Kapitel 15

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Nie aus der Wahrheit ist so viel Gutes erwachsen,
Als aus der Wahrheit Schein Böses erwächst in der Welt.
Gerhard Anton von Halem

Nachdem ich das Papier gesehen hatte, hatte ich es schnell eingesteckt und war mit meinen Sachen geradewegs zum Bus und nach Hause gegangen. Jedes Mal, wenn ich daran dachte, was darauf stand, wurde mir schwindelig und ich bekam Schnappatmung. Die Busfahrerin sah mich bereits an, als würde ich zum Hulk werden. Ich hatte auch Ver angerufen, sie war mindestens genauso geschockt wie ich und hatte mir versichert, mich noch am selben Abend zu besuchen, was sie dann auch tat. Nachdem sie geklingelt hatte und hereinkam, waren wir direkt in mein Zimmer verschwunden, wo Ver sich auf meiner gemütlichen Couch niederließ. Wir beide wussten nicht so recht, was wir sagen sollten.
Ver brachte schließlich doch ein „Oh, mein, Gott!“ raus.
„Ja, das kannst du laut sagen!“
„Schauen wir noch mal auf die Fakten. Du hast Albträume, in denen dieser creepy Chor dich persönlich anspricht. Und als die Bradstreet Boys dir nachlaufen wie Massenmörder mit Kettensäge hinter ihrem Opfer, fegt dir ein Orkan mitten auf dem Schulflur circa 1000 Blätter um die Ohren. Als du die Augen aufmachst ist nur noch 1 Blatt übrig, auf dem das selbe steht, was der Chor in deinen Träumen sagt. Trix, ich glaube, du hast ein Problem.“
„Könnte es sein, dass Brad etwas damit zu tun hat?“, fragte ich Ver.
„Nicht unbedingt. Es könnte auch Zufall gewesen sein.“, antwortete sie. Schön und gut, nur glaubte ich mittlerweile nicht an Zufälle.
„Was ist, wenn jemand anderes aus der Bradstreet Boy Gang die Situation ausgenutzt hat? Warum auch immer.“
„Naja, also eigentlich kann man ja jeden von denen allein wegen ihres Intelligenzquotientens ausschließen.“, überlegte Ver.
„Außer einen.“
„Du meinst, der Neue?“
„Ich meine, vielleicht bin ich einfach nur übergeschnappt, aber du kannst nicht abstreiten, dass Saiph eventuell was damit zu tun hat.“, begann ich meine Hypothese. Ver nickte. „Und das ist jetzt vielleicht weit her geholt, aber der Neue ist Saiph in gewisser Weise sehr ähnlich. Und es ist schon ein merkwürdiger Zufall, dass er genau dann an die Schule kommt, wenn ich nach Tagen wieder selbst da bin und Saiph eben nicht mehr.“
„Kann sein, dass deine Theorie wirklich absoluter Bullshit ist, aber du kannst ja zumindest mal in die Richtung ermitteln. Sonst haben wir nämlich gar nichts.“
„Ich muss ihn also irgendwie in ein Gespräch verwickeln, um Informationen aus ihm herauszuquetschen.“, schlug ich vor.
„Genau.“, bestätigte Ver.
„Aber du hast selbst gesagt, der ist komisch. Wie soll ich ihn denn bitte ansprechen?“
„Du musst ihn nicht ansprechen. Wenn er in irgendeiner Weise was von dir will, dann wird er früher oder später zu dir kommen.“ Und Ver sollte Recht behalten.


Am Montag darauf sprach er mich tatsächlich an. Ich war mal wieder an meinem Spint und suchte nach der Packung TicTacs, die ich Freitag in der Hektik dort vergessen hatte. Als ich erfolglos blieb, knallte ich genervt meine Spinttür zu und hätte fast einen Herzinfarkt bekommen. Der Neue lehnte direkt dahinter.
„Heilige Scheiße, was willst du denn von mir?“, fragte ich ihn erschrocken.
„Oh, mein Spint ist hier. Deine Wenigkeit interessiert mich eigentlich herzlich wenig.“ Oh, charmant. „Aber wo ich schon mal dabei bin. Mein Name ist Antares Crave. Wer du bist, musst du nicht sagen. Dich kennt ja bereits die gesamte Schule nach deinem peinlichen Auftritt in der Eingangshalle.“ Was für ein arroganter Vollspaten. Doch aus irgendeinem Grund konnte ich meinen Blick nicht von seinen eingebildeten Zügen wenden. Die leuchtend grünen Augen mit diesen dunklen Sprenkeln drin. Hach…
Stopp!!! Antares = arroganter Arsch! Warum ging der romantisch veranlagte Teil meines Hirns nur so ab, wenn ich EINMAL einen scharfen Typen vor mir hatte? Dieser beugte sich zu mir vor und raunte: „Ich frage ich nur, warum du so panische Angst vor einem einfachen Blatt Papier hast…“. Antares lachte, drehte sich um und ging.
Ich rührte mich keinen Millimeter, nicht einen einzigen. Mein Blut war wie gefroren, mein Herz schien mit verzweifelten, kräftigen Schlägen zu versuchen, mein Hirn weiter mit Sauerstoff zu versorgen.
„Was ist los Trix?“, sagte Ver, die gerade auf mich zukam.
„I..Ich denke, ich weiß, wer das mit dem Orkan war.“


„Nein, verstehst du denn nicht? Niemand war in der Nähe außer mir. Somit ist die letzte halb-logische Erklärung…“, überlegte ich, während Ver und ich beim Mittagessen auf dem Schulhof saßen.
„Das Antares den Orkan ausgelöst hat. Aber wie soll er das denn bitte gemacht haben? Ja wohl kaum mit einem handelsüblichen Ventilator..“, sagte Ver.
„Du hast recht. Aber dann hat er mir irgendwie Halluzinogene verpasst.“
„Wenn das wahr wäre, dann würde das bedeuten, dass das Blatt auch nur eingebildet war. Aber das kann nicht sein, denn 1. hast du es mir ja gezeigt…“
„Aber vielleicht habe ich es unterbewusst selbst beschrieben…“
„…und 2. könnte Antares dann auch nichts davon wissen, da er ja wohl kaum die selbe Halluzination hatte wie du. Und aus dieser Erkenntnis, meine liebe Bellatrix, folgt, dass, wie bescheuert es auch klingen mag, übernatürliche Kräfte im Spiel sind.“ Wow, dass Ver das Wort ‚übernatürlich‘ mal nicht in einem verspottenden Zusammenhang verwendete, war echt verwunderlich. Aber längst nicht so verwunderlich, wie die Sache mit Antares. Und eines war ja wohl klar: Saiph hatte auch was damit zu tun und ich würde alles daran setzten, um herauszufinden, inwiefern. Denn was mir eindeutig bewusst war, war, dass so viele scheinbar übernatürlichen Vorfälle in einem Zusammenhang standen.

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