Teil 6

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Erschrocken hielt ich die Luft an, wollte nichts mehr, als aus dem Raum rennen und weit, weit weg fahren. Stille breitete sich aus. Unangenehme Stille. Ich hörte mich nicht atmen, hörte ihn nicht, und es schien, als sei mein Herz stehen geblieben.
»Du solltest dein Auto nicht unbeobachtet lassen. Vor allem, wenn die Türen auf sind.« Selbstsicher schlenderte er mit dem Sechserpack Getränke zu einer der tiefen Schubladen und fing an, sie einzuräumen. Mehr hatte er nicht zu sagen? Ungläubig beobachtete ich seine Bewegungen und nach gefühlten Stunden, schmiss er das Plastik, mit dem die Getränke zusammengehalten wurden, in den Müll. Er drehte sich zu mir, lehnte sich mit beiden Händen an die Kochinsel und sah mich sinnverwandt an. Er schien direkt nach der Arbeit hergekommen zu sein; er trug einen schwarzen Anzug mit der passenden, enganliegenden Jacke. Ich hatte ihn ausgesucht, weil sich der Stoff perfekt an seine Muskeln schmiegte. Gott, wie gut hatte ich mich gefühlt, jedes Mal wenn er diesen Anzug trug, von der Arbeit kam und mich in eine Umarmung schloss, mir ein liebliches ›Hallo Schatz‹ ins Ohr geflüstert hatte. Und jetzt zu wissen, das all das nur eine große Lüge war, schmerzte.
»Möchtest du mir nicht Hallo sagen, Schatz?«
Jetzt, endlich, fing ich wieder an zu atmen und stieß die Luft aus meinen Lungen; es hörte sich an, als wäre ich von einem langen Tauchgang wieder zurück an frischer Luft.
»Was zum Teufel willst du hier? Und wer hat dich reingelassen?«, wetterte ich und musste mich beherrschen, nicht allzu laut zu schreien. »Ich hole meine Frau und meine Kinder zurück.« Beinahe lachte ich laut auf. »Vergiss es, wir bleiben hier.«
Dachte er wirklich, ich würde zurückkommen? Er gab sich ja nicht einmal Mühe, hatte nur ein gekränktes Ego. »Mach dich nicht lächerlich«, lachte Tyler und stieß sich von der Platte, »pack die Taschen zusammen, ich bringe derweil die Kinder zum Auto. Ich habe nachher noch einen Termin.« Pah, Termin – ja, klar. Dachte er, ich würde ihm das glauben?
»Ich sagte Nein«, wiederholte ich meine festgefahrene Antwort von eben und verschränkte die Arme. Nichts und niemand würde mich dazu bringen, zurück zu gehen. Zurück zu ihm. Dafür war es noch zu frisch. Ich hatte ja nicht mal darüber nachgedacht, was ich für Konsequenzen ziehen wollte. Hatte mir keine Gedanken gemacht, was für die Kinder besser wäre.

Tyler stoppte inmitten seiner Bewegung und sah mich mit wütendem Gesichtsausdruck an, seine Augen waren zusammengekniffen und allgemein sah er aus, als würde er gleich explodieren.
»Jetzt hörst du mir mal zu, Juliet«, zischte er, machte einen Satz nach vorne, sodass er direkt vor mir stand, »glaubst du, ich lasse mir das gefallen? Ich hab die letzten Jahre mit dir verbracht, mir den Arsch für dich aufgerissen und alles für dich getan – ich verbiete es mir, in solch einem Ton mit mir reden zu lassen. Du bist meine verdammte Ehefrau, du trägst meinen scheiß Ring am Finger und du hast auf mich zu hören!« Mit jedem Wort das er sagte, kam er mir näher, hob seine Stimme mehr an und zum Ende hin, schrie er bloß noch.
»Ein Ring ist Nichts. Er spielt keine Rolle, wenn er keine Bedeutung hat, verstehst du?«, schrie nun auch ich und wedelte mit meiner Hand vor seinem Gesicht herum, war den Tränen nahe.
»Du lässt mich nicht einfach alleine hier stehen«, knurrte er, »ihr kommt mit. Alle drei. Hör auf so ein verdammtes Drama daraus zu machen.«
Mir fielen vor Fassungslosigkeit fast die Augen raus; ich sollte kein Drama daraus machen? Was sollte ich sagen? Ist okay dass du mich betrogen hast obwohl wir seit fünf Jahren verheiratet sind und zwei gemeinsame Kinder haben?
»Wie bitte?«, keuchte ich und war kurz davor, ihn von mir zu schubsen um endlich wieder klare Luft einatmen zu können. Doch ich traute mich nicht ihn anzufassen und das wollte ich ehrlich gesagt auch nicht.
»Du hast mich betrogen! Ist dir nicht klar, was du damit angerichtet hast? Was du mir antust?« Tyler, mein Noch-Ehemann sah mich unbeeindruckt an, und deutete mir mit einem Blick, dass ich ruhig weitersprechen konnte. »Du hast das schon so oft getan, Tyler. Du hast mich so oft belogen, mir wehgetan. Ich kann nicht glauben, wie dumm ich war, dir jedes Mal eine neue Chance zu geben.« Ich holte tief Luft, entging seinem brennenden Blick.
»Du zerreißt mich. Du zerreißt uns. Alles, was wir uns nach jedem Streit mühsam wieder aufgebaut und alles, was wir durchgemacht haben – du schmeißt es einfach weg, als würde es dir rein gar nichts bedeuten. Ich habe dir so viel Zeit geopfert, habe dreizehn Stunden in den Wehen gelegen und dir zwei Kinder geschenkt. Ich habe dir eine Familie gegeben. Habe so vieles auf mich genommen, nur, um dich behalten zu können. Doch langsam bin ich an meiner Grenze angelangt«, schluchzte ich und wischte mir über die feuchten Augen, »hast du auch nur eine Sekunde an mich gedacht, an uns? Daran, dass deine Kinder ihren Vater brauchen und dass deine Frau dich ebenso braucht, wenn nicht sogar noch mehr? Ich dachte wirklich, wir würden dir etwas bedeuten. Dachte, du würdest mich lieben.«
Ein weiterer, heulender Laut verließ meinen Mund und ich wollte mich bloß auf dem Boden zusammenrollen und weinen. Verzweifelt schlang ich die Arme um meinen Körper und ließ den Kopf hängen. Ich hatte keine Ahnung ob er mich wegen der vielen Schluchzer überhaupt verstanden hatte.
»Ich hab keine Zeit für so eine scheiße«, donnerte er und platzierte seine Hände neben mir auf der Küchenplatte, verringerte somit den Abstand zwischen uns nochmals um einiges mehr, sodass ich das Parfüm riechen konnte, welches ich ihm zum Valentinstag letztes Jahr geschenkt hatte. Er schien mir die Luft abzuschnüren, und ich konnte bloß den Kopf schütteln; er verstand es einfach nicht. Er hatte einen riesigen Fehler gemacht und sah diesen nicht mal ein. Ich konnte so viel reden und weinen, wie ich wollte – er würde sich nicht darum scheren. Wahrscheinlich plante er gerade seine gemeinsame Zukunft mit einer anderen Frau. »Ich will dem ganzen Mist hier nicht noch mehr Zeit schenken. Du packst jetzt die Taschen zusammen und dann verschwinden wir. Ich habe noch einen Termin. Außerdem kommt morgen mein Vater mit Susan zum Abendessen, du solltest Einkaufen gehen.«
»Du lügst immer weiter!«, heulte ich und hob endlich meinen Kopf. Und dann sah ich in seine Augen; wo waren die Funken Liebe, die er einst für mich hatte? Wo war die Begierde, die Sehnsucht? Das einzige was ich sah, waren genervte Blicke und ein verhasstes Gesicht. »Denkst du, ich bin dumm? Du triffst dich mit ihr, du kannst es mir ruhig ins Gesicht sagen!« Tyler schluckte, sein Gesichtsausdruck besänftigte sich etwas – anscheinend fühlte er sich ertappt. »Na los, sag es! Sag mir, dass du dich in eine Bar verpisst, dich besäufst bis zum geht nicht mehr und sie dann fickst! Sag es, verdammt nochmal!« Ich schlug; ich schlug mit geballten Fäusten auf seine Brust, schubste ihn von mir weg und sah zu, wie er gegen die Kochinsel stolperte und fast auf den Boden fiel.
Tylers Augen wurden groß, beinahe unglaubwürdig wirkten sie, so wie sie mich anstarrten.
»Wir gehen jetzt, Juliet.« - »Ich hasse dich. Ich hasse dich, Tyler.«

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⏰ Last updated: Nov 04, 2016 ⏰

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L.O.V.EWhere stories live. Discover now