Kapitel 1

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"Wisst ihr, manche Dinge kann man lernen. Fahrrad fahren, schwimmen, Sprachen und Allgemeinwissen. All das, kann man sich durch Übung aneignen. Kunst jedoch - das ist ein Talent. Die Kunst der Musik, der Malerei, des Schauspiels, der Dichtung, der Philosophie, der Literatur, diese Dinge kann man nicht lernen, man muss sie einfach können. Natürlich kann sich jeder Künstler verbessern, aber wenn man das Talent einer Kunst vom lieben Gott bekommen hat, dann wird sich das niemals ändern.", beginne ich meinen ersten Unterricht an meiner neuen Universität und die Nervosität scheint mich beinahe aufzufressen.

Mehr als fünfzehn junge Gesichter beobachten jede meiner Bewegungen, als wäre ich die Lösung zu ihren Problemen und das hilft mir nicht wirklich.

Bevor ich weiterspreche, atme ich tief durch und fahre mir kurz durch die Haare, ehe ich meine komplette Aufmerksamkeit wieder an die Klasse wende.

"Als ich beschlossen hatte, Literatur zu studieren, wusste ich sofort, dass ich Lehrerin werden wollte, denn ich finde, es gibt keinen besseren Beruf. Als Lehrer lehrst du, aber du lernst auch. Die Beziehung zwischen einem Meister und seinem Lehrling beruht auf gegenseitigem Respekt, Anstand, Rücksicht und Verständnis.", fahre ich fort, bemerke, wie manche sich richten, noch aufmerksamer zuhören und plötzlich durchfährt mich eine Welle an Mut.

"Wie euch wahrscheinlich aufgefallen ist, bin ich sehr jung, vielleicht nur ein paar Jahre älter als einige von euch. Ich bin eure Dozentin und damit habe ich einen gewissen Rang, aber ich bin nicht besser als ihr, nur damit das klar ist. Vor ein paar Jahren, saß auch ich noch dort wo ihr es euch jetzt gemütlich gemacht habt und genau deswegen, werde ich versuchen, so viel Verständnis wie nur möglich zu zeigen. Aber wie bereits erwähnt erwarte ich dasselbe von euch."

Immer wieder lasse ich meine Augen über die Menge gleiten, bemerke die Schönheit meiner Studentin, aber auch ihr gutes Benehmen, schon allein an ihrer Haltung.

"Ihr seid die besten der besten, denn letztendlich habt ihr es an die University of Harvard geschafft und dafür muss man gut sein. Ich weiß, dass die Erwartungen von Harvard Studenten immer sehr hoch ist, aber so ist es eben. Wenn ihr keinen Bock auf all das hier habt, könnt ihr ja auch auf ein staatliches College gehen, niemand hält euch auf. Die Möglichkeiten die ihr durch eure Anwesenheit hier bekommt sind massiv und unglaublich weitreichend, deswegen nutzt sie."

Erneut atme ich tief durch, denn aus irgendeinem Grund bekomme ich ständig Gänsehaut und meine Knie scheinen weicher als Wackelpudding.

Ich wusste, dass ich nervös sein werde, aber niemals hätte ich erwartet, beinahe zu sterben, denn genau so fühlt es sich an.

"Aber jetzt zum wichtigeren Teil: Literatur. An wen denkt ihr, wenn ihr dieses Wort hört? Nicht Geschichten, Gedichte, Bücher oder Dinge, sondern Personen will ich hören.", sage ich und setze ich mich auf meinen riesigen Tisch, der von ganz oben nicht größer aussieht als ein Fahrrad.

Mehrere Finger erheben sich und sofort gleitet mein Blick zu der Blondine mit den strahlend blaugrünen Augen, die mir irgendwo ähnlich sieht, aber dann doch eher die Kopie unserer Mutter ist.

Ich lächle meine kleine Schwester kurz an, bevor ich mich an den braunhaarigen Jungen wende, der einen tollen lateinamerikanisch Touch hat und grinsend nicke ich ihm zu.

"Sagt bitte eure Namen, bevor ihr zu sprechen beginnt.", verlange ich und der junge Mann nickt, bevor er durchatmet.

"Harrison Hadley, uhm Friedrich Schiller.", antwortet er und ich nicke heftig.

ALECWo Geschichten leben. Entdecke jetzt