Ohne Titel Teil 1

3 0 0
                                    


Wo war ich stehengeblieben? Direkt vor dir.

Nein, in meinem Traum und ein paar Erinnerungen. Die Sonne scheint hell in die Küche, lässt die bunten Vasen auf der Fensterbank unwirklich fern glänzen und durchdringt jedes Molekül, aus dem das Fenster besteht, sanft aber bestimmt. Die Stelle an der ich stehe, wird vom Strahl der Sonne durchflutet und fällt genau auf den Bereich zwischen meinen Rippen und meinen Hüftknochen. Ich ziehe mein Unterhemd aus. Mein Bauch wird ganz warm und ich genieße die Ruhe, die nur unterbrochen wird durch die schwermütigen Bluesplatten meines Nachbarn. Ich weiß er hat gerade auch einen ähnlichen Moment wie ich. In seinem dicken Ledersessel mit dem Glas Scotch in der Hand lauscht er zufrieden seinem Plattenspieler und versinkt, wohin auch immer. Zurück zu mir. Ich schaue auf meinen Bauchnabel und das Licht der Sonne lässt mich feinste Staubkörnchen erkennen, die in der Luft umher schweben und meine Haut nur so zart berühren, dass ich es gar nicht spüren kann.

Ich spüre meinen Herzschlag und versuche einen klaren, einsilbigen Gedanken zu fassen, doch ich schaffe es nicht. Schweife immer wieder ab. An Orte, die ich gerne sehen würde, den Geruch einer Person den ich meine wahrzunehmen oder an irgendetwas das gerade durch meinen Kopf schwimmt.

Ich schließe die Augen. Ich spüre die Leere des Raumes, die Tatsache dass ich die einzige darin stehende Person bin. Ich erinnere mich an das hübsche, kleine Cafe das ich gestern besuchte, an das kleine Mädchen mit der roten Mütze, das ein großes Buch las und an die dicke junge Frau, die hinter dem Tresen Muffins sortierte.

Das kleine Mädchen mir der roten Mütze war an sich ein unauffälliges Ding, das ein Buch las. Ich schätze sie auf 13 Jahre, war mir aber nicht sicher, denn ich selbst werde immer für viel jünger gehalten als ich bin. Sie las aufmerksam in ihrem Buch mit einem Einband aus Stoff und mir war ihre Art eine Seite umzublättern sympathisch. Wenn sie blätterte hielt sie die Seite zwischen Zeige- und Mittelfinger, strich dann sanft von oben nach unten das Papier entlang und legte die neue Seite langsam und bedacht frei, als wäre das Papier uralt und im Begriff auseinander zu fallen, würde man es unachtsam berühren. Dann sah sie kurz auf, bevor sie konzentriert weiterlas. Manchmal nahm sie einen Schluck aus ihrer Tasse, legte aber vorher das Buch vorsichtig auf den kleinen Tisch und lehnte sich mit der Tasse etwas zurück, vielleicht um das Buch zu schützen, falls sie etwas verschütten sollte.

Ich fragte mich was für ein Buch das sein mochte und ob das Mädchen mit der roten Mütze wohl mit all ihren Sachen so umzugehen pflegte.

Nach einer Weile, klappte sie das Buch plötzlich zu und sah aus dem Fenster an dem sie saß. Ich konnte sie im Profil erkennen und erhaschte ihren Blick.

Pure Sehnsucht und Einsamkeit. Ich hatte das Gefühl, ihr auf irgendeine Art und Weise zu nahe zu treten und sah weg, seltsam beeindruckt. Nach ein paar Minuten musste ich dennoch wieder zu ihr rüber sehen, denn ich hatte das drängende Gefühl, etwas Vertrautes gesehen zu haben.

Ganz im Gegensatz dazu fiel mir die junge Frau hinter der Theke auf. Sie war dick und aus den halblangen Ärmeln ihres rosafarbenen Kleides quollen ihre fleischigen Arme heraus. Das Kleid war relativ eng und brachte ihre Brüste, ihren Bauch und auch sonst alles an ihr, so zur Geltung, dass man kein Gramm übersehen konnte. Sie band ihr Haar zu einem Knoten und trug weiße Perlenohrringe mit der dazugehörigen Kette. Es schien mir, als würde sie viel Zeit in ihr Aussehen stecken, denn sie war stark geschminkt. Eine junge dicke Frau, die garantiert nicht übersehen wird. Ich beobachtete sie eine Weile bei der Arbeit war aber ziemlich gelangweilt davon, wie sie die vielen süßen Muffins in die Theke einsortierte...

''Es hat mich total gefreut, als du gestern angerufen hast!''

''Ich telefoniere gerne mit dir...du bist wirklich witzig...''

''Danke...''

-Es hat ihn gefreut, ich habe ihn weder gestört, noch genervt. Ein gutes Zeichen also, oder? Aber meine Antwort natürlich wieder ''...du bist wirklich witzig...''. Ich seufzte und verdrehte die Augen, ich bin absolut untalentiert wenn es um Schlagfertigkeit geht, ein echter Katzenjammer mit Grummelorchester im Hintergrund. Hoffentlich fand er es nicht so peinlich wie ich.

Ich habe was vergessen, aber keinen Plan was. Egal.-

Er hat wie immer gut ausgesehen, sein Sinn für Mode ließ so manche Frau grün werden vor Neid, mich eingeschlossen - aber nur manchmal. Ich war viel zu früh da, fast eine ganze Stunde, um die Zeit zu nutzen meine Nervosität zu verringern. Er wirkte vom ersten Augenblick an viel zu cool, natürlich. Das Cafe war aber eine gute Wahl, mit seinem romantischen Ambiente, den hübschen Blumen aus Plastik und natürlich die mega bequemen Sessel, in denen man immer irgendwie lässig aussah. Als er das Cafe betrat fiel mir sofort die weiße Rose ins Auge und meine Laune steigerte sich ins unermessliche -natürlich, denn weiße Rosen waren meine Lieblingsblumen und das hatte ich vor ungefähr zwei Wochen nur ganz nebenbei in lauter Umgebung kurz erwähnt. Ich habe die ganze letzte Woche gehofft, dass unser viertes Date ein ganz besonderes wird. Mit viel reden, lachen und necken verbrachte ich einen wunderbaren Nachmittag und das Mädchen mit der roten Mütze verschwand in meinem Gedächtnis, ich bemerkte nicht mal wie sie gegangen war. Völlig in unsere Welt vertieft spürten wir nicht wie die Zeit verging und als die dicke Frau unseren Kaffee und die Muffins abkassierte, wurde mir klar, was ich in den Augen des Mädchens mit der roten Mütze gesehen hatte. Mich, so wie ich war bevor ich ihn traf. Einsam und sehnsüchtig.

Ich grinse und bemerke, dass der Sonnenstrahl mittlerweile nicht mehr meinen Bauchnabel trifft, sondern fast meine Schultern. Die Platte meines Nachbarn ist mittlerweile zu Ende gelaufen und ich höre einen Moment keine Musik, aber nur einen Moment. Mein Unterhemd ziehe ich wieder an, laufe ins Schlafzimmer, nehme im Gehen meine Tasse mit kaltem Tee mit und denke, mit dem Wunsch nach Unendlichkeit daran, dass es gar nicht mein Unterhemd ist welches ich gerade trage.


Das Mädchen mit der roten MützeWhere stories live. Discover now