Die Farbe der Hoffnung

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Frei nach den Erzählungen meiner Oma..

Ich wachte von den rauen, kratzigen Stoff meines Schlafsackes, der diesen Namen nicht wirklich verdiente, auf. Der Sack war vor Beginn dieser Zeiten sicher zum Transport von Äpfeln oder ähnlichem gedacht gewesen, und nicht dafür 3 kleine Kinder in einem Raum zu schützen. Meine 3 Geschwister lagen neben mir, eng zusammen gekuschelt um sich vor der beißenden Kälte zu schützen, die uns allen den Schlaf raubte. Die Kälte, sie war unserer nächster Feind. Sie stahl uns nicht nur den Schlaf sondern auch den Verstand. Sie betäubte alle unsere Gedanken und ließ und unsere letzte Hoffnung vergessen. Viele waren ihr zum Opfer gefallen. Viele waren in das Eis eingebrochen und sofort erfroren. Leblose Eisklotze. Ich fragte mich was mit den aufgetauten Leichten wohl passieren würde. Werden sie sie finden? Diese sind von der Flucht befreit. Tod können sie nicht mehr getötet werden. Tod können sie nicht von ihnen benutzt werden. Tod bringen sie ihnen nichts mehr.
Ich stecke meine Hände vorsichtig aus und hatte das Gefühl dass meine Gelenke eingefroren waren, sodass sie mir jeden Schritt  schwer machten. Es tat höllische weh meiner Finger zu bewegen, aber man könnte langsam spüren, wie es mit jeder Bewegung besser wurde. Um umschloss meine Füße mit den Händen um die Zehen etwas aufzuwärmen, bevor ich meinen Beinen zumutete mich zu tragen.
Als ich aufstand, sah ich wie meine Kleine Schwester vorsichtig den Kopf hob. Leise wollte ich ihr signalisieren, das sie noch weiterschlafen konnte, aber sie tat es nicht. Schnell stand sie auf, rannte zu mir und umarmte meine Beine. "Hey kleines", sagte ich ,„Schlaf noch ein bisschen, wenn du aufwachst wir vielleicht schon in unserem neuen Zuhause"
„Ich will aber nicht!!", sagte die kleine mit Nachdruck. Sie stand energisch neben mir, und umarme mich noch fester. „Unseren Bruder hat du auch alleine gelassen!"
Das traf mich wie ein Schlag. Mein einiger 1 jähriger Bruder... Es war nicht meine Schuld, sagte ich mir immer wieder, sondern Ihre. Ich konnte nichts dafür, das wir hier waren und hier bleiben mussten. Es war deren Schuld, nur deren. Wäre ich nicht so jung, klein und schwach gewesen... Ich hatte eine solche Wut auf sie, dass ich sie umgebracht hätte.

Mein Bruder war verhungert.

„Na gut", raunte Ich meiner Schwester zu „aber sei gefälligst leise!". Sie nickte. Ich lief geguckt zu meinen Schlafplatz um die Petroleumlampe zu finden. Zuhause hatten wir elektrisches Licht...
Wie erleuchteten den Raum und sahen auf dem metallenen Boden noch ungefähr 20 andere Menschen liegen. Alle zusammen gelauert. Ich wusste nicht , wer von denen noch lebte oder in der Nacht, den eisigen Tod gestorben war.
Mit den Leichen wurde sehr unsanft verfahren. Dass sie die Leichen einfach so über Bord wurfen, machte den Tod nicht weniger grausam, eher noch schrecklicher. Er war immer präsent und versuchte uns zu sich zu ziehen. Dieses Schiff war einer Höllenfahrt und früher oder später traf es jeden.
Wenn sie das Schiff finden wollen, müssten sie nur der Spur der Leichen, in regelmäßigen Abständen, auf dem Eis suchen und ihnen folgen.

