Der Vogel sucht einen Platz zum Landen, sieht aber nur das weite Meer

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Es war kein schickes Restaurant, in das ich Sophia brachte. Man könnte es eher als Bar oder Cafe betrachten und trotzdem fühlte ich mich hier beruhigter als sonst wo. Die Theke war aus schönem altem Holz, aber sonst machte das Lokal einen herutergekommenen Eindruck. Auch Kellner oder sonstiges Personal suchte man vergebens. Die schlicht gelben Wände trugen nicht gerade zu einer gemütlichen Atmosphäre, bei der man gemütlich Spaghetti essen wollte, bei. Ich öffnete die Tür, holte tief Luft und setzte mich anschließend auf den kleinen Tisch in der Ecke, von dem aus man den Stadtpark sehen konnte. Ein kleiner weißer Hund lief hinter etwas her, vermutlich einem Schmetterling oder einer Libelle und sprang durch die von den Bäumen gefallenen Blätter. Sophia setzte sich mir gegenüber.
"Ich dachte wir würden hier deine Freunde treffen?".
"Wir sind ein wenig zu früh hier, aber keine Sorge, die kommen schon noch".
Es wurde wieder still und ich beobachtete wieder den Hund, der nun einen Spielkameraden, einen größeren schwarzen Dackel, gefunden hatte. Sophia sah sich nervös um.
"Gehst du in unsere Schule?".
Man merkte, dass sie sich nicht wohl fühlte. Mein nachdenkliches Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, mein Blick richtete sich aber auf meine Hände.
"Nein. Ich gehe schon lange auf keine Schule mehr".
"Oh. Wie alt bist du?".
"Wie alt schätzt du mich?".
Ich hatte gehört, dass Erwachsene diesen Satz oft sagten, auch wenn sich mir der Sinn nicht ganz erschloss.
Sie sah mich nachdenklich an und musterte meine langen schwarzen und durchaus zerzausten Haare, meine grünen Augen mitsamt Brille, bis hin zu meinem langen schwarzen Mantel.
"Ich sage du bist etwas älter als ich. In etwa 17".
Ich musste grinsen. So jung hatte mich schon lange keiner mehr geschätzt.
"Naja fast. Ich bin 15".
Sie sah mich überrascht an.
"Ich hätte dich älter eingeschätzt".
Ich striff mir die Haare aus dem Gesicht.
"Das höre ich öfter".
Dieses Gespräch war so belanglos, dass ich mich irgendwie wohl fühlte.
"Also, ich habe tausende Fragen und... naja, ich weiß nicht wie ich sie stellen soll".
"Keine Sorge, wenn dann alle eingetroffen sind hoffe ich, dass ich einiges erklären kann, bevor du danach fragen musst".
Sie blickte auf ihre Schuhe. Ihre langen blonden Haare vielen ihr ins Gesicht und verdeckten ihre blau-grauen Augen.
Ich sah nachdenklich zur Decke. Die Lampe hing etwas schief und eine Glühbirne war zersprungen. Sophia schien mir blind zu vertrauen, was mich etwas beunruhigte. Als ob sie erwartet hätte, dass jemand sie vom Dach holen würde. Ich sah zum Fenster hinaus. Draußen konnte man den Wind ein paar Blätter vom Boden aufheben und sie für ein paar Meter tragen sehen.
"Wieso wolltest du sterben?".
Sophies Kopf, welchen sie gerade erst wieder aufgerichtet hatte, senkte sich wieder, wie eine Blume, die man vergessen hatte zu gießen. Langsam aber merkbar.
Ich wusste ich hatte weder Grund noch Recht das zu fragen.
Sie folgte meinem Blick nach draußen.
"Ich war müde".
Das reichte mir als Antwort und es sah nicht so aus als würde sie mehr sagen. Ich schloss die Augen und konnte den Frühling riechen.
Unser Schweigen wurde durch ein lautes Poltern unterbrochen. Sophia und ich drehten sich fast gleichzeitig Richtung Eingang. Am Boden lag ein großer, blonder Junge. Allerdings waren auf seiner rechten Kopfseite die meisten Haare violett und hingen ihm ins Gesicht da sie doppelt so lang waren wie die blonden. Er trug ein T-Shirt mit einem Aufdruck, der ein Toastbrot das panisch vor einem Menschen davonrannte zeigte.
