Verlust

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Und sie sitzt ganz alleine im Dunkeln in einer spärlich beleuchteten Ecke. Die bitteren Tränen sind schon längst auf ihren Wangen getrocknet und haben salzige Spuren hinterlassen. Sie trägt nur ein T-shirt, dass ihr viel zu groß ist. Die Narben auf ihren Unterarmen zeugen davon, dass sie nicht zum ersten Mal zur Klinge griff um den seelischen Schmerz zu übertönen und ihm einen Platz auf ihrer Haut zu geben. Nur Heute wird es nicht beim ritzen bleiben. Auf dem Papier vor ihr, dem Beweis ihres Vorhabens, ist die Schrift teilweise verwischt, weil ihre bitteren Tränen, die sie vor Stunden geweint hat, beim schreiben darauf gelandet sind. Sie hält die Klinge in der schlaffen Hand. Ihr Blick ist leer. Sie spürt den Schmerz schon seit Stunden nicht mehr. Sie kann sich nicht bewegen. Die Angst, dass sie es nicht schafft, nicht schafft diese Welt, die so grausam ohne ihn scheint zu verlassen, lähmt sie. "Was kannst du eigentlich?!" Da ist sie wieder die Stimme ihres Vaters, der ihr immer wieder deutlich gemacht hat, dass sie eigentlich gar nichts kann. "Ich bin enttäuscht von dir!" Gesellt sich die Stimme ihrer Mutter dazu. Beide sind schon lange Tod und trotzdem kommen ihre Worte immer zu ihr zurück wenn es ihr schlecht geht und sie sich alleine fühlt. "Ich liebe dich." Hört sie plötzlich die Stimme des Mannes, der sie von ihren Eltern wegholte und ihr zeigte wie schön die Welt sein konnte. Die Stimme des Mannes, der jetzt nicht mehr da ist. Der nicht mehr da ist, weil er sie beschützen wollte. Beschützen vor einem Taschendieb.

*Flashback*

Sie kamen gerade von seinen Eltern zurück und plötzlich war er da. Ein zwielichtiger Mann mit einem Revolver. Ihr Mann stellte sich beschützend vor ihr und versuchte den Dieb zu beruhigen. "Geld her!" forderte der Dieb sie auf. Ihr Mann grief nach ihrer Handtasche und übergab sie den Dieb. Er warf einen Blick in die Tasche und bedrohte sie gleichzeitig weiter. Plötzlich ertönte ein Geräusch. Der Dieb erschrak und ein Schuss fiel. Ihr Mann ging zu Boden und der Dieb rannte davon. Sie fiel auf die Knie und redete auf ihn ein und schrie um Hilfe. Lichter in den einzelnen Häusern gingen an. Menschen kamen aus ihren Häusern gelaufen um zu sehen wer sie aus den Schlaf gerissen hat. Jemand rief einen Krankenwagen. Im Krankenhaus wurde er direkt operiert, aber während der OP kam es zu Komplikationen und er erlitt einen Schlaganfall. Sie erinnert sich nicht mehr wie lange sie an seinem Bett saß und mit leeren Blick auf die Einverständniserklärung zum abstellen der Geräte starrte.

*Flashback Ende*

Sie erinnert sich nicht mehr daran wie sie überhaupt nach Hause kam und wie sie es überhaupt geschafft hat einen Abschiedsbrief zu schreiben oder geschweige denn für wen sie diesen geschrieben hatte. Würde doch der wichtigste Mensch in ihren Leben ihn nie lesen können. Allmählich löste sie sich, dank der Hoffnung zu ihm zu kehren, aus ihrer starre und mit einem Lächeln auf den Lippen und den Worten: Bis gleich, Schatz. Setzte sie die Klinge an.

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