Eine kleine Luke führe an Deck. Sie ließ sich leicht öffnen. Ein kurzer Zug und sie schwang auf. Das Tageslicht von oben erleuchtete den stillen Raum. Zuerst schob ich meine Schwester nach draußen. Dann kroch ich ihr hinterher. Es wurde ein bisschen wärmer... obwohl, nicht wirklich wärmer sondern eher weniger kalt. Ein kurzer Blick über das Deck verschaffte mit den nötigen Überblick. Es waren wenige Menschen wach. Alle jedoch saßen zusammen. Es gab eine alte Holzbank auf der sie alle saßen.
Was war da los? Ich fragte mich warum sie alle dort saßen.
Meine Tante sah ich auch. Meine geliebte Tante. Sie war unserer Rettung gewesen. Sie war unser Retter, der Eisbrecher auf den Weg nach Deutschland unser Fahrschein in die Hoffnung.

Wir als Kinder konnten nicht machen. Wir wüssten uns nicht zu helfen, würden nicht ernstgenommen werden.. Meine Tante war unserer Rettung gewesen. Sie hatte auf uns aufgepasst. Man verstand erst was dies bedeutete wenn man Mutter war. Wir schwierig es auf alle uns aufzupassen. Vorallem hier. Auf der Flucht.

Es stand ein kleines Radio bei mir in meinem alten Zimmer.
Zuhause... Ich hatte mir verboten daran zu denken. Man verliert zu schnell den Mut wenn man an die alte Zeit dachte.

Ich drehte immer gerne an den Knöpfen. Um Musik zu hören. Es war wunderbar. Ich verstand keine russischen Texte, aber ich liebte die Melodie. Ich verstand kein russisch, kein polnisch, nur Deutsch. Ich war deutsche. Da war Ich, wenigstens Ich, mir sicher.
Eines Tages hörte ich einige deutsche Sätze, die durch das Lied knacken, undeutlich die Sendung unterbrachen. „Der Russe kommt". Ich verstand damals nicht was es bedeutete. Meine Tante erklärte es mir. Die Russen wollten unser Zuhause und auch uns. Seit dem waren wir hier unterwegs. Auf Lastern, Zügen und jetzt auf dem Eisbrecher, der uns an unser Ziel bringen sollte. Das dachten wir zumindest alle. Wir hatten diese Traumvorstellung, dass wir alle von diesem Schiff, dieser Odyssee, heruntersteigen würden und Mitten in unserem neuen Leben ankommen. Doch die Reise hatte uns die Hoffnung geraubt. Wer jeden Tag hungerte, fror und keine Besserung in Sicht war, da könnte man schon seine Hoffnung verlieren. Wir waren die Unschuldigen, denen man die Hauptrolle in der Tragödie gegeben hatte. Es war ungerecht.

Ich hatte die Erwachsenen auf der Bank verstanden. Ich wusste was sie gesagt haben, doch es fiel mir schwer es zu glauben.

Am nächsten Morgen stand ich an der Railing und lehnte mich über das Geländer. Eigentlich war es verboten, da eine dicke Eisschicht den Boden an Bord überzog. Es war zu gefährlich. Man könnte über Bord gehen. Und Tod sein.
Dies erschien mir im Moment allerdings auch nicht so tragisch. Vor mir war nur weiß. Es schneite und das zugefrorene Meer war voller Schnee. Warum musste es ausgerechnet dieses Jahr so Kalt werden. Warum war die Ostsee komplett zugefroren? Unser Schiff hatte angehalten und den Kampf aufgegeben. Es kam nicht mehr gegen die Eismassen an. Das bedeutete für uns wir mussten dieses ewige Eis zu Fuß überqueren. Keiner fühlte sich dazu im Stande. Wie weit wir von Festland entfernt waren wusste ich nicht, aber ich konnte mir denken das es sehr hart für uns werden würde, dieses Meer auf dem Eis zu überqueren. Wir waren geschwächt von der Flucht und von den Strapazen, die diese Reise mit sich brachte... Wie viele Kämpfer würden wir dort verlieren. Wie alle konnte Ich nur hoffen, dass ich nicht dazu gehörte.

Ein letztes Mal sah ich vom Deck das Meer, bevor wir das Schiff verließen.
Ich sah nur weiß, denn der Horizont war nicht mehr von Himmel zu unterscheiden. Das schien mir seltsam, denn Weiß ist die Farbe der Hoffnung und Unschuld.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 16, 2018 ⏰

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