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Durchnässt und nach Kaffee stinkend kam ich in der Redaktion an. Meine Kollegen waren zum Glück nett genug, um keine Kommentare darüber zu reißen. Erst als ich im Büro endgültig meinen Mantel auszog und mein Schreibtischgegenüber mich kritisch beäugte, zog ich auch die Augenbrauen hoch.
"Was denn? Noch nie einen Kaffeefleck auf einem gestreiften Pulli gesehen?", motzte ich und entlockte meiner Kollegin damit ein Lachen. "Du müsstest dich sehen. Du siehst aus wie ein begossener Pudel im Streifenpulli. Und noch dazu mit riesigem Kaffeefleck. Was ist denn bloß passiert?" Patricia musste sich wirklich anstrengen, nicht noch lauter zu lachen. Ich wagte einen Blick in den Spiegel auf der Rückseite der Tür und bekam einen kleinen Schreck. Ich sah aus wie eine Hexe, das Wetter hat mich übel zugerichtet.
"Warte mal. Ich habe noch ein Wechselshirt in meiner Tasche.", sagte Pat, die sich mittlerweile wieder beruhigt hat.
"Du hast was? Wozu nimmst du sowas mit?", fragte ich überrascht. Das war eigentlich eine super Idee, wenn man mal darüber nachdachte.
"Hier, fang'", rief sie und warf mir schon das Shirt zu. Es war zusammengeknäuelt, sodass ich es erst entwirren musste. Aber dann kam ein großes Bandlogo zum Vorschein.
"One Direction? Ehrlich?" Jetzt war ich es, die lachte. "Ich wusste ja gar nicht, dass du ein Fan bist." Pat lachte auch, wenn auch nicht so stark wie ich.
"Das habe ich mal von ihnen bei einem Interview bekommen.", erzählte sie mir dann und brachte mich sofort zum Schweigen.
"Du hast One Direction interviewt?" Pat ließ sich in ihrem Stuhl nach hinten sinken und legte zufrieden die Hände auf den Bauch, wobei sie die Finger verschränkte. Langsam nickte sie und ließ den Blick auf mir ruhen.
"Oh man, wann wird mir das endlich passieren? Ich kriege immer nur die kleinen Fische.", seufzte ich. Pat lachte nur wieder, wobei sie aussah wie eine zufriedene Katze.
"Ich habe das Interview erst in meinem dritten Jahr hier bekommen."
"Was? Im dritten Jahr erst? Ich habe nicht mal ein Jahr geschafft." Ich zog mir meinen Pulli über den Kopf und Pats Shirt an. Mir war egal, wie dämlich ich damit aussah. Das Shirt hatte wenigstens keinen Fleck und das wäre noch schlimmer als One Direction.
"Keine Panik, Isi. Ich habe mich aber auch besonders unbeholfen angestellt und war nicht so engagiert wie du. Du stürzt dich ja regelrecht in Arbeit. Wann warst du das letzte Mal aus?" Pat legte den Kopf schräg und betrachtete mich von oben bis unten. "Na, sieht doch gut aus. Lass das unseren Chef sehen und dir ist das Interview mit One Direction sicher."
Im Moment spekulierten alle wie wild. Es war dauernd die Rede von einem großen Fisch, einem wichtigen Interview mit einer der erfolgreichsten Bands. Ab und zu war auch der Name One Direction gefallen, wobei ich eher für die Rolling Stones schwärmte.
"Vor zwei Monaten war ich das letzte Mal abends weg, mit dir zusammen.", erzählte ich eingeschüchtert. Sie hatte so recht. Ich ging nicht aus. Ich überarbeitete mich seit meinem ersten Tag in London. Ich wollte es allen zeigen, vor allem meinen Freunden in Deutschland. Meinem Vater. Und meiner Chefin. Sie sollte nicht bereuen, mich noch vor meiner Abschlussprüfung eingestellt zu haben. Außerdem war das hier der Guardian. Mehr musste ich doch gar nicht sagen. Ich konnte es mir nicht leisten, hier herauszufliegen. Etwas besseres hätte mir gar nicht passieren können.
"Es ist okay, wenn du es langsamer angehst. Niemand wird dir den Kopf abreißen oder dich feuern. Du hast Jim schon gezeigt, dass du es drauf hast."
"Woher weißt du das?", platzte es aus mir heraus, weil ich doch sehr überrascht darüber war.
"Er hat es mir gesagt. Und selbst auch gemeint, dass du es ruhiger angehen lassen kannst. Schließlich sind wir mehrere Mitarbeiter in unserer Abteilung und teilen uns die Arbeit auf. Er klang wirklich stolz auf dich. Es wirkte nicht wie ein Befehl von oben. Auch wenn jeder weiß, wie weit oben du in Katharines Gunst stehst.", zwinkerte sie mir zu. Tatsächlich war ich in den ersten Wochen, wenn nicht sogar vielleicht Monaten misstrauisch von verschiedenen Seiten beäugt worden. Viele hatten mir unterstellt, dass ich den Job nur bekommen habe, weil ich eine gute Beziehung zu Katharine hatte. Sie hatte mir bei unserer ersten Begegnung sofort das Du angeboten, wir aßen oft zusammen. Aber ich würde unser Verhältnis nicht als freundschaftlich beschreiben. Diese Beziehung brachte mir einige Vorteile, doch blieben die großen Jobs stets aus. Ich durfte oft zu Red Carpet Events und interviewte dort die Stars vom Rand aus. Vielleicht verlangte ich zu viel, vielleicht hatte ich andere Vorstellungen vom Job beim Guardian.
Plötzlich klingelte mein Telefon auf dem Schreibtisch und ich ging sofort ran. Eine dämliche Angewohnheit von mir. Ich könnte es auch einfach einige Male tuten lassen. Doch ich wollte denjenigen auf der anderen Seite ungern warten lassen.
"Fessner.", meldete ich mich in meinem professionellen Ton.
"Isabelle, hier ist Katharine. Komm bitte in mein Büro, sobald du eine freie Minute entbehren kannst." Sie hatte gute Laune, ich konnte das mittlerweile schnell feststellen.
"Okay, ich bin sofort bei Ihn... bei dir."
"Danke." Dann hatte sie auch bereits aufgelegt. Ich musste mich immer noch selbst verbessern. Viel zu oft wollte ich sie siezen, obwohl sie mir bereits das Du angeboten hat.
"Wer war das?", fragte Pat neugierig, als ich auflegt habe.
"Miss Viner. Ich komme gleich wieder." Pat lächelte nur wissend und nickte mir zu.
"Ich hoffe, dein Dresscode ist okay für ein Treffen mit ihr." Da fiel mir das Shirt wieder ein und wir begannen beide zu lachen.
"Oh man, dann ist mir ein Interview mit ihnen hoffentlich wirklich sicher.", scherzte ich, war mir dem Witz der Situation wohl bewusst.
"Sie machen demnächst Pause. Vielleicht hast du tatsächlich Glück und kriegst ein letztes Interview mit ihnen. Klingt wahrscheinlich für mich.", erklärte mir Pat. Sie machten Pause? Davon wusste ich nichts. Ich wusste nicht viel über Boybands. Und schon gar nicht über One Direction. Ich kannte die Mitglieder nicht, wusste nicht einmal, wie sie aussahen.
"Ich bin gleich zurück.", sagte ich und verließ unseren Büroraum durch die Tür.

Auf in die Höhle des Löwen.

The interviewWo Geschichten leben. Entdecke jetzt