3.Kapitel

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Nachdem sie das sagt, hielten wir Zuhause an. Wenigstens das hat sich nicht verändert. "Lass dich noch mal umarmen mein Kind" sagt mein Vater. Ich schmunzel nur und nahm ihn in den Arm.
"Hast du keinen Hunger? Ich habe für dich dein Lieblingsessen gemacht." kommt es von meiner Mutter.
"Doch, doch!" sag' ich total euphorisch. Ich liebe das Essen von Mama. Wer liebt denn nicht das Essen seiner Mutter?
Wir laufen in die Wohnung rein und ich laufe direkt auf mein Zimmer zu. Ich öffne die Tür zu meinem altem Zimmer und öffne die Tür zu allem, was einst gewesen ist, mit.
Fast mechanisch gehe ich auf das Bett zu und lasse mich in das Nest voller weichen Wolken fallen. Ich ziehe tief den Duft ein. Es riecht nach Zuhause.
Ich weiß, hier bin ich sicher. Hier kann ich all meine Mauern fallen lassen, hier ist dieses warme Gefühl. Dieses etwas, das mir jahrelang verweigert worden ist.
Ich zwinge mich, aufzustehen. Meine Augen durchsuchen den Rest meines Zimmers.
  Alles war gleich. Wirklich alles, als wäre die Zeit in diesen Raum stehen geblieben.
Die Gitarre liegt noch immer neben meinem Schreibtisch. Mein Schreibtisch.
Konnte es sein, dass...?
Ich gehe zu meinem Schreibtisch. Er liegt noch da.
Meine Hände berühren ihn fast zaghaft. Ich nehme den Brief in die Hand und fange langsam an ihn zu lesen:

"Wenn ihr diesen Brief lest, bin ich schon über alle Berge. Bitte vergebt mir und weint nicht um mich! Ihr wisst, ich entscheide so wichtiges nicht spontan. Ich habe es mir gut durchdacht. Ich werde an der Front kämpfen für mein Land, für unser Land! Ich kann mir diese Ungerechtigkeit nicht länger anschauen. Sie schreien dort um Hilfe, wer bin ich das ich nicht helfe? Wenn ich dort sterben sollte, vergesst nicht, ich bin glücklich gestorben und jeden Tag den ich hier in Deutschland verbracht hab starb ich innerlich.
Mein Tod wird nicht umsonst gewesen sein. Ich werde ein Teil derer, die nicht tatenlos zusehen, wenn das Blut Unschuldiger fließt.
Ich werde euch so unglaublich vermissen.
Aziz deine gute Laune schon am frühen Morgen; und Azad, der sich darüber lustig macht. Und Roza deine Kommentare. Papa deine warnende Worte, bevor ich das Haus verlasse,  obwohl ich schon 20 bin, sagst du mir trotzdem, dass ich bei keinem Fremden einsteigen soll und von niemandem Essen annehmen soll. Mama dein Gesang beim Kochen werde ich niemals vergessen"
Ab da überfliege ich den Brief bis ich an der Stelle ankomme.
"(...) und Farhad vergess mich. Vergess wer ich war, vergess meine Worte und verzeih mir. Werde bitte glücklich. Ein Teil meines Herzen wird dich immer lieben und wird immer deins sein(...)"

Ob er sich noch an meinen Namen erinnern kann? Vielleicht ist er schon verheiratet und hat Kinder... Was wäre, wenn ich nicht gegangen wäre...?
'Was wäre wenn'
Seit Jahren frage ich mich das schon. Ich hoffe, er ist glücklich. Ich muss aufhören an ihn zu denken, denn er hat bestimmt aufgehört an mich zu denken.

"Ich hab es nicht übers Herz gebracht hier etwas zu verändern" sagt meine Mutter die am Türrahmen steht.
Ich schrecke auf und drehe mich um. Ich habe sie nicht kommen hören, und das trotz meiner geschärften Sinne.
Bin ich so weit weg mit meinen Gedanken gewesen?
"Ich wusste, dass du wieder kommst... Ich wusste, dass du das schaffst und wiederkommst"
Ich gehe auf sie zu und umarme sie. Ich habe sie so vermisst, ihre Stimme ist wie Musik in meinen Ohren.
"Bitte verzeih mir! Ich wollte euch nie verletzen oder sauer machen" sage ich mit zittriger Stimme.
Meine Mutter löst sich von mir und nimmt ihre Hand und wischt mir meine Tränen weg
"Ich war niemals sauer oder verletzt... Ich verstehen nur nicht wie?" Ich schaue sie fragend an.
Sie blickt zu meinen Händen, die mit Narben versehen sind
"Wie mein Kind, wie könntest du mit diesen Händen eine Waffe tragen?!"
"Yadê"
Sage ich unter Tränen. Meine eigene Mutter denkt, ich bin ein Monster.
"Delal schau mich an... Hat es dir nicht gereicht auf jeder Demonstration zu sein und in jeden erdenklichen Verein?"
Ihre Stimme ist so sanft und beruhigend, als würde sie mit einem Kind reden. Als wäre ich ein Kind.
"Wie soll eine Demonstration diesen Menschen helfen? Was bringt es ihnen, dass ich in Vereinen bin?"

"Was bringt es ihnen, wenn du stirbst?"
Ich antworte nicht mehr. Die Stille ist unerträglich, als würden wir nur auf den großen Knall warten.
Meine Mutter, die sonst immer lacht und fröhlich ist, ist gebrochen.
"Ich sag es dir Delal, es bringt ihnen rein gar nichts!", das Sanfte ist aus ihrer Stimme verflogen, Platz hat es gemacht für Kälte.
"Sei froh das du hier in
Deutschland
lebst und nicht in Kurdis-"
"Ist das gerade dein Ernst? Ich mein, nur weil ich in Deutschland lebe, heißt das nicht, dass diese Menschen mir egal sind. Sie könnten genau so an unsere Stelle sein und wir an ihrer...", meine Stimme ist laut und trägt meine ganze Wut in sich.
"Hast du schon mal darüber nachgedacht?
Diese Menschen leiden. Ich habe sie gesehen; ihre leidenden Blicke und zugleich hab ich Dankbarkeit in ihnen gesehen; ihre Schreie habe ich gehört und ihre Dankbarkeit habe ich durch ihre Gastfreundlichkeit gespürt.
Diese Menschen haben gar nichts mehr und haben trotzdem für uns Essen vorbereitet, obwohl sie selber seit Tagen nichts im Magen hatten. Also ich bitte dich! Diese menschen sind mir definitiv nicht egal"

"Hast du jetzt deine Rede beendet" kommt es jetzt von Roza "Ich hab wirklich Hunger; können wir was essen" sagt sie noch dazu als sie bemerkt, dass ich nicht antworte
"Ich habe keinen Hunger mehr", lüge ich.
"Delal du musst was essen" sagt meine Mutter jetzt streng.
"Ich bin müde ich möchte gerne schlafen euch einen guten Appetit" sage ich und schließe die Tür hinter mir.
In meinen Zimmer nehme ich mir einen Schlafanzug, Unterwäsche und verschwinde im Badezimmer.
Ich bin hungrig, aber zu stur, um jetzt nachzugeben. So bin ich schon immer gewesen.
Als ich fertig geduscht habe, gehe ich frisch angezogen in mein Zimmer und finde eine grinsende Roza vor mir mit einen vollen Tablett Essen auf meinem Bett.
"Ich hab keinen Hu-" beginne ich zu reden, aber sie unterbricht mich schnell.
"Lüg nicht, deinen Bauch hört man bis ins Wohnzimmer knurren... und Mama hat für dich Milchreis gemacht".
Oh mein Gott, ich würde töten für den Milchreis meiner Mutter.
Ich schließ die Tür vorsichtig und nehm mir die Tasse Milchreis.
"Alsoooo ich wollte dich mal was fragen in deinem ... Abschiedsbrief da hast du irgendwas zu so ein Farh-"
"Nein. Roza."
"Lass mich doch mal ausre-"
"NEIN", sage ich diesmal hörbar genervt.
"Was bedeutet er dir?", fragt sie so schnell, dass ich sie nicht unterbrechen konnte.
Ich verdrehte meine Augen und versuche es etwas sanfter, vielleicht versteht sie es dann.
"Roza muss du überall deine Nase rein stecken? Ich meine, Geschichte ist Geschichte... also bitte wenn du nur dafür gekommen bist, verlass bitte mein Zimmer "
"Erst wenn du mir eine Frage beantwortest.", fordert sie mit ihrer lauten, nervigen, und doch wunderschönen Stimme.
"Ja komm sag, was liegt dir auf dem Herzen" gebe ich leicht gereizt von mir. Mit Roza zu diskutieren bringt einfach nichts - außer vielleicht Kopfschmerzen.
Da kann man auch mit einer Wand reden und würde sich verstandener fühlen.
Doch mit so einer Frage hätte ich nicht gerechnet.

Das Mädchen aus dem KriegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt