Ein Blick auf seine Armbanduhr zeigte Dennis, dass er sich jetzt echt beeilen musste, um pünktlich zuhause anzukommen. Er wusste genau, dass seine Mutter sonst wieder schimpfen würde, dass er nicht rechtzeitig zum Abendbrot gekommen war. Und Dennis hatte keine Lust auf den Stress, auf den Ärger, den es in seiner Familie momentan sowieso schon gab.
Er beschleunigte sein Tempo noch ein wenig, rannte nun fast durch die Straßen. Es war nicht mehr viel los, wie immer sonntags nach achtzehn Uhr. Außer ihm war die Straße leer, eine Laterne beleuchtete ihm den Weg, neben der Straße standen ein paar Häuser und Mülltonnen.
Er würde nicht pünktlich kommen können, es war bereits nach halb sieben, vor einer Minute hätte er an der Tür stehen müssen. Jetzt merkte Dennis, dass es ein Fehler war, sich extra Zeit zu lassen. Es war wie ein Teufelskreis: Dennis bekam Ärger, wenn er zu spät kam- nein, eigentlich bekam er für alles Ärger- und in Folge davon wollte er möglichst wenig Zeit zuhause verbringen, wo die Stimmung immer schlecht war, was dann dazu führte, dass er zu spät kam. Und dann wieder alles von vorne.
Dennis war wie gefangen in diesem endlosen Kreis und konnte ihm nicht entkommen. Am liebsten würde er einfach abhauen, weg aus seiner Familie, weg von seinem Haus. Er war eh bald volljährig und würde die Schule nächstes Jahr beenden. Er könnte gehen. Ihn hielt nichts bei seinen Eltern, die ihn wie ein Stück Dreck behandelten, selbst wenn er nur still da saß und nichts tat, die ihm für alles die schuld gaben, obwohl er fast nie schuldig war.
Er könnte das hinter sich lassen, frei sein. Doch er tat nichts. Er blieb. Schon ein Jahr hatte er diesen Gedanken, bisher hatte sich nichts verändert. Dennis wusste nicht einmal, wo er hingehen könnte. Zu Freunden? Nein, das würde nicht gehen, das würden seine Eltern herausfinden. Zu Verwandten? Noch schlimmer, die auch waren nicht viel besser als seine Eltern. Dennis hatte keinen Ort, an den er gehen könnte.
Trotzdem blieb er im nächsten Moment außer Puste mitten auf der leeren Straße stehen. Wenn er schon eh nicht pünktlich sein würde, könnte er auch gleich langsam gehen. So viel mehr Schläge würde er sich dadurch nicht einfangen. Er musste nachdenken.
Langsam, im Schritttempo, ging er weiter, seufzte. Er wollte das nicht mehr. Er musste etwas verändern, denn ihm war klar: So konnte das nicht weitergehen.
Ein leises Geräusch, ein Husten, ließ ihn herumfahren, sofort ging sein Puls hoch. Da war jemand, neben der Mülltonne in einer dunklen Ecke war eine Gestalt, für eine Katze oder so zu groß. Und Katzen husten nicht. Es musste ein Mensch sein, der da zusammengekauert saß.
Dennis ging langsam einen Schritt auf die Person zu, hatte Angst und war gleichzeitig interessiert.
"Hallo?", sagte er vorsichtig und beugte sich ein bisschen nach unten.
Als Antwort bekam er nur ein erneutes Husten. Die Person bewegte sich einen Millimeter, drehte dann ihren Kopf in Dennis' Richtung.
Dennis erstarrte, als er das hübsche und ein bisschen dreckige Gesicht im Halbschatten erahnen konnte. Offensichtlich ein Junge, seine schwarzen Haare, waren fast nicht zu sehen.
"Wer bist du?", fragte Dennis, nachdem er wieder etwas Mut gefunden hatte.
"Mik." Dennis hatte nicht damit gerechnet, direkt eine Antwort zu bekommen. Die Stimme war so unschuldig, jagte Dennis eine Gänsehaut über den Rücken.
"Was machst du hier?" Dennis ging noch einen Schritt näher zu der Person, Mik.
"Wonach sieht es denn aus, ich suche Essen." Auf einmal war die Stimme viel sicherer und fester.
