Er ist einfach perfekt!

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Durch die Türe des Materialraum und das Handy von Michael, das mittlerweile der Gynäkologie Doktor Seibert in der Hand hielt, hörte man das Stöhnen und die lauten Schreie von Karin. Sie war völlig fertig, das hörte ich, und ich war in diesem Moment sauer und enttäuscht von mir selber, dass ich ihr in dieser Situation nicht beistehen konnte. Und das alles nur wegen dieser völlig bescheuerten, übereifrigen May, die sich für sonst wen hielt.
Meinen ganzen Ärger vergaß ich jedoch recht schnell wieder, denn gerade wollte ich einfach nur zu Karin. Das, was sie eben zu mir gesagt hatte, dass sie mich noch viel toller findet und zwar genauso, wie ich bin - mit meiner kindlichen Energie und meiner Leidenschaft und meiner Kreativität - beflügelte mich unheimlich. So etwas hatte noch nie jemand zu mir gesagt. Karin war der erste und einzige Mensch in meinem Leben, der mich so akzeptierte, wie ich bin. Zuvor hatte das noch nie jemand getan und das fühlte sich einfach verdammt gut an.
Ich war durch ihre berührenden Worte fast wie in Trance und starrte ungläubig auf das Handy von Michael.
Ihr Liebesgeständnis wurde von einer weiteren Wehe unterbrochen. Ich litt mit ihr und wollte bei ihr sein, um ihre Schmerzen ein Stück weit erträglicher zu machen.
Karin presste mit der Wehe ein „ich kann nicht mehr“ heraus, woraufhin Herr Seibert diagnostizierte, dass das gerade das Zeichen für den Endspurt war. Er wies Karin an zu pressen und befreite mich glücklicherweise aus meinem versteinerten Zustand, indem er auch mich anwies zu pressen. Im gleichen Moment setzte ich erneut die Stange an der Sicherheitstür des Materialraums an und stämmte mich gemeinsam mit Michael mit all meiner Kraft dagegen. Nach einer gefühlten Ewigkeit sprang die Türe auf und ich stürzte ohne noch weiter zu überlegen in den Raum zu Karin. Herr Seibert folgte mir und schickte zunächst Dunja und Bibi nach draußen. Auch Michael wollte zu Karin doch Barbara, die mittlerweile auch am Materialraum angekommen war, hielt ihn zurück „Das schaffen die beiden schon alleine, außerdem haben sie ja jetzt fachlich kompetente Hilfe!“ er war wohl doch etwas enttäuscht, aber von alledem bekam ich schon absolut nichts mehr mit. Ich kniete mich sofort neben Karin. Sie griff meine Hand und drückte sie unheimlich fest. Ich strich ihr die Strähnen aus ihrer klitschnass geschwitzten Stirn, bevor sie die nächste Wehe überkam. Sie zerquetschte fast meine Hand, aber ich genoss es, ihr so den nötigen Halt geben zu können. Ich könnte mir gerade nichts schöneres vorstellen.
Herr Seibert lobte Karin immer wieder und versuchte sie dazu zu bewegen, ruhig zu atmen und zu pressen.
„Komm Karin, nur noch ein Stück!“ feuerte ich sie an. “Wir schaffen das zusammen!“ „Zusammen?“ schrie sie mit der nächsten Wehe heraus. Ich wusste genau, dass das was ich hier gerade vollbrachte nur ein absolut minimaler Bruchteil von dem war, was sie ertragen musste. Ich hätte alles getan, um ihr einen Teil der Schmerzen abzunehmen, aber mehr als ihr Beistand leisten ging ja leider nicht. Da musste sie jetzt wohl oder übel alleine durch. Nach einer ganzen Weile voller Blut, Schweiß und Schmerzen war es endlich geschafft. Ich wusste gar nicht wohin ich zuerst schauen sollte. Herr Seibert hielt unser Baby zunächst in seinen Händen und befreite es von dem ganzen Blut. Karin hatte sich in der Zwischenzeit erschöpft an mich gelehnt und hielt immer noch meine Hand. Ich tupfte ihr vorsichtig den Schweiß von der Stirn und gab ihr anschließend einen liebevollen Kuss diese, bevor uns Doktor Seibert zu unserem kleinen Jungen gratulierte und ihn vorsichtig in Karins Arme legte. Ich war einfach nur fasziniert von dem kleinen Körper, aus dem jetzt ein durchdringliches Quaken kam. Auch Karin war überglücklich und konnte ihren Blick gar nicht mehr von dem Kleinen abwenden. Es war einfach unglaublich, dass Karin jetzt gerade unser Kind in den Händen hielt. Ich hatte völlig vergessen, dass ich möglicherweise gar nicht der Vater war, doch das war mir egal. Von diesem Moment an wusste ich, dass ich den kleinen für immer in mein Herz geschlossen hatte und ihn, genau wie Karin, über alles in der Welt lieben würde. Ich würde alles für die beiden tun, für die beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben - meine eigene, kleine Familie. Als ich langsam anfing das ganze zu realisieren, schlich sich ein Lächeln auf mein Gesicht, das immer und immer breiter wurde. Ich fühlte einfach eine ganz tiefe Geborgenheit und Liebe. Ich hatte mir diesen Moment schon oft ausgemalt, doch er war so viel schöner, als in all meinen Träumen. „Er ist einfach perfekt!“ flüsterte sie leise und meine Gefühle sprudelten über vor Glück und Zärtlichkeit. Jetzt schaffte ich es zum ersten Mal meinen Blick von dem Kleinen abzuwenden und schaute Karin an. Sie war so schön, sie war mein Mädchen und sie hatte mir so viele unvergessliche Momente geschenkt, doch dieser war der wundervollste von allen. „Karin?“ fragte ich vorsichtig. Es dauerte einige Sekunden, bis sie den Blick von ihrem Baby losreißen konnte, doch jetzt schauten ihre wunderschönen, blauen Augen direkt in meine. Wir verharrten so für einige Sekunden und ich beobachtete wie das Strahlen in ihrem Gesicht immer und immer breiter wurde, bis sich unsere Gesichter schließlich immer weiter näherten. Ich rutschte noch ein bisschen näher an die beiden heran. Einen Arm hatte ich um Karin gelegt und meine andere Hand lag gemeinsam mit Karins an dem Körper unseres kleinen Sohnes. Ihre andere Hand wanderte zu meinem Nacken und ich legte zärtlich meine Lippen auf ihre. Liebevoll und überglücklich küssten wir uns lange. Karin lachte mich an, als wir uns wieder voneinander lösten. Ich wusste beim besten Willen nicht, womit ich so eine wundervolle Frau verdient hatte. Wir genossen diesen intimen Moment noch für einen Augenblick und widmeten uns wieder unserem Baby.
„Okay der Krankenwagen ist jetzt da“ zerstörte Michael die Situation. Ich entfernte mich ein Stückchen von Karin und setzte mich neben sie, aber nicht ohne meinen Blick von dem Kleinen zu nehmen. Natürlich hatte Michael auch das Recht hier zu sein, denn schließlich könnte es ja auch rein theoretisch sein Kind sein. Doch darüber wollte ich einfach nicht nachdenken. Viel lieber hätte ich noch den Moment genossen, alleine mit Karin und hätte ihn mit niemandem geteilt. Auch wenn Michael mein Kumpel war, hatte ich einfach Angst davor, dass er mir meine kleine Familie wegnehmen und mein ganzes Glück zerstören könnte.
Als ihm auch noch Barbara hinterher stürzte war es mit der Ruhe und Dreisamkeit ganz vorbei. „Sorry, hab ich jetzt alles verpasst?“ rief sie uns aufgeregt entgegen. Dabei hatte sie Michael fast umgerannt, sodass dieser jetzt zu Boden ging und auf der anderen Seite neben meiner Karin kniete. Das passte mir überhaupt nicht, doch um deshalb einen Streit anzufangen, war der Augenblick viel zu schön und auch Barbara war wie ausgewechselt, als sie unser Baby sah. „Oh Blondie.... Glückwunsch“ sagte sie völlig begeistert. Karin erhob kurz ihren Blick um ihre Freundin anzulächeln, wandte sich dann jedoch gleich wieder unserem kleinen Sohn zu. Auf Barbaras „Lass mal gucken“, drehte sich der Kleine kurz von seiner Mama weg und sie konnte sich natürlich mal wieder nicht zurückhalten. „Ganz der Papa“ strahlte sie und ich bedankte mich glücklich. Dass sich auch Michael bedankte, versetzte mir einen Stich ins Herz. Es tat weh nicht zu wissen, ob das wirklich mein Sohn war. Ich hatte ihn gemeinsam mit Karin zur Welt gebracht und wollte ihn bestimmt nicht teilen, das würde mir das Herz zerreißen. „Ups“ kommentierte Barbara die Situation und machte damit meine Gefühlslage nicht gerade besser. Karin guckte mit ihrem strahlenden Blick zwischen Michael und mir hin und her. „Wir kriegen das schon hin!“ Nun kam Herr Seibert mir mit einer Schere wieder und verkündete, dass der Vater nun die Nabelschnur durchschneiden dürfe. Ich griff glücklich nach der Schere, doch auch Michael hatte schon einen Griff in der Hand. Ich guckte ihn entgeistert an und auch er war etwas überfordert, wollte allerdings auch nicht zurück weichen. Karin blickte zuerst zu mir, dann zu Michael und zuletzt auf die Schere. „Kriegen wir doch, oder?“ fragte sie verunsichert und schluckte einmal.
Ich war überhaupt nicht glücklich mit der Situation und auch Barbara und Herr Seibert bemerkten die unglückliche Lage. Ich konnte ja wohl kaum Michael verbieten die Nabelschnur durchschneiden zu wollen, aber ich wollte das alleine machen und diesen Moment zwischen Karin, mir und unserem Kind genießen. Wir verharrten in dieser Position bis uns schließlich Herr Seibert aus dieser Situation befreite. „Ähm, aber das sollte schon einer machen....“ ich hielt die Luft an und betete, dass ich derjenige sein durfte, der diese Ehre hatte  „... und da sie der Mutter ja auch schon bei der Geburt so tapfer beigestanden haben, sollten sie das ruhig machen.“ nickte der Arzt mir zu und Michael war gezwungen die Schere loszulassen und stand auch gleich wieder auf. Karin und ich blickten uns noch kurz in die Augen, bevor ich die Schere ansetzte und die Nabelschnur in Zwei schnitt. Doktor Seibert nahm mir die Schere wieder ab. „Wir lassen sie beide jetzt noch ein paar Minuten mit dem Kind alleine“ sagte er mit einem Lächeln zu mir. Die Türe viel hinter den dreien zu und da war er wieder, dieser absolut magische Moment zwischen uns. Ich wollte einfach, dass das nie enden würde.
Vorsichtig strich ich mit meinem Finger über die weiche Haut des Kleinen. Die andere Hand hatte ich um Karins Tallie gelegt und streichelte sanft ihre Seite. Sie war völlig beschäftigt mit dem Baby und auch ich konnte mich sowohl an der Mutter, als auch am Kind nicht satt sehen. „Karin?“ unterbrach ich das Schweigen nochmals. Sie schaute mich mit ihren großen, strahlenden Augen an. „Ich muss dir noch was sagen..“ ich blickte noch undicher zwischen ihr und dem Baby hin und her, bis ich endlich meinen mit zusammen nahm. „Also... Ich liebe dich!“ flüsterte ich und bekam dafür das wundervollste Strahlen der Welt. „Ich liebe dich auch, Stefan!“ sagte sie völlig überwältigt. Sie zog mich zu sich und legte ihre Lippen auf meine. Der Kuss war lang und liebevoll und mit so vielen Gefühlen wie noch nie. Aber auch diesmal wurden wir unterbrochen. Diese Unterbrechung war mir allerdings wesentlich lieber als die eben zuvor, denn jetzt meldete sich der Kleine wieder zu Wort. Karin streichelte ihn zärtlich und sofort war er wieder ruhig und lachte uns an. „Danke, dass du immer für mich da bist - ohne dich hätte ich das alles nie geschafft!“ flüsterte Karin in mein Ohr und kuschelte sich noch enger an mich. Ich gab ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Ich werde immer für dich da sein - und für unser Baby natürlich auch!“ sie guckte mir in die Augen und ich fügte noch hinzu „Danke, dass du mir so eine wundervolle Familie geschenkt hast!“ In diesem Moment waren keine Worte mehr nötig. Sie strich sanft über meine Wange und gab mir noch einen Kuss, bevor wir dann doch ins Krankenhaus mussten.

Ich verbrachte in den kommenden Tagen so viel Zeit im Krankenhaus bei Karin und dem Baby, wie es nur irgendwie möglich war. In der Zwischenzeit hatten wir sogar einen Vaterschaftstest gemacht und fieberten gemeinsam darauf hin, dass die beiden endlich wieder nach Hause durften.

Nach ein paar Wochen hatte sich das Leben einigermaßen eingespielt. Es war verdammt anstrengend, aber ich bereute keine Sekunde davon.
Wir saßen zusammen auf dem Sofa - Karin dicht an mich gekuschelt und das Baby auf ihrem Arm. Sie war gerade dabei zu stillen und streichelte unserem Kleinen liebevoll über die Stirn. „Du warst ganz schön eifersüchtig nach der Geburt als Michael mit einem Mal da war, hm?“ fragte sie vorsichtig. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Weißt du, ich habe von Anfang an gespürt, dass es dein Sohn ist, aber jetzt haben wir es ja zum Glück schwarz auf weiß!“ sie strahlte mich an. “Genau, er ist unser Sohn - ihr seid meine Familie!“ „Ihr macht mich verdammt glücklich, weißt du das?“ ich gab ihr keine Antwort mehr, sondern nahm nur ihr Gesicht in meine Hände und küsste sie leidenschaftlich. Sie erwiderte den Kuss und unsere Lippen spielten sanft  miteinander. Jetzt löste ich mich ein bisschen von ihr und hauchte „weißt du was?“ in ihren Mund. Sie schüttelte den Kopf. „Ich liebe euch beide über Alles und später, wenn der kleine Mann hier ein bisschen größer ist, möchte ich noch ganz, ganz viele Kinder mit dir haben!“ auf diese Aussage guckte sie mich verwirrt an. „Wirklich?“ „Ja klar mit wem denn sonst?“ antwortete ich keck, bevor sie mich wieder angrinste und wir in einen langen und gefühlvollen Kuss verfielen.
Es war einfach perfekt!

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