Kapitel 2

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Ich wollte eigentlich vor dem Joggen noch meine Mathe Hausaufgabe erledigen, aber daraus wird heute nichts mehr. Ich bin einfach nur in meinen Gedanken versunken und Sport würde mir gerade sehr viel helfen. Da ich heute nichts mehr auf die Reihe kriegen werde, kann ich ja gleich joggen gehen. Ich suche erstmal meinen Bruder. Das Haus ist zwar nicht wirklich sehr groß, aber er ist wie ein Wirbelwind. Mal da und in der nächsten Minute wieder dort. Ich kann ihn zum Glück im Büro finden. »Hey hey! Ich wäre bereit zum Joggen. Wollen wir?« Er nickt nur und da er schon im Jogginganzug ist und ich sowieso schon Sportkleidung trage, können wir auch direkt loslaufen.

Es tut so gut, seine Sorgen, seine Wut und seine Verwirrtheit beim Joggen einfach fallenzulassen. Ich weiß nicht, wie lange wir einfach nur ohne zu reden gelaufen sind, aber irgendwann spüre ich dieses Freiheitsgefühl in meinem Brustkorb, meinem Kopf, in meinem ganzen Körper. Dieses Gefühl, wenn man sich einfach fühlt, als wäre alles okay, als wäre man...ja...als wäre man eben frei. Ich spüre wie mir eine Träne über das Gesicht läuft, während ich auf das Spiegelbild im Teich schaue. Ich brauche eine Weile bis mir auffällt, dass ich es selber bin, die im Teich zu sehen ist. Ich erkenne mich selbst nicht mehr. Was ist nur mit mir los? Ich versuche meine Tränen zu unterdrücken, aber es funktioniert nicht. Die ganzen Tränen, die sich über die Wochen angesammelt haben müssen raus. Ich spüre eine Hand auf meiner Wange. Mein Bruder hat es also auch schon gemerkt. »Marlen, rede doch mit mir.« Ich würde doch gerne mit ihm reden, aber worüber denn? Ich weiß gar nichts mehr. Ich fühle mich wirklich leer. Was ist aus der Marlen vom letzten Jahr passiert? Wie konnte ich mich so verändern? »Leon du kennst mich. Ich rede über alles mit dir und..« Er unterbricht mich. »Und du kannst mir nicht mehr vertrauen, weil ich so lange weg war? Und du hast Angst, dass Mama und Papa davon Wind bekommen? Ich war und bin doch immer da für dich.« Er sieht verletzt aus. Das wollte ich doch nicht. Ich will nicht, dass er böse auf mich ist. Ich brauche ihn doch. Mir steigen die Tränen in die Augen. »Ich...ich wollte das doch nicht. Leon ich bin verwirrt. Bitte umarme mich und lass mich nicht los...« Er sagt nichts mehr. Er nimmt mich einfach nur in den Arm. Ich bin so froh, ihn jetzt bei mir zu haben. Was würde ich nur ohne ihn tun? Manchmal braucht man einfach einen Menschen, der einem Halt gibt, der einfach da ist und einem Sicherheit gibt.

Wir stehen sicher fünf Minuten einfach nur da. »Danke Brüderchen. Mein Leben beginnt gerade einfach kompliziert zu werden. Ich weiß nicht, was als nächstes kommt und das macht mir Angst.« Er sieht mich beruhigend an. »Ach Marlen, ich kenne das alles. Auch ich musste da durch...Aber vergiss eines nicht. Die Angst ist ein natürlicher Eigenschutz, aber hier schützt du dich zu viel. Wenn du immer nur mit Angst durch das Leben gehst und vor jedem Hindernis zurückschreckst, werden dir viele Türen im Leben verschlossen bleiben.« Seit wann ist er so weise? Ich bin so stolz auf ihn. Er ist toll. »Danke für alles Leon. Diese Sätze werde ich nicht so schnell vergessen.« Mein Bruder lächelt mich einfach nur an und nimmt meine Hand. »Wir sollten zurücklaufen. Es wird kalt.« Das machen wir auch und ich fühle mich wie ein neuer Mensch.

Ich muss mein Leben in den Griff kriegen. Ich kann es selbst kreieren. Ich darf mir nicht so viele Gedanken darüber machen, was ich falsch mache. Ich kann nicht viel falsch machen.

Zu Hause angekommen kann ich nicht mehr anders als einfach ins Bett zu fallen. Morgen ist zum Glück Samstag, das heißt ich kann ausschlafen. Ich bin so froh darüber, weil ich einen enormen Schlafmangel habe. Mir fallen die Augen zu.

Am nächsten Morgen wache ich um 11 Uhr auf. Ich habe richtig Lust auf ein Brötchen vom Bäcker und da ich die Morgenluft liebe, mache ich mich auf den Weg. Ich springe auf mein Rad und fahre los. Die erste Kreuzung rechts, dann eine lange Weile gerade aus, über die Brücke und durch den Park. Danach links einbiegen und schon bin ich beim Bäcker. Ich kenne diesen Weg blind. Fast jeden Samstag bin ich hier. Ich zähle schon zu den Stammgästen und der Bäcker weiß immer genau, was ich haben will. So wie immer gehe ich zum Bäcker rein, aber dieses Mal steht kein alter Mann hinter der Theke. Nein, im Gegenteil. Ein Junge, wahrscheinlich in meinem Alter, nimmt die Bestellungen auf. Er sieht mich an. »Hey, ein Vollkornbrötchen bitte.« Er sieht mich noch immer an. Ich räuspere mich. »Ohh entschuldige« Er packt mir das Brötchen ein und ich zahle. Der Typ wirkt anders. Ich gehe raus, ziemlich verwundert von der Situation gerade eben, als ich Schritte hinter mir höre. »Ich bin übrigens Isaac. Ich habe jetzt Pause.« Der Name ist echt schön. »Ich bin Marlen. Schön dich kennenzulernen.« Er mustert mich schon wieder. Irgendwie beunruhigt mich das. Was denkt er? Was will er?

Klar ist für mich jetzt schon. Auch in ihn, werde ich mich nie verlieben. Warum ich das weiß? Ich habe es im Gefühl.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 09, 2017 ⏰

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Mein Leben und ich. (Noch) ein Chaos.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt