d a r k n e s s

2.1K 319 68
                                    

»Schön, dass du mich heute nicht alleine lässt.«

»Das werde ich nicht noch einmal tun. Mein Bruder ist heute bei Freunden, das heißt, dass ich die ganze Nacht mit dir verbringen kann

»Hört sich gut an.«

»Arbeitet deine Mutter diese Nacht

»Von zehn bis vier.«

»Du sitzt also schon seit anderthalb Stunden alleine auf dieser Bank

»Nein, ich bin auch erst vor einer halben Stunde gekommen.«

»Gut. Ich dachte nämlich wir bleiben noch eine Weile hier. Natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht.«

»Ich genieße jede Sekunde mit dir.«

»Wirklich?«

»Glaubst du etwa ich würde dich anlügen?«

»Natürlich nicht, aber ich war überrascht das von dir zu hören. Weil es mir nämlich genauso geht.«

»...«

»Übrigens muss ich dir noch was sagen: Mein Name ist nicht Mike.«

»Was? Du hast mich also angelogen?«

»Ich habe nie gesagt, dass ich so heißen würde.«

»Das heißt, ich habe dich vier Tage lang falsch genannt?«

»Es hat mir nichts ausgemacht

»Und wie ist dein echter Name?«

»Liam.«

»Gute Nacht, Liam hört sich viel schöner an als Gute Nacht, Mike

»Und was stellst du dir unter dem Namen Liam vor? Auch einen jungen, attraktiven, sportlichen Kerl

»Nein, eher einen reifen, gut aussehenden, nachdenklichen Mann.«

»Das sagst du nur, weil du mich schon kennst

»Dein Aussehen kenne ich immer noch nicht.«

»Keine Sorge, das wirst du schon noch

»...«

»...«

»Was machst du da?«

»Ich habe Wunderkerzen mitgenommen. Schließlich ist heute doch Silvester

»Oh, das ist eine schöne Idee.«

»Es ist dreiundzwanzig Uhr neunundfünzig. In drei, zwei - frohes neues Jahr

»Das wünsche ich dir auch, Liam

»Hier, eine Wunderkerze

»Danke.«

»Hey, was machst du da? Willst du mich anzünden

»Nein, ich möchte sehen wie du aussiehst und dafür brauche ich schließlich das Licht der Wunderkerze.«

»Und?«

»Passt.«

»Passt?«

»Willst du unbedingt hören wie gut du aussiehst?«

»Schadet ja nicht, oder

»Liam, du bist wunderschön. Nicht nur vom Aussehen, nein, dein Charakter ist ebenfalls schön.«

»Das Gleiche lässt sich über dich sagen

»Ich hätte ehrlich nicht gedacht, dass ich jemandem in der Schule auffalle und dass dieser Jemand mich seit Tagen mit Komplimenten verrückt macht.«

»Und ich hätte nicht gedacht, dass du deine kostbaren Nächte mit diesem Jemand verbringst und ihn mit deiner Anwesenheit so verrückt machen kannst.«

»Liam... Ich habe das Gefühl, du stellst dir unter mir mehr vor als ich tatsächlich bin. Du würdest nur enttäuscht werden, würdest du mich besser kennenlernen.«

»Nein, das kann ich mir ni-«

»Gute Nacht, Liam.«

»Quinn! Du kannst jetzt doch nicht einfach so gehen! Jetzt warte doch!«

»Worauf? Das Feuerwerk ist ohne mich doch mindestens genauso schön wie mit mir.«

»Ich brauche das Feuerwerk nicht, Quinn. Du bist mein Feuerwerk! Früher hat mir Silvester immer diese unglaubliche Hoffnung gegeben, dass das, was kommt, so viel besser werden kann als das, was war. Dass jede noch so dunkle Nacht durch grelle Farben erhellt werden kann. Nun brauche ich es nicht mehr, weil du mir dieses Gefühl gibst.«

»Es wird erlischen, das Gefühl wird nach und nach vergehen, je länger du Zeit mit mir verbringst und merkst, dass ich nicht die bin, die du dir erhoffst. Und dieses Jahr kann mir wohl nichts und niemand das Gefühl geben, das Silvester einem normalerweise schenkt.«

»Doch. Du brauchst bloß die Augen zu schließen.«

»...«

»...«

»...«

»Hast du es gespürt? Das Feuerwerk?«

»Ich... ich glaube schon. Aber ich muss es nochmal spüren.«

»...«

»...«

»Weißt du, Quinn? Nur weil du denkst, dass du nicht gut genug bist, heißt das nicht, dass du es auch bist. Dein Freund hat sich umgebracht, aber nicht deinetwegen. Mein Bruder wollte sterben, aber nicht meinetwegen. Manchmal schreibt einem das Schicksal Rollen vor, die einem gar nicht ähnlich sind. Und den Grund dafür sucht man bei sich selbst. Aber es ist und bleibt eben Schicksal. Genauso wie der Fakt, dass wir zwei uns niemals getroffen hätten, wären die Beiden noch am Leben. Ich wäre vor einer Woche nicht in diesen Park gegangen und du hättest nicht auf dieser Bank gesessen. Ohne die Zwei hätten wir uns auch nicht gegenseitig zum Leuchten bringen können, weil unsere Leben bereits erhellt wären.«

»Wie Sterne, die ohne Dunkelheit nicht leuchten können.«

»Und ich kann es nicht ohne dich. Und jetzt sag nicht Gute Nacht, Liam und geh plötzlich wieder. Denn diese Nacht ist schon gut, sogar mehr als das, und sie kann kaum noch besser werden.«

Jede NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt