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„Helen, pst, Helen." Ich war verwirrt meinen Namen zu hören und reagierte deshalb nicht sofort. Jemand tippte mich an. „Helen, hey!", Ijan, der große blonde Junge neben mir schaute mich erwartungsvoll an.

Ich schaute nach rechts. „Hm?", fragte ich verwirrt. Ich hatte mal wieder abgeschaltet.

„Ich dachte schon du reagierst nie!", er lacht erleichtert auf. „Uhm, hast du die Physikhausaufgaben gemacht?" Ich nickte. „Kann ich sie bitte abschreiben?", es schien ihm unangenehm zu sein zu fragen. Ich nickte erneut und schob sie ihm hin. Mir ist es unangenehm von jemandem angesprochen zu werden, es ist so anders... Er fing an abzuschreiben. Ob es ihm unangenehm war zu fragen, ob er die Aufgaben abschreiben konnte oder eher die Tatsache, dass er mich fragen musste? Ich schaue mich um. Die Cafeteria war voll bis auf den letzten Platz. Ijan musste wohl etwas später gekommen sein, denn ihn hat das Schicksal getroffen neben mir zu sitzen. Ich kenne alle hier, natürlich nicht persönlich, sondern nur mit ihrem Namen und größtenteils auch ihrer Kurswahl. Keiner hier, außer Ijan und mir, ist im Physikgrundkurs, er musste also mich nach den Hausaufgaben fragen...

Der Rest des Tages verlief ohne weitere Zwischenfälle. Dennoch... ich war so überrascht gewesen angesprochen zu werden. Ich hatte mich schon daran gewöhnt die stille Einzelgängerin zu sein; meine alte Klasse hatte es gutgeheißen. Für sie war ich wie Luft. Niemand hatte mich in den vergangenen zwei Jahren nach Hausaufgaben gefragt, geschweige denn ein Gespräch mit mir begonnen. Sie hatten auch nicht versucht während der Klassenarbeiten und Tests von mir abzuschreiben, obwohl ich nicht gerade schlecht in der Schule war.

In den vier Jahren hatte ich lediglich eine einzige Freundin gehabt: Keya. Und außer ihr und einigen Lehrern hatte mich niemand mit meinem Namen angesprochen, wenn überhaupt. Es hätte mich auch gewundert wenn sie meinen Namen gekannt hätten. Bislang hatte es mir auch wirklich gefallen nicht beachtet zu werden. Ich konnte ungestört vor mich hin kritzeln. Es war als würde ich gar nicht existieren.

Ich könnte Menschen beobachten, könnte alles über sie erfahren ohne dass sie es bemerkten, denn ich war unsichtbar. Ich könnte. Aber ich tat es nicht. Ich achtete kaum auf mein Umfeld; lieber versank ich in meiner eigenen Welt...

Als Ijan mich heute nach den Hausaufgaben gefragt hatte war ich überrascht aber vor allem geschockt gewesen. Er hatte mich angesprochen und er hatte mich mit meinem Namen angesprochen. Er wusste meinen Namen, ging es mir durch den Kopf. Woher kannte er meinen Namen überhaupt? Wir hatten nur zwei Kurse gemeinsam. Ich meldete mich nie. Niemand sagte je meinen Namen und ich war mir hundertprozentig sicher, dass niemand über mich sprach. Jedenfalls nicht mehr seit Keya umgezogen war. Keya ging jetzt in eine andere Schule. In einer anderen Stadt, einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent. Wir hatten keinen Kontakt mehr, das störte mich jedoch nicht. Ich hatte nie das Gefühl gehabt besonders gut mit ihr befreundet zu sein. Es war mehr so, dass wir beide niemand anderen hatten und nicht alleine auf dem Schulhof herumstehen wollten. Im Laufe der Jahre hatte sie sich allerdings verändert und mit einigen anderen Mädchen, sowohl aus unserer Klasse als auch aus den Parallelklassen, angefreundet.

Mit einer von ihnen hatte ich einige Kurse zusammen. Durch sie hatte ich noch zwei weitere Mädchen kennengelernt, mit denen ich mich auch ziemlich gut verstand und einige Kurse teilte. Dafür war ich recht dankbar, denn so waren Partner und Gruppenarbeiten wesentlich entspannter.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 01, 2017 ⏰

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