1. Kapitel

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Ich hatte mir in meinem ganzen Leben nie wirklich Gedanken darüber gemacht, dass etwas meine geplante Zukunft vermasseln könnte. Durch meine Numerus Clausus auf eins Komma null hatte ich einen begehrten Studienplatz bekommen, direkt in Wien, allerdings mit Stipendium für ein Jahr an der medizinischen Fakultät in Yale.

Mein Leben bestand schon immer aus demselben Schema: Es gab mich, die Schule, das Lernen, meine beschäftigten Eltern und Kitt. Zugegeben, ich büffelte nicht wenig für meine guten Noten, aber von nichts kam nichts. Das hieß so viel, wie, dass ich, wenn ich an eine gute Universität wollte, hart arbeiten musste. Schule war schließlich im Grunde genommen nichts anderes als ein Job, ein Job, dessen Abschluss die Matura war.

Kitt war nicht so gut dran, wie ich, was allerdings daran lag, dass sie oft feiern ging und abends bis nach Mitternacht aufblieb. Ich ging meistens zwischen zehn und elf Uhr zu Bett, vor Klausuren auch früher. Ein gesunder Körper braucht einen gesunden Geist — ein ausgeschlafener Körper braucht einen ausgeschlafenen Geist.

Nach der seltsamen Begegnung mit dem fremden Typ, dessen Identität meiner Kenntnis verschleiert blieb, war nun schon glatte zwei Wochen vorüber. Es verging kein Tag, an dem ich nicht darüber nachdachte, wer der Kerl war, und das war für mich, eine angehende Medizinstudentin, keine gute Vorraussetzung. Täglich überlegte ich, ob ich mich mit Kitt darüber unterhalten sollte. Ich schämte mich ein bisschen, dass ich es immer noch nicht getan hatte, aber es war mir einfach unentwegt peinlich.
Kitt hatte versprochen, an diesem Donnerstagnachmittag zu mir zu kommen, damit wir über ihren bevorstehenden Geburtstag reden konnten. Sie plante eine riesige Party zu schmeißen, bei der mehr Gäste eingeladen waren, als je zuvor. Ich sah der Sache mit etwas mehr Respekt als nötig entgegen, denn ich wusste genau, dass überall, wo viele junge Erwachsene waren, sich auch Illegales herumtrieb. Der Gedanke, sich mit Drogen im selben Raum zu befinden, schmeckte ganz und gar nicht nach rosaroter Zuckerwatte, und eine Haft wäre auch keine gute Zukunftsbasis gewesen.

»Hey Kitt«, begrüßte ich meine beste Freundin, als sie an der Türe stand. Sie hatte ein riesiges Grinsen im Gesicht und sah mich voller Tatendrang an. Offenbar hatte sie bereits genaueste Pläne, was ihre Party betraf.

»Willst du etwas zu trinken oder essen?«, bot ich ihr höflichkeitsgemäß an, während Kitt sich ihrer Schuhe entledigte.

»Nein, passt schon«, winkte sie lässig an, ließ ihre Tasche von den Schultern gleiten und folgte mir in mein Zimmer. Ich schaltete die Musik, die aus meinem Radio dudelte, etwas leiser und setzte mich dann im Schneidersitz auf mein Bett. Rein aus Gewohnheit nahm ich einen Polster in die Hände.

»Dein Ernst? Beethoven?«, fragte Kitt und kicherte.

»Das ist Vivaldi, die Jahreszeiten«, verbesserte ich sie schluckend. Kitt hatte meinen Hang zur Klassik noch nie wirklich verstanden. Stattdessen hielt sie mich für verrückt, weil ich die neuesten Popsongs nicht im Schlaf rückwärts singen konnte.

»Ist ja auch egal«, grinste Kitt und ließ sich mit einem Schwung auf meinen Arbeitsstuhl fallen, auf dem sie erst einmal drei Runden drehte. Ich sah ihr kopfschüttelnd zu; das machte sie immer, wenn sie zu mir kam.

»Was ich eigentlich sagen wollte: Du kennst doch das Backsteingebäude, oder?«

Ich dachte kurz nach.
»Meinst du das in der Krieau?«, fragte ich dann.
Kitt nickte, »Genau. Ich habe endlich herausgefunden, dass es der Stadt gehört. Wir können es also benutzen, es seit Ewigkeiten leer.«
»Aber... Wir können doch nicht einfach hingehen und eine Party schmeißen, oder? Wer putzt denn dann den Dreck weg?«
»Doch, das geht. Hab gestern mit der Gemeinde telefoniert, die meinen, solange nach der Party alles wie zuvor aussieht, ist es okay. Und was das Putzen anbelangt... Ich habe gehofft, du würdest mir helfen? Wir könnten ja so eine Art Putzgruppe zusammen bilden.«
»Nur wir zwei? Sicher, dass wir da nicht bis am fünften Sonntag im Februar putzen?«
Kitt verstand meine Metapher nicht, denn sie sah mich verwirrt an. »Hä?«

Ich verdrehte bloß die Augen, etwas Untypisches für mich, und schüttelte den Kopf.

»Na, ist ja jetzt auch egal. Jedenfalls wird die Party wahrscheinlich am Freitag in zwei Wochen sein.«
»Der Tag, bevor die großen Ferien beginnen?«
Kitt nickte. »Es war der einzige Termin, an dem ich einen DJ finden konnte. Übrigens, eine gute Bekannte hat mir erzählt, dass du letztens mit dem jungen de Nevoir ziemlich... intim gesichtet worden bist — stimmt das?«
Ich konnte dem prüfenden Blick der rehbraunen Augen von Kitt nicht aus. Ich schluckte heftig. Was sollte ich denn jetzt sagen?
»Äh... ja, das stimmt...«, murmelte ich leise und sah auf meine Hände.

»Dakota?!«, rief meine Freundin aufgewühlt aus, »Und was ist mit Ben?«

Ich musste erneut schlucken. Wer hatte mich erwischt?

»Hat es sich wenigstens gelohnt?«

Ich sah Kitt empört an und zog die Augenbrauen zusammen, sodass eine tiefe Falte über meiner Nase entstand. »Was meinst du?«

»Na, kann er gut... Du weißt schon!«

»Nein, weiß ich nicht. Was meinst du?«

»Kann er gut ficken?«

»Oh«, war das Einzige, das mir entwich. »Wir haben nicht direkten Kontakt gehabt... Er hat mich nicht mal geküsst!«
»Und was habt ihr dann gemacht?«
»Ach, keine Ahnung«, entfuhr es mir frustriert. »Er kam mir etwas näher, aber das war's schon!«

Falsch. In dieser Nacht hatte ich den größten Fehler meines Lebens gemacht, weil ich ihn an mich gelassen hatte. Er war ein Fremder, und trotzdem hatte ich ihm sofort mein Vertrauen geschenkt. Wie konnte ich bloß? Das Schlimme war, dass ich ihm sofort wieder vertraut hätte, wenn ich ihn wiedergesehen hätte.

»Ich weiß noch nicht mal, wie er heißt!«

Kitt hob die Augenbrauen und blickte mich verschwörerisch grinsend an. »Ich wusste gar nicht, dass unsere liebe Dakota Miller neuerdings auch One-Night-Stands abzieht!«

»Ich habe nichts gemacht, verfluchte Schieße!« Zum ersten Mal in meinem Leben fluchte ich außerhalb meines Gedankenzoos. Erschrocken schlug ich die Hände vor den Mund und riss die Augen auf. »Tut mir leid.«

»Ach Süße«, seufzte Kitt. »Und was machst du jetzt?«

»Nichts. Es waren schließlich bloß ein paar Minuten, die ich bei ihm war. Ich habe ja nichts Unanständiges gemacht, für das ich mich bei Ben entschuldigen müsste!«

»Du hast ihm die Möglichkeit, dich zu verletzen, geschenkt. Ist das denn nicht genug?«
»Habe ich nicht!«

»Hast du.«
»Habe ich nicht!«

»Du kannst mit mir noch ewig streiten, wenn du willst. Du hast es getan, und das weißt du auch. Ich hoffe bloß, dass er dich nicht auch verletzt...«
»Was soll das denn schon wieder heißen?«, fragte ich erneut patzig. Diese Seite kannte ich gar nicht von mir.

»Er ist als der royale Herzensbrecher bekannt.«
»Royal? Ist er ein Königssohn oder was?«

»Nein, er ist der Neffe des letzten Habsburgers, soweit ich weiß. Also, Geld hat er genug.«
»Und deshalb hat er auch eine Präsilbe beim Nachnamen?«
»Allerdings«, nickte Kitt.

»Woher weißt du das alles?«
»Weil meine Schwester mit seinem Bruder etwas hatte.«
»Sein Bruder? Warte mal... willst du mir ernsthaft verklickern, dass Amadeus der Bruder des geheimnisvollen Unbekannten ist?« Fassungslos blickte ich Kitt an.
Diese nickte grinsend. »So nennst du ihn also in deinem Kopf?« Sie kicherte.

Ich verdrehte die Augen. »Soll ich seinen echten Namen riechen oder was?«

Ich schluckte. Wieso war ich heute bloß so ungezähmt Kitt gegenüber?
»Nein, aber ich kann ihn dir gerne verraten. Der Kerl, mit dem du einige hinreißende Momente hattest, heißt Milan de Nevoir.«

In diesem Moment riss jemand die Türe auf. Mein Kopf flog zu dem Eindringling.

»Was?«, fragte dieser. Ich erkannte die Stimme sofort. Es war Ben.

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Uuuuuh, Drama Baby.

Was meint ihr, was mit Ben passiert? Immerhin war es ja auch nicht gerade einfach, Kitt zu überzeugen. Und Ben?

Danke fürs Lesen! ❤️

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⏰ Last updated: Jan 22, 2017 ⏰

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