Brief an mich selbst

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Hey,

ich hab schon lange nichts mehr von dir gehört, also wollte ich mich mal melden. Ich weiß nicht, wie ich das hier schreiben soll, wo ich anfangen soll.
Weißt du noch damals, als wir im Wald waren und uns ein Baumhaus gebaut haben, die Nägel haben wir heimlich von deinen Nachbarn stibitzt. Und wie es dann angefangen hat in strömen zu regnen und wir am Ende klatschnass und voller Schlamm bei dir im Hausflur standen und deine Mutter mit uns geschimpft hat, weil das ganze Haus voller Schlammabdrücken war. Weißt du noch das eine mal, als wir Fußball spielen wollten und extra früh aufgestanden sind um länger spielen zu können. Weißt du noch, wie viele Dörfer wir gerettet und wie viele Bösewichte wir besiegt haben. Weißt du noch, wie wir stundenlang im Gras saßen und überlegten wo das 50ct Stück ist.
Das waren schöne Zeiten, nicht wahr? Damals war die Welt noch so groß und überall lauerten Entdeckungen.
Heute schlägt die Uhr anders, nicht wahr? Heute meinen wir, die Welt zu kennen und wir kamen zu dem Schluss, nein, ich kam zu dem Schluss, dass die Welt kein guter Ort ist. Egal wie sehr die Sonne scheint, ich brauch immer einen Regenschirm, weil es in mir regnet. Wie geht es eigentlich dir? Du hast dich schon so lange nicht gemeldet. Konntest du deinen Traum erfüllen? Und konntest du studieren, nein, kannst du studieren? Das wolltest du doch immer, oder? Wie läuft es eigentlich mit deinem Sport, warte, du hattest damit aufgehört richtig, weil du es nicht mehr aushalten konntest, wegen deinem Körper. Oder, war ich das?
Ich muss dir was gestehen. Ich vermisse dich, sehr sogar. Dein Lachen, dein Lebensmut trotz all der Krankheiten die du hast, deine aufmunternden Worte wenn es mir schlecht ging, nein ich verwechsle da wieder etwas, du hast mir nie aufmunternde Worte gesagt. Du warst nie mit mir zufrieden. Anfangs warst du mit mir zufrieden, bis ich dieses eine Mädchen kennenlernte, ich wurde verletzt und du warst nichtmehr zufrieden, egal was ich geschafft habe, oder was ich gemacht habe, du warst immer unzufrieden. Dabei wollt ich doch einfach nur etwas gut machen, weißt du, ich wollte einfach nur gelobt werden. Aber das wurde ich nicht, nicht von dir, nicht von deinem Vater, der ja auch mein Vater ist. Nein, du wurdest auch nicht gelobt, weder von mir, noch von meinem Vater, der ja auch dein Vater ist. Dir ging es schlecht, uns ging es schlecht, mir ging es schlecht. Weißt du noch als wir mit einem Kumpel zum Pfarrer gegangen sind, unser erstes Seelsorgegespräch, ich weiß noch wie es war, als wäre es gestern gewesen, der Pfarrer, Ich, du, und unser Kumpel, wir drei saßen an einem Tisch und unterhielten uns, wir erklärten unsere Probleme. Weißt du noch, wir beide, wir sagten die gleichen Worte, zur gleichen Zeit. Weißt du noch? Oder. Warte. Weiß ich noch?

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