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Es ist einer dieser Tage, an denen ich mich frage, was passiert wäre, wenn ich diese Bank niemals betreten hätte. Oder wenn ich zumindest eine Stunde später gekommen wäre. Aber was geschehen ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Das weiß ich heute mehr denn je.
Ich stand in der Schlange am Bankschalter, als eine alte Dame loskreischte. Als ich mich reflexartig umdrehte, da sah euch.
Ihr hieltet scharfe Knarren in der Hand und eure Gesichter waren unter den dunklen Masken verborgen. Adrenalin schoss durch euren ganzen Körper. Deine beiden Kollegen gingen mit schnellen Schritten auf die Bankmitarbeiter zu. Du kümmertest dich um uns, die Kunden, die nun innerhalb von Sekunden zu Geisel geworden waren. Ihr schriet uns an. Wie von selber, legte ich mich mit ausgestreckten Gliedern auf den kalten Fußboden, ich zog eine junge Frau an ihrer Jacke mit. Ich hörte, wie sie weinte. Dann nahm ich zum ersten Mal deine Stimme wahr. Du sagtest, dass wir ruhig bleiben sollten. Hinter mir waren zwei Kleinkinder. Man hörte, dass es dich einige Überwindung dazu kostete, auch sie anzuschreien. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass die Mutter ihre beiden Kinder nun an sich drückte. Das kleine Mädchen umklammerte ihr Kuscheltier, das die Form einer Qualle hatte. Du sagtest nichts, sahst sie an. War da Reue in deinem Blick gewesen? Dann fielen die dunklen Augen unter deiner Maske auf mich und sie verengten sich. Du umgriffst die Pistole in deiner Hand so fest, dass deine Fingerknöchel weiß wurden und ich sah zu Boden.
Ich bekam mit, wie es am Schalter Probleme mit dem Geld gab. Aber du warst fokussiert, sahst nicht rüber zu deinen Kollegen. Du marschiertest um uns Geisel mit deiner Knarre herum. Ich spürte, wie du über mich stiegst.
Überall um mich herum weinten Menschen. Eine Frau schrie wie eine Irre. Es war schrecklich, das zu hören. Und als ich mir die Hände auf die Ohren pressen wollte, um dem zu entfliehen, spürte ich das kalte Metall im Nacken. „Was machst du da?", fragtest du nur wenige Zentimeter von mir entfernt. „Hände weg vom Körper und ausstrecken!", brülltest du und ich zuckte zusammen. Ich tat leise, was du sagtest. Du feuertest keine Kugel auf mich ab, entferntest dich.
Minuten vergangen.
„Wolf", riefen dir deine Komplizen zu und es war das erste Mal, dass du deinen Blick von uns abwandtest. Wolf, das war nicht dein richtiger Name. Er passte nicht zu dir. Ihr hattet Decknamen benutzt. „Wir gehen mit zwei Angestellten in den Keller zum Vorrat", sagte dein Mittäter und du nicktest. Man hörte, wie ihre Schritte auf der Treppe hallten. Dann war da noch etwas in der Luft, Blaulicht. Ich wagte einen Blick nach draußen und sah Beamte vor der Tür stehen. Eins, zwei Sekunden lang zitterte deine Hand, dann ließt du dir nichts anmerken.
Bis heute weiß ich nicht woher sie Bescheid wussten.
Die Polizisten hatten dich im Visier. Du hieltst kurz deine Waffe hoch, dann holtest du eine zweite kleine Pistole aus deiner Jeans hervor und zeigtest auch diese den Beamten.
Dann hast du beide auf uns gerichtet. Noch schlimmer, auf mich. Ja, mich hattest du fest im Blick. Die Polizisten draußen erstarrten. Blitzschnell ändertest du dein Ziel und ein ohrenbetäubender Knall erfolgte. Du hattest in einen Schrank geschossen, der nun geräuschvoll in sich zusammenbrach.
Die Cops hoben beruhigend ihre Hände. Sie hatten Angst. Und da waren sie nicht die einzigen.
„Verpisst euch!", brülltest du. Sie verstanden draußen deine Worte nicht, aber deine Gesten und sie zogen sich ein paar Meter zurück.
Deine Kumpel kamen nicht aus dem Keller zurück. Wahrscheinlich dachten sie, dass die Polizei von einem Einzeltäter ausging und wollten sie in diesem Glauben lassen.
Sie ließen dich im Stich. Das bemerkte ich, als du dir durch das bedeckte Gesicht fuhrst. Wir lagen Ewigkeiten so da. Später erfuhr ich, dass es nur wenige Minuten gewesen waren.
In der Nähe weinte eine Frau. Erst jetzt bemerkte ich das Baby, das sie an sich drückte. Sie wandte sich an dich. „Bitte...", zitterte sie. „Ich...ich kann keine Muttermilch geben...mein Baby brauch was zu essen.", schluchzte sie. „Lass mich gehen.", flehte sie. Du machtest gar nicht. Nun war es offensichtlich, dass du unter Stress standest. Dunkle, hässliche Schweißflecken hatten sich auf deinem T-shirt gebildet. Du starrtest das Baby an. Fast erwartete ich, dass du die Hand nach ihm austrecken und ihm über den Kopf streichen würdest. Aber du fingst dich wieder und dein Gesichtsausdruck wurde hart.
Und dann lähmte die Angst mich nicht länger, sie richtete mich auf. Binnensekunden warst du bei mir. Ich musste an die Umschreibung Wolf denken. Ich schluckte. Ich hatte Angst, mehr denn je. Angst, vor deinen schwarzen Augen. Ich wollte reden, aber es kamen keine Töne aus meiner Kehle. Ich räusperte mich. „Du musst doch mit jemandem eh hier raus. Darauf wird es hinauslaufen. Lass die Leute gehen", flüsterte ich. Mein Blick fiel auf die Kinder, das Baby und die Oma, die ganz und gar fit aussah. Durch deine Maske hatte ich es nicht sehen können, aber ich bin sicher, dass du eine Augenbraue hochzogst. Du überlegtest. Es ratterte unter deiner Schädeldecke und dann packtest du mich. Fest. „Du weißt, was du mir da anbietest. Du zahlst den vollen Preis, während die Leute gehen werden dürfen.", rauntest du mir zu. Hätte ich nein gesagt, hättest du mich wahrscheinlich tatsächlich losgelassen und auf den Boden gestoßen. Aber ich nickte und dann sahst du mich lange an.
Du ließt mich nicht los. Zerrtest mich erbarmungslos mit zur Tür, und das schlimmste: du hieltst mir die Waffe an den Schädel und legtest einen Arm um mich. Meine Beine funktionierten fast von selber. Du sprachst nun zu den Beamten. Erklärtest ihnen dein Vorhaben. Fordertest, dass sie uns ohne weiteres gehen lassen würden. Sonst wäre ich tot. Du schriest nach einem Fluchtauto.
Eine Minute später stellten sie einen Yamaha vor der Bank ab.
Wir verschwanden. „Füttern sie ihr Baby", riefst du der einen Frau zu. Ehe ich mich versah schleudertest du mich förmlich auf den Beifahrersitz.
Du fuhrst katastrophal. Ich klammerte mich an meinen Sitz. Ich hatte dir ins Lenkrad greifen können oder mir die Waffe schnappen, die du auf dem Amaturenbrett abgelegt hattest, aber ich traute mich nicht.
Du verließt die Stadt, atmetest durch.
„Mädchen, das war mutig", seufztest du.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 29, 2017 ⏰

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