Die Brücke im Park

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Wenn du wirklich niemanden hast. Wenn du genau weißt, dass niemand dich vermissen würde. Was tust du dann??

Ich laufe bedächtig den Asphaltweg entlang. Alte, plattgetretene Kaugummis zieren ihn. Großstadt. Autos rasen an mir vorbei, weit über den eigentlich festgelegten 50km/h. Was solls. Niemand der anderen Passanten sieht mich. Oder will mich sehen, wie mans nimmt. Keiner schenkt mir Beachtung, was mir gerade recht ist. Dann bemerkt es auch keiner.
Ich will in den Park. Dort ist es grün. Und schön. Friedlich umd still. Mal abgesehen von dem Gekreische kleiner Kinder und Geschwatze von Müttern oder Vätern. Ich war dort oft. Jetzt nichtmehr. Heute zum letzten mal. Zuhause liegt der Brief ordentlich auf dem Kopfkissen. Alles ist aufgeräumt, ich will keine Unordnung hinterlassen, wenn ich gehe. Ja ich werde gehen. Und zwar bald. Hat viele Gründe. Man kann auch sagen, es gibt viele Beteiligte. Leute aus meiner Klasse, von meiner Schule. Meine Eltern, beste Freunde. Alle hängen mit drin. Sind Schuld an dem Kommenden. Desshalb der Brief. Sie sollen es wissen.
Exakt 6 Personen. Fünf Abschnitte. Einer für meine Eltern. Die nie da sind. Nie. Sich nicht um mich kümmern, nichts. Ich glaub, seit ich sechs bin koche ich selber. Von da an waren sie immer weg. Liebeskummer - ich hatte keine Ansprechpartner. Nicht dass ich mit meinem Dad darüber geredet hätte. Aber wäre meine Mutter öfters da...

Meine Eltern sind einfach scheisse. Klar, andere schreien "YEAH!!" wenn die Eltern nicht da sind, aber es ist einfach nur scheiße, wenn sie nur zweimal im Jahr da sind und deinen Geburtstag vergessen. Mein Dad ist da sowieso komisch. Mag Geburtstage nicht. Hasst sie regelrecht.

Der zweite Abschnitt geht an Melanie Pastarkis. Die größte Hure der Welt. Sie nannte sich einmal meine beste Freundin. Und naja, jetzt ist sie es schon lang nicht mehr. Wegen ihr ist mein Leben am Arsch. Es war eigentlich ein normaler Mädelsabend, wir hatten etwas getrunken. Und dann hatten wir uns ausgezogen und Bilder gemacht. Warum ich da mitgemacht habe weiß ich nicht. Vermutlich lags am Alkohol. Der steigt mir ziemlich schnell zu Kopf.

Sie hat die Bilder von mir auf Facebook hochgeladen. Und jeder hat sie gesehen. Jeder ihrer beschissenen "Freunde". Sie hat leider viele. Und ich war am Ende. Sie haben mich Bitch und Fotze genannt. Dreckige Hure. Mich beschimpft und gemobbt. Dass ich hässlich sei. Dass ich nie jemanden finden würde.

Der dritte Abschnitt handelt von Dani. Mein damaliger Freund. Der sich mit Melanie verbündet hat. Mich betrogen hat. Beleidigt. Gemobbt. Der mich geschlagen hat. Gedemütigt. Der erzählt hat, ich sei eine Niete im Bett und meine Küsse wären das Grauen. Der die Bilder geteilt hat und etwas darunter schrieb. Er hat alles nur noch schlimmer gemacht.

Der vierte Abschnitt gehört Samira. Die stille, brave Samira. Denkste! Sie hat mich gestalkt. Mich bedroht. Erpresst. Mit Bildern. Noch mehr Bildern. Ich hatte solche Angst. Jetzt weiss ich, dass alles in 20 Minuten ein Ende hat.

Ich laufe an einem Baum vorbei. An dem Baum. Der Baum, in welchen die Inizialien D&E eingeritzt wurden. Mit Herz. Für Daniel und Elle. Ich ziehe mein Taschenmesser heraus und mache mich an der Rinde des Baumes zu schaffen. Wie schon vor einem Jahr. Nur diesmal ritze ich nur einen Strich auf die Linde. Einen Strich durchs Herz.

Der Grund warum ich es hier mache ist mit dem letzten Abschnitt verbunden. Warum ich hier im Park mein Ende finden werde. Weil hier ein Treffen stattgefunden hat. Ein Treffen, das mich hätte retten können. Die andere Person hat mich nicht ernst genommen. Morgen, spätestens übermorgen wird sie sich Vorwürfe machen. Von wem ich spreche?

Vom lieben Herr König. Dem Vertrauenslehrer. Ich habe ihm alles erzählt. Es angedeutet. Er hat mich ausgelacht. Ausgelacht. Es was niederschmetternd. Ich wurde ja schon ignoriert, gemobbt, vernachlässigt, geschlagen, gedemütigt und ausgelacht. Aber das selbst Erwachsene mich nicht ernst nehmen... Es bricht einem das Rückgrat.

Ich bin fertig. Das Messer verschwindet in meiner Hosentasche. Dort ist noch eine Schachtel. Die Absicherung.

Ich schaue auf den Boden. Der zur Brücke führt. Der hässlich ist. Ja, der Weg ist hässlich. Und ich bin es auch. Ich trage eine Mütze. Und darüber die Kaputze meines schwarzen Hoodies. Schwarze Hose und schwarze Schuhe. Schwarz, Emo. Ich wollte unauffälig bleiben.

Einfach am Ende. Ich habe lang überlegt ob ich es wirklich machen soll. Ob ich mein "Leben" wirklich beenden soll. Und wenn ja, wie. Schließlich bin ich zum Schluss gekommen dass es besser ist. Dann sind sie mich los. Und ich sie. Ich habe dann keine Sorgen mehr.

Meine Haare liegen im Müll. Im Bad. Ich habe sie mir vorhin abrasiert. Fühlt sich gut und richtig an. Ich lasse los. Lass mein Leben los.

Da ist die Brücke. Sie geht über einen Fluss. Einen großen Fluss. Ich umfasse mit der einen Hand die Schachtel in meiner Tasche, mit der anderen das Eisengeländer der Brücke. Ich nehme die Schachtel heraus, mache sie auf. Tabletten. Ich drücke eine nach der anderen heraus. Das Geräusch berauscht mich. Keine Menschenseele ist auf der Brücke. Zum Glück.

Ich werfe die leere Schachtel in den Fluss. Dann lege ich mir eine Tablette nach der anderen auf die Zunge. Alle 24 Stück. Ich schließe meinen Mund, umfasse nun mit beiden Händen das Brückengeländer und klettere darüber. Immer noch keiner.

Ein schmaler Absatz ist alles, was mich von der Erlösung trennt. Dann schlucke ich die Tabletten, lächle mit Tränen in den Augen und lasse los. Meine Hände gleiten über das Eisen unter meinen Füßen spüre ich keinen Halt. Ich spüre den Wind, höre das Platschen bei meinem Aufprall und ein Schmerz durchzuckt mich. Es wird schwarz. Jetzt ist es vorbei.

Die Brücke im ParkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt