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Das Bild auf der Wand im Therapieraum verblasste und somit auch die Erinnerungen an die beiden Mädchen. Alaska wollte das nicht, konnte das nicht. Tagelang stand sie mit neuer Farbe vor der Wand und fuhr die alten Züge des Gemäldes nach, restaurierte es. Sie machte es wirklich gut. Jedoch nicht gut genug, um auch die Erinnerungen wieder herzustellen. Die Absicht, das Quirlige und das Mädchen mit der Regenjacke länger im Hinterkopf zu behalten, ging schief. Das Bild war nicht mehr vollendet.

Aber sie hörte nicht auf. Während der Rest der Gruppe, die immer kleiner wurde, im Stuhlkreis saß und (größtenteils) brav die Fragen der Therapeutin beantwortete, malte Alaska an der Wand hinter uns immer weiter, stets die Hand unseres überforderten Therapeuten auf der Schulter.

Als alle den Raum verließen waren nur noch sie und ich übrig. Ich stellte mich hinter sie und beobachtete ihr Kunstwerk. Das Gemälde sah nun anders aus. Schöner als davor, perfekter als davor. Und für kurze Zeit vergaß ich nicht zu sprechen.

"Hör doch auf. Es ist schon viel zu perfekt"

Sie schüttelte ihren Kopf und meine Worte weg und machte einfach weiter, ihre Hände waren schon längst wund gegriffen und ihre Augen rot unterlaufen.

Die Natur draußen nahm ihren Lauf, als ob nichts passieren würde, als ob nichts wäre. Möglicherweise ist das der Grund, was uns hier behält. Hier drinnen ändern sich nur die Jahreszeiten und die Anzahl der Leute auf den Stühlen. Der Rest bleibt gleich. So ist das einfacher.

Alaska verließ uns im April. Den Pinsel und den gelben Farbtopf hielt sie noch in den Händen, als sie mit ihrem Gepäck draußen über die Wiese lief und die wenigen Schneeglöckchen platt trampelte.

Der Farbeimer war undicht und so war das Resultat gelbe Flecken auf der grünen Wiese.

Wenn sie das gesehen hätte, wäre sie sofort umgedreht. Mit der gelben Spur auf dem grünen Gras war die Wiese nicht mehr perfekt unperfekt.

Das hätte sie ändern müssen.

Und so blieb nur noch die gelbe Farbe von ihr zurück, von dem Mädchen mit dem größten, bequemsten Zimmer in unserem Haus, weil sie schon lange da war.

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