Er raffte sich und sammelte das Zeug, das aus seiner Tasche gefallen war ein, während er leicht genervt vor sich hinmurmelte. Ich wartete bis er sich aufgerichtet hatte bevor ich was sagte
"Du bist pünktlich auf die Sekunde, Mark".
"Ja".
Er stellte die Sachen auf die Theke, bevor sein Blick kurz auf Sopia fiel.
Sehr überrascht, nein eher panisch sah er mich an und deutete mit seinem Kopf wild herum.
"Ich habe ihr noch nichts erklärt, ich wollte warten bis du und Emilia da seid".
Sophia, die noch immer von Mark angestarrt wurde, begann sich noch unwohler zu fühlen. Als er sich beruhigt hatte seufzte er tief bevor er seine Tasche erneut aufhob.
"Ich gehe essen machen" .
Er klang besorgt. Sophia sah mich fragend an.
"Ist er ist der Koch?".
"Nein. Wir wohnen hier. Das ist unser Haus".
"Ihr wohnt in einem Restaurant?"
Ihre Stimme klang zweifelnd.
"Aber, du bist erst 15? Was ist mit euren Eltern?"
"Mark ist bereits 19 und er lässt mich und Emilia hier wohnen. Wir kommen aus dem selben Waisenhaus. Das Restaurant hat seinen Eltern gehört. Sie starben bei einem Brand".
Als hätte ich die Geschichte auswendig gewusst ratterte ich die Fakten herunter, ohne Raum für Fragen zu lassen.
"Oh. Ich wusste nicht dass ihr Waisen seid".
"Wie auch."
Ich hielt kurz inne.
Eigentlich war es unnötig, ihr diese Lüge so kurz bevor sie die Wahrheit erfahren sollte, zu erzählen
"Aber keine Sorge, wir leben zufrieden. Ich hab kein Problem damit".
Ich sah wieder aus dem Fenster, aber der Hund war bereits fort.
"Ich wollte nie Eltern haben".
Das war wie ich wirklich empfand.
"Weißt du wer sie sind?".
Ich schüttelte den Kopf.
Es dauerte eine Weile bis Sophia wieder die Stille brach.
"Warum war er... Mark... so entsetzt mich zu sehen".
"Erklär ich dir, sobald Emilia da ist".
Ein Lachen ertönte über uns.
"Aber ich bin doch schon da"
Erschrocken richtete ich meinen Kopf gegen Decke. Nicht, dass es mich überraschte.
"Hast du dich erschreckt?"
Ein rothaariges Mädchen mit Sommersprossen saß wortwörtlich an der Wand und lachte erheitert.
"Emilia komm da runter".
Meine Stimme klang leicht aufgebracht, eher genervt.
"Emila, sie versteht es noch nicht und das weißt du!"
"Ich dachte das würde Zeit sparen".
Ja sicher.
"Du wolltest nur deinen Spaß".
Ich richtete meinen Blick nervös zu Sophia die ausdruckslos nach oben starrte.
"Sie fliegt".
Mehr sagte sie nicht, aber ihr Blick strahle weder Angst noch Verwirrung aus. Es war der Blick eines Kindes, das für das erste Mal ein Flugzeug sah und nicht verstehen konnte wie etwas so schweres durch die Lüfte gleiten konnte.
Langsam glitt Emilia von der Wand und landete elegant auf dem alten Holzboden und musterte Sophia.
"Du bist süß"
In Sophias Augen schimmerte etwas, das ich als Faszination bezeichnen würde, und das, was sie nicht verstand schien dadurch an Bedeutung zu verlieren.
"Ist Mark schon da?"
"Ja, er kocht gerade Spaghetti"
"SPAGHETTI!"
Spaghetti waren Emilias Lieblingsgericht, allerdings schien sie heute ein wenig zu begeistert zu sein, vor allem weil ich mich konzentrieren musste und sie mich mit ihrer Hyperaktivität sehr ablenkte.
Emilia setzte sich neben Sophie.
"Wie lange braucht Mark denn noch?"
