Prolog

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Die Klinge saust auf ihn herab. Sie glänzt im Sonnenlicht. Blutstropfen werden wegen der gewaltigen Wucht, mit der das Schwert gelenkt wird, von der Schneide getrennt und spritzen auf alle Seiten. Er duckt sich und wehrt den harten Schlag mit dem eigenen Schwert ab. Die Stärke seines Gegners ist unverkennbar. Seine langen Finger umschliessen den Griff seines Schwertes mit einer solchen Kraft, dass die Knöchel weiss hervortreten. 'Ich werde sterben', schiesst es Selon durch den Kopf. Seine Muskeln zittern, als er sein Schwert hebt und zu einem verzweifelten Schlag ansetzt. Er spürt, wie ihn seine Kraft allmählich verlässt. Sein Herz schlägt so hart gegen seine Brust, dass es ihm zusätzlich Schmerzen bereitet. 'Ich will nicht sterben.' Sein Schlag verfehlt den Feind. Die eiserne Miene seines Gegenübers verrät, wie sicher er sich seiner Sache ist. Konzentriert und zielsicher stösst er seine Waffe in Selon's Richtung. Noch im allerletzten Moment kann dieser dem tödlichen Stoss ausweichen, wobei er jedoch ins Straucheln gerät. Seine Füsse finden keinen Halt, er kämpft darum, sein Gleichgewicht wieder zu erlangen. In diesem Moment durchzuckt ihn ein brennender Schmerz. Sein linker Arm erschlafft, das Schwert entgleitet seiner Hand. Mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen taumelt er rückwärts. Das Blut sprudelt wie eine Bergquelle aus seinem Körper. Sein Mantel färbt sich rot. Der lange Riss im Stoff entblösst eine klaffende Wunde, in der noch vor kurzem die Schwertspitze seines Gegners gesteckt hat. 'Bitte nicht...', flehen seine Augen, als er den stämmigen Mann auf sich zukommen sieht. Müdigkeit übermannt ihn. Sein Rückwärtsgang nimmt ein abruptes Ende, als seine Knie plötzlich einknicken. Selon geht zu Boden. Kraftlos und voller Angst vor dem ihm bevorstehenden Tod kriecht er weiter rückwärts. Sein Inneres kämpft noch immer gegen sein längst besiegeltes Schicksal. Die Hoffnung auf Gerechtigkeit schlummert noch in ihm. 'Ich bin kein Krieger. Ich habe nichts mit dieser Schlacht zu tun...', denkt er verzweifelt und noch immer unnachgiebig. Mit letzter Kraft stemmt er sich mit seinem rechten Arm hoch und sieht seinem Gegenüber in gekrümmter Haltung in die Augen. 'Bitte töte mich nicht', murmelt er in Gedanken und sucht vergeblich nach einem Funken Barmherzigkeit in dem starren Blick. Die Angst vor dem Tod ist bei Weitem nicht der alleinige Grund für seine innerliche Bitte. Es schmerzt ihn, daran zu denken, dass er einen bestimmten, geliebten Menschen in dieser grausamen Welt allein zurücklassen muss. Gequält stützt er sich an einem Baum ab. Die raue Rinde kratzt seine Haut auf.
'Wenn ich noch ein letztes Mal meine Feder in die Hand nehmen könnte..', denkt er mit einem traurigen Blick auf seinen lädierten Arm.
'Ich würde Zeile um Zeile von meiner Liebe zu dir, meine über alles geliebte Winona, schreiben. Jedes einzelne Wort würde von den tiefen Gefühlen die ich für dich hege zeugen. Ich weiss, du trägst noch immer Wut in deinem Herzen, aber ich hoffe, dass du mir eines Tages vergeben wirst. Ich hätte auf dich hören sollen. Nun sterbe ich in einer Schlacht, deren Sinn und Zweck ich nicht verstehe. Das Schwert eines Menschen, dessen Herkunft mir fremd ist, wird meine Brust durchbohren...'
Selon schliesst die Augen. Er hofft, seine flüsternden Worte haben einen Weg in das Herz seiner Geliebten gefunden. Tränen treten zwischen seinen geschlossenen Lidern hervor. Ein Ruck durchzuckt seinen Körper. Er geht zu Boden und Blut quillt aus seinem Mund als er einen gequälten Schrei ausstösst. Die kalte Klinge hat sich zwischen seine Rippen gebohrt und ist sogleich wieder herausgezogen worden. Selon ballt seine noch unverletzte Hand zu einer Faust und spannt für einen Moment alle Muskeln an um dem Schmerz Widerstand zu leisten. Aber schon nach wenigen Sekunden gibt er auf. Seine Muskeln erschlaffen und sein Kopf fällt kraftlos auf den Waldboden zurück. Schwer schluckend schlägt er die Augen auf und betrachtet das Blätterdach der Laubbäume über ihm. Die hellen Strahlen der Sonne leuchten zwischen den Blättern hindurch und kreieren ein tanzendes Muster auf seinem Gesicht. Das Blut fliesst aus seinen Wunden und ein Rinnsal erreicht seine Hand. Mit einem freudlosen Lächeln reibt er Daumen und Zeigefinger aufeinander und stellt fest, dass sich Blut ein bisschen wie Tinte anfühlt. Mit dem einen Unterschied, dass Tinte kalt ist.
"Ich werde einen meinen getreuesten Diener auf das Feld schicken, als Zeichen meines Vertrauens. Selon, meinen Schreiber, der mir schon seit Jahren seinen Dienst leistet.", hört Selon auf einmal wieder die Worte des Königs, der ihn in diese Schlacht geschickt hat. "Meinen getreuesten Diener..", flüstert er die Worte mit einem spöttischen Unterton vor sich hin und schliesst die Augen. Die Zunge seines Königs kannte keine Grenzen, das war ihm schon lange bekannt.
Mit seiner Feder hatte er jedes einzelne Wort, welches ihm von dem Herrscher zitiert wurde, aufgeschrieben. Jeden Brief hatte er den Aussagen seines Königs getreu auf Papier gebracht um diesen anschliessend dem Boten zu überbringen. Er war der berühmteste Schreiber im ganzen Reich gewesen. Der Schreiber des Königs.

Der Schreiber des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt