.." „Quatsch ni rum, wer' endlich fertig." Ich verdrehte bloß die Augen, es würde nichts bringen, streiten zu wollen. Wenn ich laut meine Meinung sagen würde, würde sie nur noch lauter anfangen zu toben. Keine Ahnung, warum sie so war. Es war nicht immer so gewesen, doch jeder hat eine Geschichte, wie es so schön heißt.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 24, 2016 ⏰

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