"Bis er fertig ist".
"Wir könnten doch währenddessen anfangen".
Sie grinste Sophia an. Irgendwas an ihrer heiteren Art machte es unmöglich sauer auf sie zu sein.
"Also, Sophia", begann ich und sah sie an.
"Dir das jetzt zu erklären wird schwierig, also bitte ich dich einfach zuzuhören und im Nachhinein Fragen zu stellen. Ist das Okay?"
Sarah starrte noch immer Emilia an, die nun aus einer Serviette etwas faltete und eine Melodie summte, jedoch hatte der Blick Faszination gegen etwas anderes, das ich nicht beschreiben kann ausgetauscht. Meine Worte rissen sie aus ihrer Trance.
"Ja... okay".
"Ausgezeichnet".
Meine Mine war weiterhin ernst geblieben.
"Also, lass mich dir kurz etwas erklären. Mark und Emilia sollten eigentlich nicht mehr existieren."
Emilias Gesicht verzog sich kurz. Nur für einen Moment.
Sahrah sah mich verständnislos an.
"Ich weiß es ist schwer zu verstehen aber stell dir vor, du könntest die Geschichte unseres Universum von einem Beliebigen Punkt neu starten. Egal von wann du ausgehst, das Endergebnis wird immer dasselbe sein. Solange sich nicht an der Ausgangssituation änderd wird es die Zukunft auch nicht. Allein das Wissen was in der Zukunft passieren wird kann diese ändern. Nun ja, nur fast. Der Verlauf der weiteren Zukunft beruht komplett auf Entscheidungen aller Wesen. Egal wie klein diese sind. Zum Beispiel könnte ein Mann sich dafür entscheiden, heute fünf Minuten später aufzustehen, dann dazu führt, dass er seine eventuelle Frau nie kennenlernen würde, und sein Sohn, der in der weiteren Zukunft einen Weltkrieg auslösen würde, wird nie geboren. Das nennt man Schmetterlingseffekt. Das alles gerade kurz zusammengefasst heißt also, dass wenn wir die Geschichte unseres Universums von Null starten würden, würde alles genau gleich ablaufen. Das allerdings nur, weil alle Wesen die exakt gleiche Entscheidungen treffen würden. Das Phänomen, welches ich dir gleich erklären werde, nennen wir unmögliche Entscheidungen. Keine Wahrscheinlichkeit, hat je genau eine ausgeglichene Wahrscheinlichkeit. Ein Münze, zum Beispiel, ist auf einer Seite immer ein wenig schwerer, als auf einer anderen. Dazu kommt, dass, sollte man den Münzwurf durch zurückspulen der Zeit und ohne Änderung der Umstände wiederholen, genau dasselbe Ergebnis erzielt werden würde, weil Wahrscheinlichkeit mit dem tatsächlichen Wurf der Münze wenig zu tun hat. Anders ist das mit Gedanken und Entscheidungen. Normalerweiße wägen Menschen Vor- und Nachteile ab und wählen dann das bessere. Sollte bei einer Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten die Entscheidung für beide Möglichkeiten auf exakt fünfzig Prozent fällt, könnte auch eine andere alternative Version der Zukunft eintreten. Wir denken immer, wir würden unsere eigenen Entscheidungen selbst treffen, die Zukunft ist jedoch fix und fertig aufgeschrieben. Die Tinte ist trocken"
Ich hoffte sie verstand diese Metapher.
"Sollte nun eine Entscheidung anders als vorgesehen ausfallen, erkennt das Universum einen Fehler, wie ein Rechner, der sich weigert durch null zu dividieren. Sollte so ein Fall eintreten, was nicht nur extrem unwahrscheinlich sondern auch fast unmöglich ist, reißt das Universum den Geist aus dem Körper und steuert diesen durch sein restliches bereits festgelegtes und fertiggeschriebenes Leben, wobei ich mit "Universum" eine Art höhere Macht meine".
Ich holte tief Luft, bevor ich fortfuhr.
"Und Mark und Emilia waren eben genau zwischen zwei möglichen Zukunften gefangen. Und sie haben sich unwissentlich gegen das Universum gestellt, woraufhin ihr Geist aus ihrem Körper gerissen wurde. Solche Menschen können von normalen Menschen werder gesehen noch berührt werden".
"Warte, du willst mir sagen, dass sie nicht existiert, weil sie eine alternative Zukunft gewählt hat, aber das Universum keinen Bock darauf hatte?"
"Schon, ja"
"Aber. Ich kann sie ja sehen".
Sophia berührte vorsichtig Emilias Schulter.
"Und fühlen!"
"Das ist ja der Punkt. Als du da oben auf dem Dach standest, hast du eine unmögliche Entscheidung ausgelöst und du hast dich anders entschieden, als das Universum".
Ihr Blick blieb lange auf mir haften, nicht wissend ob sie mir glauben sollte oder nicht.
"Heißt das, mein Körper ist gesprungen?"
"Ja"
Für ein paar Momente blieb sie ruhig, bevor sie aufsprang und panisch mit den Händen herumfuchtelte.
"Nein. So einen Blödsinn glaube ich nicht".
Ihre Stimme war rau und trocken.
"Ihr wollt mich verarschen. Ihr findet das lustig".
Sie drehte sich um und starrte Mark ins Gesicht, der mit einem Topf mehr oder weniger verwirrt dastand. Sophia schrie laut auf, stieß Mark zur Seite, woraufhin er den Topf fallen ließ, und rannte durch den Ausgang.
Für eine Weile sagte keiner etwas. Mark und Emilia starrten traurig auf die Spaghetti, die sich über den Boden verteilt hatten.
Nach einer Weile sah Mark zu mir.
"Denkst du, das hat irgendwie gut funktioniert?".
Ich dachte nach.
Emilia standen die Tränen in den Augen.
"Aber was wird jetzt aus den Spaghetti?"
Mark begann die Spaghetti wieder in den Topf zu schieben.
"Ich mache neue".
Emilias Gesicht strahlte wieder.
"Du bist der beste!".
Hier konnte ich mich nicht konzentrieren.
"Ich geh sie suchen".
"Weißt du wo sie sein könnte?"
"Vermutlich bei der Schule".
Ich stand auf und schnappte mir meinen Mantel. Ich musste sie finden bevor sie etwas anstellte. Sie kannte den Ausmaß ihrer Kräfte nicht.
"Emilia, kannst du mir helfen?".
"Aber natürlich!".
Geschickt sprang sie auf.
"Wir müssen sie finden bevor er von ihr erfährt".
"Logisch!"
Mark war gerade dabei den Boden aufzuwischen.
"Bitte halte uns auf dem Laufenden, Mark".
"Klar. Ich weiß doch wie wichtig sie ist".
Zum ersten mal seit langem sah ich ihn lächeln. Emilia und Ich drehten uns um und gingen zur Türe hinaus.
"Bereit, Tom?"
"Aber immer doch"
Sie löste sich vom Boden und begann gen Himmel aufzusteigen.
Ich bückte mich und berührte den Boden mit meiner rechten Handfläche. Einen Moment wartete ich, um mich komplett zu konzentrieren. Alles um mich herum wurde still, als wäre es stehengeblieben.
"Im Namen des Verfluchten, des Verbannten und des Vergessenen, der Herrscher über Gestern, Heute und Morgen, gebt mir was mir zusteht!".
Um meine Hand begann schwarzer Rauch aufzusteigen, der aus dem nichts zu kommen schien und sich langsam zu einer Art Schusswaffe formte. Ich umgriff sie fest und hielt sie umklammert, als hätte ich Angst sie würde verschwinden, sollte ich ihr nicht genug Aufmerksamkeit schenken. Entschlossen sah ich zu Emilia auf. Es sah so aus als stünde sie auf Luft.
"Kann losgehen!"
Sie nickte und streckte ihre Hand in meine Richtung.
Langsam hob sie mich in die Lüfte. Ich spürte, wie die Gravitation nachließ und unendliche Freiheit mich umgab. Ich schloss die Augen, streckte die Arme aus und ließ den Wind und die Blätter, die er mit sich trug um mich herumwehen. Er roch nach Frühling, aber er fühlte sich wie der Sommer an. Es war Winter.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 24, 2017 ⏰

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