Untitled Part 1

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Mila war erst 13 als alles begann, das weiß ich noch genau. Es war der erste Tag im Oktober als sie mit rot unterlaufenen Augen meine Praxis betrat. Sie sah verängstigt aus, ich kann mich noch genau daran erinnern. Sie trug eine schwarze Hose, dass eine Hosenbein war schon geflickt worden, ihr T-Shirt war rot und total verdreckt und ihre Jacke schien auch schon älter zu sein. Ihr Blick war leer und hilflos. Ich wusste nicht was sie von mir wollte, doch als sie mir in die Augen sah fingen ihre Augen an sich mit Tränen zu füllen, es dauerte keine Sekunde bis ihre Beine die Kraft verloren und sie zu Boden fiel. Ich weiß es alles noch so genau. Ich erstarrte einen Moment, bis ich nun voller Schreck zu ihr rannte. Es schien ihr bis auf ihren Zusammenbruch gut zu gehen. Ich war alleine, somit konnte ich keinen um Hilfe bitten. Zum Glück rappelte sie sich schnell wieder auf, doch sie flüchtete. Ich wurde nicht schlau aus diesem Mädchen. Was wollte sie denn hier? Was wollte sie von mir? Ich zerbrach mir den Kopf, fragte mich ständig warum sie her kam und dann doch wieder floh. Wollte sie meine Hilfe? Aber wenn ja, warum floh sie? Es war spät geworden. Ich musste wohl das Zeitgefühl verloren haben. Als ich um 19 Uhr die Praxis abschließen wollte, hörte ich ein leisen winseln. Es war kaum zu hören. An der Hauswand lehnte jemand, ich sah einen Schatten auf dem Boden. Die Laterne auf der anderen Straßenseite blendete mich. Eigentlich wollte ich die Praxis nicht mehr verlassen, ich hatte mir vorgenommen über Nacht zu bleiben, doch ich konnte doch nicht einfach abschließen, ohne einmal nachgeschaut zu haben ob jemand meine Hilfe braucht. Ich trat einen Schritt aus der Tür heraus, das linke Bein noch in der Tür, dass rechte schon davor, doch ich konnte nichts erkennen, ein schwarzer Schatten, mehr nicht. Nur das winseln wurde lauter, nicht nur lauter, es verwandelte sich in ein bitteres Weinen. Ja, dieser Tag veränderte wohl mein Leben.

Ich trat dem Schatten einen weiteren Schritt entgegen und was ich dann sah, würde ich mein Leben nicht mehr vergessen. Ein mit Blut überströmtes Mädchen, ohne Jacke und ohne Schuhe kauerte an der Hauswand. Das Leid stand ihr ins Gesicht geschrieben. Ohne weiter gegangen zu sein stand ich plötzlich vor ihr. Doch ich wusste nicht wie ich reagieren sollte. Ohne auch nur einen Blick ausgetauscht zu haben, nahm ich sie unter ihren Armen und half ihr hoch. Ich wusste dass ich ihr helfen musste. Dass sie keine Schuhe trug, wurde mir in diesem Moment das erste Mal so richtig klar. Sie wirkte so erschöpft, so kraftlos. Unter diesen Umständen konnte ich sie keines Falls alleine draußen rum laufen lassen, zumal wirkte sie noch sehr jung und verängstigt.

Ich war selbst nicht sehr stark, doch in diesem Moment nahm ich sie mit einem Ruck in den Arm und trug sie rein, legte sie auf dem großen Sessel ab und deckte sie mit meiner Jacke zu. Ich war so überfordert. Wusste nicht wie es jetzt weiter gehen sollte. Sie konnte unmöglich hierbleiben. Ihr liefen Tränen die Wangen hinunter, ihre Mundwinkel fielen nach unten und ihre Hände zitternden.

Ganz leise und vorsichtig trat ich abermals an sie heran, setzte mich auf die Lehne des Stuhls und strich ihr vorsichtig die von ihrem Makeup verklebten Strähnen aus dem Gesicht. Sie wirkte so zutraulich, gar nicht so wie ich es erwartet hatte. Leise, schon fast flüsternd bat sie mich nach einem Glas Wasser. Das waren ihre Ersten Worte und damit begann das Ganze Drama erst. Ich wusste nicht auf was ich mich da eingelassen hatte, doch heute bin ich froh, froh ihr geholfen zu haben.

Ich lief im Eiltempo in die Besuchertoilette, kramte in meiner Hosentasche nach dem Schlüssel für den abgeschlossenen Spiegelschrank, vor lauter Nervosität dauerte es einige Sekunden bis ich das Schlüsselloch traf. Zum Glück hatte ich gestern in meiner Pause die Handtücher und Waschlappen noch einmal sortiert. Ich ließ warmes Wasser in das Waschbecken laufen und tränkte dort einen der Waschlappen ein, wrang ihn aus, schnappte mir noch ein Handtuch und schmiss die Schranktür wieder zu. Glücklicherweise lag sie noch auf dem Sessel. Sie zitterte. Mit dem warmen Lappen wischte ich vorsichtig ihr Gesicht ab, unter all dem Blut verborgen sich unglaublich tiefe Wunden. Ich war schockiert, sie rührte sich nicht, hielt diese Schmerzen aus, ohne auch nur einen Ton von sich zu geben. Als ich fertig mit ihrem Gesicht war, begab ich mich an ihre Arme, die noch viel schlimmer aussahen als ihr Gesicht, kaum vorstellbar welche Schmerzen sie haben musste. Sie schien sich langsam zu beruhigen, ihr Atem wurde langsamen und auch ihr Zittern wurde besser. Die einzige Frage die sich mir noch stellte, war, wie ich nun weiter vorgehen sollte. Für diese Nacht würde ich sie hier behalten, vielleicht würde sie mir sagen was mit ihr passiert war.

Alles findet seinen WegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt