»Marlen, ich habe dich überall gesucht. Kannst du mir die Hausaufgaben geben? Ich hatte keine Zeit, sie zu machen.« Kann sie nicht ein einziges Mal ihren Kram selbst erledigen? Ich verstehe nicht, warum meine beste Freundin das nie selber auf die Reihe bekommt. Naja, ich gebe ihr die Hausaufgaben einfach, weil ich weiß, dass sie ein kleiner Sturkopf ist, aber genau deswegen mag ich sie so sehr. Vielleicht habe ich dann meine Ruhe. »Hier, nimm sie ich gehe jetzt heim.«
Ist das normal, dass ich so viel Zeit für mich alleine brauche? Ich bin einfach eine introvertierte Person, die introvertierte, 16-jährige Marlen, die mit ihren drei Brüdern und ihren Eltern in Hamburg wohnt. Manchmal frage ich mich, was mit mir eigentlich nicht stimmt. Ich bin nicht, wie alle anderen in meinem Alter. Ich gehe selten feiern, habe keinerlei Interesse an Zigaretten und trinke wenig Alkohol. Außerdem weiß ich nicht, was alle so toll an Jungs finden. Ich meine, hallo?! Die meisten sind sowieso nur Machos und denken mit ihren 16 Jahren nur an das eine. Ich verstehe das nicht wirklich. Ich bin anders, das weiß ich, aber ist anders schlecht oder gut? Ich bin irgendwie froh, dass ich individuell bin. Leider bin ich nicht immer so positiv. Ich habe so meine Probleme.
Ich bin sehr oft angespannt und gestresst. Jeder kennt das, aber bei mir ist das extrem. Meine beste Freundin Mira kann sich nicht vorstellen, wie schlimm das für mich ist. Sie ist zwar immer für mich da, aber helfen kann sie mir dabei nicht. Keiner kann das. Ich fühle mich oft sehr armselig, wenn ich darüber nachdenke, warum mich Stress so aufwühlt, aber ich kann es nicht ändern. Meine Mutter, sie ist Anwältin in Hamburg, schleppt mich von Psychologen zu Psychologen, aber das hilft nicht. Mein Vater, er ist erfolgreicher Unternehmer, sieht das eher gechillter. Naja, kein Wunder, er hat kaum Zeit für mich und bekommt meine Panikattacken nicht mit. Ich glaube jedoch, dass er mich sehr lieb hat.
Zurzeit stehen ziemlich viele Prüfungen an und ich bin deswegen ziemlich durcheinander. Ich muss dieses Schuljahr mit guten Noten abschneiden. Ich brauche die Noten für mein Praktikum und bald ist die Notenschlusskonferenz. Ich brauche unbedingt mindestens einen Notenschnitt von 1,9. Dafür muss ich in Mathe eine Zwei und in Englisch eine Eins schaffen, sonst wird das knapp mit dem Praktikum beim Radiosender. »Okay Marlen, beruhige dich. Du kannst das schaffen. Du darfst nur nicht durchdrehen.«, höre ich tagtäglich von meiner Familie und Mira. Wie soll ich das denn schaffen, wenn mir tausende Gedanken durch die Quere kommen?
Naja...wir werden es sehen. Ich muss mich jetzt beeilen, das Mittagessen wartet. Ich hoffe einfach, dass mein großer Bruder Leon schon von der Uni zurück ist. Ich muss dringend mit ihm reden, bevor er wieder weg ist. »Marlen, warte kurz, Marlen!« Nein, das kann jetzt nicht wahr sein. Nicht schon wieder der Nachbarsjunge. Er will seit einem Jahr etwas von mir, aber ich nicht von ihm. »Marc, was ist?« Er schaut mich entgeistert an: »I...ich wollte eigentlich nur fragen, warum du heute in der Früh so schnell weggerannt bist?« Versteht er nicht, dass ich kein Interesse an ihm habe? Am Morgen bin ich nämlich von ihm weggelaufen, weil er die ganze Zeit so schräge Anspielungen gemacht hat. Ich lasse mir das doch nicht bieten, wenn er mich so behandelt und die ganze Zeit auf meinen Arsch schaut. »Marc, ich will nichts von dir und ich werde nie etwas von dir wollen.« Ich glaube das war jetzt eindeutig...Ich hoffe.
Ich rieche schon in der Hauseinfahrt das leckere Essen. Ich glaube ich beeile mich jetzt, damit ich endlich etwas im Magen habe. »Hey Kleines, ich habe dich so vermisst!« Oh mein Gott, mein Bruder ist schon da. Besser kann der Tag nicht mehr werden. »Leon ich habe dich auch vermisst. Ich muss dir so viel erzählen.« Ich fange an zu heulen. Warum bin ich so emotional, wenn ich Leon wiedersehe? Ich glaube ich habe ihn in meinem Unterbewusstsein mehr vermisst als ich gedacht habe. »Marlen du musst nicht weinen. Ich weiß selber wie scheiße ich heute aussehe, aber dass es so weh in den Augen tut, wusste ich noch gar nicht.« Er ist der witzigste Bruder auf Erden. »Leon haha, du weißt genau, warum ich weine.« Wir fangen wieder unseren wöchentlichen Geschwister-Boxkampf an.
Wenn ich ehrlich bin, ist Leon gleichzeitig auch mein bester Freund. Er hat so viel Verständnis und ich vertraue ihm zu 100 %. Ich kann mich noch so gut an meinen ersten Tag in der neuen Schule erinnern. Ich habe mich so unwohl gefühlt, weil ich niemanden gekannt habe. Dann habe ich meinen Bruder angerufen und er ist extra von der Uni zu mir gefahren, um mich aufzumuntern. Ich gehe mit ihm durch dick und dünn und jetzt habe ich ihn nach zwei Monaten endlich wieder für ein Jahr bei mir. Er hat nämlich sein Studium endlich fertig und kann Lehrer werden. Dieses Jahr muss er ein Praktikumsjahr machen, um danach ein Lehrer zu sein. Nach diesem Jahr, will er ein Auslandsjahr in Neuseeland machen. Das wird hart, aber ich denke einfach noch nicht daran...
»Kommt ihr jetzt bitte rein, es gibt Lasagne!« Oh mein Gott, mein Lieblingsessen. Ich laufe endlich wieder mit meinem Bruder um die Wette, wer schneller am Esstisch sitzt. Logischerweise bin ich schneller, da ich jeden zweiten Tag Lauftraining habe. Die Lasagne ist wie erwartet so gut wie immer. »Boah Mama, du bist die beste Köchin der Welt!« Ich umarme meinen Mutter und wollte gerade in mein Zimmer gehen, aber daraus wird wohl nix. »Danke, aber weißt du, wer sicher noch besser kochen kann? Marc! Ich meine, er ist im 2 Lehrjahr als Koch. Er könnte dich ja mal bekochen...« Boah wie ich diesen Blick von meiner Mutter hasse. Jetzt werde ich auch noch rot. Ich will nichts von ihm und habe kein Interesse an irgendeiner Beziehung...beziehungsweise könnte ich mir keine vorstellen...okay...ich weiß es ehrlich gesagt nicht, aber NICHT mit Marc. »Och Mama, lass es. Ich mag es nicht, wenn du solche Themen anschneidest.« Ich kann den Druck der Blicke meiner Mutter nicht mehr länger standhalten. Ich hau' in mein Zimmer ab. Soll sie doch denken, was sie will. Warum sind alle so fixiert darauf, mein Leben zu planen? Ich will doch einfach nur mein Leben so leben, wie ich es will. Nicht, wie es meine Mutter oder mein Vater wollen. Ich weiß doch selbst noch gar nicht, was ich in meinem Leben erreichen will, wie ich die Schule schaffe, was mein Traumjob ist oder wie viele Kinder ich mal haben will, wenn überhaupt... Warum sollten mich dann die Aussagen meiner Mutter kümmern? Ich bin verwirrt.
»Klopf, klopf.. Schwesterherz, darf ich reinkommen?« Mein Bruder ist toll. »Ja, komm rein!« Jetzt sitzen wir auf meinem Bett, so wie in alten Zeiten. Jetzt fehlt nur noch unsere Lieblingsschokolade. »Also erstens habe ich unsere Lieblingsschokolade am Weg hier her gekauft und zweitens...was ist los?« Er ist einfach der beste. Ich kann nichts Anderes dazu sagen. Genauso wenig kann ich zu meinen Problemen sagen, weil ich selber nicht weiß, was das Problem ist. Gibt es überhaupt ein Problem oder bilde ich mir das nur ein? Wie gesagt, ich bin sehr verwirrt. »Bruderherz ich weiß gar nicht genau, was Sache ist. Ich bin einfach durch den Wind und komme mit meinen Gedanken, die sich auch noch widersprechen, nicht klar und dann meint Mutter, dass sie sich in mein Liebesleben einmischen muss...« Das tut so gut, einfach mal das zu sagen, was man denkt. »Marlenchen... alles wird gut. Du bist durcheinander und das ist in deinem Alter völlig normal oder was denkst du, durch welche Phasen ich gegangen bin? Lass uns später noch eine Runde joggen gehen und danach fühlst du dich wieder besser. Wenn du über irgendwas reden willst, du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst.« Ich bin ihm so dankbar. »Danke und ja, sehr gerne!«
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Mein Leben und ich. (Noch) ein Chaos.
Teen FictionDie 16-jährige Marlen befindet sich gerade in einem ziemlichen Chaos. Sie ist nicht wie die anderen, aber sie hat noch keine Ahnung warum. Sie weiß nicht recht wohin sie einmal will und hat kein wohles Gefühl im Magen, wenn sie an ihre Zukunft denk...