❝Mistletoe❞ ❲Hunhan-Os❳

°»Hunhan«°

"Wer war das gerade eben?" Egal wie oft er diesen Satz innerhalb weniger Minuten durchgespielt hatte, egal wie häufig er dieses und alle eventuell darauf folgenden Szenarios in Fantasie durchlebte  und egal, wie sehr er sich bemühte, diesen scheinbar harmlosen Satz völlig bedeutungslos in den Raum zu werfen, es wollte ihm nicht gelingen. Die Worte klangen falsch, wie man sie auch drehte. Weil sie falsch waren. Schliesslich war Luhan nur sein bester Freund, nicht sein Eigentum und er konnte reden mit wem auch immer er wollte. Eifersucht war eine völlig unangebrachte, unnötige Emotion.

Doch trotzdem schaffte sie es, so sehr gegen seine Schädeldecke zu drücken, dass es sich anfühlte, als würden Tausende Presslufthammer auf einmal dagegenhämmern. Es war der erste Gedanke, der sich wirklich als schmerzvoll bezeichnen ließ, also musste er einfach fragen, wenn es ihn nicht von innen zerschlagen sollte. "Warum fragst du?" Luhan sah ihn nur irritiert an. Beinahe hätte Sehun erleichtert aufgeatmet, scheinbar konnte er doch besser schauspielern als seine Seele ihm weiss machen wollte. "Nur so" Er zuckte beiläufig mit den Schultern, stellte zufrieden fest, dass es nun tatsächlich lässiger wirkte. "Weisst schon, sie war echt hübsch und so.." Sehun wackelte gespielt charmant mit den Augenbrauen.

Diesmal war es keine Erleichterung, Gedanken in Worte zu fassen und in die kühle, klirrende Winterluft zu entlassen, wo sie in weißen Atemwölkchen verdampften, das Echo geschluckt von einer unangenehmen Stille. Alles, was blieb, war ihr Eindruck in Luhans hübschem Kopf, wie ein Abdruck in noch feuchtem Beton. Vielleicht für immer sichtbar. Nein, diesmal war es keine Befreiung. Im Gegenteil, es fühlte sich an, als sei jede gesprochene Silbe mit doppelter Geschwindigkeit zurück in ihn reingeschossen, bohrten sich nun unangenehm stechend in seine Brust, die sich daraufhin bei jedem Atemzug schmerzhaft zusammenzog.

Es stimmte, das Mädchen, mit dem Sehuns bester Freund gesprochen hatte, war hübsch gewesen. Sehr hübsch. Zu hübsch. Luhan sog die frische Luft ein, seufzte hörbar und beobachtete die Schneeflocken, die er dabei aus ihrer wackeligen Flugbahn brachte. Jetzt sah es aus, als würden sie im eisigem Winter tanzen.

Der Ältere schien sich extra viel Zeit mit der Antwort zu lassen. Wer weiss, vielleicht amüsierte ihn das warme, leichte Rot auf Sehuns Wangen, welches dieser nur zu gern auf die Kälte geschoben hätte, oder das ungeduldige Funkeln in den Augen, die damit ihre Umgebung glänzend einfingen und einen heftigen Kontrast zu ihr aufstellten. Sie waren so schön dunkelbraun,fast als hätte jemand sie mit dampfender, heißer Schokolade gefüllt. Luhan liebte diesen Vergleich, genau wie er diese Augen liebte, die so perfekt in das ebenfalls perfekte Gesicht passten. Wenn man nur lange genug in diese Kakaoseen blickte, konnte man vielleicht darin untergehen, bis man auf einer glasklaren Seele neuen Halt fand.

Er hielt an diesem Gedanken fest, verscheuchte ihn aber wiederwillig, als der Chinese zu der lang ersehnten Antwort ansetzen musste. "Nur eine alte Schulfreundin, niemand besonderes" hauchte er grinsend. Sehun runzelte die Stirn. "Dafür, dass das eben niemand besonderes war, habt ihr ewig geredet" Sehun spürte, wie die Eifersucht, die diese Worte nun doch um soviel schärfer klingen ließ, als würde sie diese wie ein Messer schleifen, ihm eben mit diesem Messer lachend in die Magengrube  fuhr. Wieso kannst du dich nicht beherrschen?, tadelte er sich selbst, doch Luhan hatte von all dem nichts mitbekommen. Frag nicht so viel,ich will dich weiter in Ruhe ansehen können,du Dummkopf 

Es waren unausgesprochene Gedanken, die die beiden besten Freunde in ein weiches, verlockendes Kokon hüllte, sie mit eigenen Fantasien wärmte und dafür blindmachte, dass sie auch in dieser Realität ein gemeinsames Leben hatten. Wenn sie nur endlich ihre eigenen Welten verlassen und sich auf die Suche nach der gemeinsamen Brücke machen würden. Von innen war es eine süße, feine Fantasie, doch nach aussen hin nichts als bedrohliche Festungen und undurchdringliche Mauern, gestützt von mächtigen, dunklen Gedankenpfeilern.