Und jetzt war es Dennis endgültig klar. Mik lebte wahrscheinlich auf der Straße. Und ohne es zu wollen, dachte er dabei an Freiheit, an die Ungebundenheit, die Leute auf der Straße hatten. Sie mussten niemandem gehorchen, mussten nicht rechtzeitig zum Essen zuhause sein.
Er schüttelte den Kopf, vertrieb die Gedanken aus seinem Kopf. So etwas sollte er nicht denken, auf der Straße leben war nichts Gutes. Man hatte nie genug Essen, keinen festen Schlafplatz und war alleine.
"Ich...", begann Dennis, wusste nicht, was er sagen sollte. Dann fiel ihm ein, dass er noch eine Tafel Schokolade mit hatte, die hatte er in der Stadt gekauft.
"Hier." Er suchte die Schokolade aus seiner Plastiktüte heraus, in der auch die beiden neuen T-Shirts waren, entschied sich um und gab dem Jungen gleich die ganze Tüte.
Er wusste selbst nicht, warum er so handelte, normalerweise gab er keinem Obdachlosen Geld, geschweige denn seine Käufe von seinem halben Taschengeld für einen Monat. Aber irgendwie machte er es, in dem Wissen, dass seine Eltern ihn dafür umbringen würden.
Schüchtern nahm der Junge die Tüte und schaute hinein, dann hielt er sie Dennis wiede hin. "Das ist deins, ich kann das nicht nehmen."
"Doch, es ist ein... Geschenk für dich. Ich kann das eh noch mal kaufen, du hast das viel mehr nötig als ich." Dennis machte eine Kopfbewegung auf die Tüte und Mik zog sie wieder zurück, dann breitete sich ein Grinsen auf dem Gesicht aus.
"Danke. Und du heißt wie?"
"Dennis."
Mik streckte seine Hand aus und Dennis ergriff sie. "Freut mich, dich kennenzulernen. Aber musst du um die Uhrzeit nicht schon bei deinen Eltern sein?" Sein Tonfall hatte etwas neckendes, Dennis lachte gedämpft auf.
"Eigentlich schon. Aber ich habe gerade nicht vor, nach Hause zu gehen, meine Eltern würden mich sowieso nur wieder niedermachen und ausschimpfen. Ich bleibe lieber bei dir, erzähl du mir was über dich."
Mik zog eine Augenbraue hoch, machte eine Handbewegung. "Komm mit, ich kenne einen Ort, wo man sich gut unterhalten kann."
Dennis zögerte kurz, seine Eltern hatten ihm beigebracht, keinen Fremden zu folgen, schon gar keinen Armen. Na und? Was interessierte ihn schon die Meinung seiner Eltern? Das hier war das richtige Leben. Er hatte keine Lust mehr auf das behütete Leben seiner reichen Eltern, die selbst ihre Putzfrau und ihren Sohn nicht besser als einen Sklaven behandelten. Er hatte keine Lust mehr auf die langweilige Welt der Reichen, in der er fehl am Platz war. Er wollte nicht Anwalt werden, wie sein Vater es für ihn vorgesehen hatte. Er wollte ausbrechen, frei sein.
Gleichzeitig wusste er aber auch, dass er nicht bei Mik bleiben konnte, selbst wenn dieser ihm das erlauben würde.
Und nachdem die beiden sich über eine Stunde über ihre unterschiedlichen Lebensweisen und Interessen ausgetauscht hatten, fasste Dennis einen Entschluss, der sein Leben völlig verändern sollte: Er würde zwischen den Welten wechseln. Tagsüber würde er in die Schule gehen, vielleicht ein paar Stunden schwänzen und dann zu Mik gehen, pünktlich zum Abendessen würde er zuhause ankommen. Vielleicht ein bisschen Geld, von dem seine Eltern doch eh zu viel hatten, mitgehen lassen, und Mik etwas kaufen.
Dennis konnte die Welt der Reichen momentan noch nicht verlassen, aber er wollte trotzdem das Leben der Armen erfahren. Und das würde er auch. Und wenn er endlich volljährig sein würde, würde er diese verdammte Welt des Reichseins und des Ausnutzens von Armen komplett hinter sich lassen.
Hier kommt dann auch mal wieder was, etwas anders, aber ich fand die Idee ganz interessant, joa
LiuDekron gewidmet :D
DU LIEST GERADE
YouTube Oneshots [Stexpert, Kostory, etc.]
FanfictionYouTube OneShots über Stexpert, Kostory und noch andere Shippings :D