Kapitel 1

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Der prasselnde Regen stürzte auf mich hinab. Die eisigen Tropfen trafen auf meinen bereits durchweichten Mantel und sickerten immer schneller in das wollene Material, bis sie schließlich wie spitze und kalte Eispfeile auf meine ohnehin schon kalte Haut trafen. 

"Verdammter Platzregen" , murmelte ich als sich vor mir ein wahrer Sturzbach bildete, der seinen Ursprung in den metallenen Regenrinnen hatte, die an dieser Häuserecke ihren Auslass hatten. Über meinem Kopf liefen die Rohre über den vielen Balkonen entlang, die jeweils mit kleinen Markisen aus Rattan, Stoff oder teilweise Plastikplanen bedeckt waren. 

Immerhin gibt es überhaupt Regenrinnen, ansonsten wären die Wohnungen bis zu den Apartments im Keller vollgelaufen, dachte ich nachdenklich. Diese winzigen Markisen baten kaum Schutz und es war kein Wunder, dass kein einziger Bewohner sich hier draußen blicken ließ. Die Türen, die auf die Balkone hinausführten, waren größtenteils mit einigen alten Holzbalken verstärkt, um den kräftigen Wind davon abzuhalten diese aufzudrücken. Doch so morsch, wie diese Balken aussahen, baten sie höchstens einen geeigneten Lebensraum für ein paar Holzwürmer. Selbst die vertrockneten ehemaligen Grünpflanzen, die auf manchen Balkonen zu sehen waren, konnten nicht das ganze Wasser aufnehmen und aus ihren bereits durchlöcherten Übertöpfen quoll nur so das für sie überlebenswichtige Elixier. Und zusammen mit den Regenrinnen, ergaben sich so mehrere Sturzbäche, die fast alle in einer bereits sehr ansehnlichen Pfütze vor meinen Füßen mündeten. In kleinen Rinnsalen versuchte das Regenwasser sich seinen Weg durch die unzähligen Gassen zu bahnen und verlor sich dann schließlich in der Dunkelheit.  

Alles, was gegen die Natur ist, hat auf die Dauer keinen Bestand. Mir gefiel dieser Gedanke. Er drückte, die Ursprünglichkeit aus, die früher, als ich noch nicht einmal geboren war, hier bestimmt herrschte. Wälder mit harzigen Ahornen, erfüllt vom Duft der aufgeweichten und fruchtbaren dunklen Erde. Felder mit goldgelben Weizen, die sich raschelnd im Wind beugen. Schon lange mussten diese friedlichen Bilder, der Pragmatik einer Metropole weichen. Und der Gedanke, dass der Menschheit nun all das wieder genommen werden sollte, erfüllte mich mit Genugtuung. Wenn ich meine Augen schließe, denke ich oft über alte Zeiten nach. Es gibt nichts dem ich nachtrauere, aber die Vorstellung von einer Welt, die sich in jeglicher Facette von dieser hier unterscheidet lässt meine Fingerspitzen vor Neugier kribbeln. Manchmal sehne ich mich danach in einem früheren Zeitalter geboren zu sein. Zu wissen wie das Meer aussieht, nur einmal den Geruch einer dieser Blumen wahrzunehmen, wie es in den Anekdoten poetisch niedergeschrieben steht. Das Herz und die Rose sind das einzig unvergängliche. Unvergänglichkeit. Ich weiß nicht ob ich mich vor diesem Wort fürchten sollte oder es mein größter Herzenswunsch ist.

Abermals bahnen sich einige Tropfen den Weg durch meinen Mantel und ich zische auf. Den Mantel enger um mich ziehend, setze ich meinen Weg fort, möglichst nah an den Wohnungen der unzähligen hier lebenden Menschen. Ich kenne ihre Anzahl nicht. Vereinzelt muss ich den Sturzbächen ausweichen, doch ich war hier dennoch ein wenig besser geschützt als mittig in der Gasse. Langsam beginnt der starke Platzregen abzuschwächen und wird durch einen hauchzarten Nieselregen ersetzt. Der schwarze Himmel ist bedeckt von dunkelgrauen Wolken, die nur schwer vom Nachthimmel zu unterscheiden sind. Durch die  fluoreszierenden Neonlichter, die je näher ich der Hauptstraße komme sich in der Anzahl verdoppeln, wirken einige der Gewitterwolken leicht bläulich. Fast als ob sich in ihnen diese knisternde Elektrizität auflädt, die jeden Moment darauf wartet losgelassen zu werden.  

Zu meinen Seiten erheben sich die gigantischen Betonriesen in den Himmel, dessen Grau von den unzähligen Lichtern der lebenden Stadt erhellt wird. Etliche Leuchtreklamen kleben an den Häuserwänden und strahlen eine ungemütliche Atmosphäre auf die sich hektisch vorschiebende Menschenmasse aus. 

Es ist gerade einmal Juni, weshalb die meisten nur ihre dünne Arbeitskleidung tragen. Ihre nackten Beine und Arme glänzen von dem auf sie fallenden Regen, wie ihr Schweiß nach einem anstrengenden Arbeitstag. Manche hatten versucht in den unzähligen Läden oder vor ihnen einen trockenen Platz zu finden. Ihre Arme umschlangen ihren Oberkörper, um wenigstens etwas Körperwärme bei sich zu behalten. Ihre Augen richteten sich ungeduldig Richtung Himmel, als ob diese Ermahnung das Wetter dazu bringen könnte, diesen nun schon beinahe durchgängig andauernden Regen der letzten Tage zum Schweigen zu bringen. Das dieser Regen unbedingt nötig war, um die internen Landwirtschaftssektoren mit genügend Wasser zu versorgen, war den meisten nicht klar. Doch auch mir ging dieser ungewöhnlich lange Sommermonsun auf die Nerven. 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 15, 2018 ⏰

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