Irren ist menschlich

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Deine Schuhe knirschen im Takt deiner Schritte und hinterlassen eine einsame Spur mitten am Gehweg der Großstadt, deren graue Kulisse heute sogar einladend auf dich wirkt. Die Straßen sind ungewöhnlich leergefegt, die Straßenlaterne, unter der du stehst, flackert und das letzte offene Geschäft in deiner Sichtweite, dreht das Schild auf dem ‚offen' steht um.

Schade, du hättest dir gerne noch eine Flasche Wodka gekauft, um deine Gefühle darin zu ertränken. Stattdessen lehnst du dich gegen die kahle Hauswand hinter dir und beobachtest die Schneeflocken, die vor deinen Augen den Weg auf den bereits schneebedeckten Boden finden.

Eine nach der anderen. Du kannst nicht aufhören, dich darauf zu konzentrieren. Du willst nicht aufhören, dich darauf zu konzentrieren.

Erschöpft fährst du dir durch deine hellbraunen langen Haare, die davor mit einer warmen Kapuze bedeckt waren. Das machst du immer, wenn dich die Verzweiflung plagt und die innere Zerrissenheit dich nicht in Ruhe lässt.

Du lehnst immer noch an der Mauer, deren kalte Fassade sich bereits durch deine Daunenjacke gefressen hat, doch das ist im Moment nur nebensächlich. Du vergräbst dein Gesicht hinter deinen Händen und denkst nicht darüber nach, ob du damit deine Schminke verwischst. Mühe hattest du dir sowieso keine gegeben, da du eigentlich heute gar nicht aus dem Haus gehen wolltest.

Während du da stehst, hörst du Menschen an dir vorbeilaufen, die mit, in Alkohol getränkte Stimmen, fröhlich Lieder vor sich her trällern. Dabei war es erst acht Uhr am Abend. Du beobachtest ihre Schritte durch deine, vor Kälte rot gewordenen, Fingerspalten und blendest ihren furchtbaren Gesang aus.

Am liebsten würdest du dich nicht wegbewegen, doch du weißt, dass du bereits zu spät bist, und du bist eine Person, die immer pünktlich ist. Nur nicht heute.

Auf gar keinen Fall heute.

Heute war die inoffizielle Verlobungsfeier deiner besten Freundin, über die du schon seit Wochen versuchst, hinwegzukommen.

Du schluckst, damit du dein aufkommendes Wimmern in deinem Hals unterdrückst.

„Reiß dich zusammen", flüsterst du dir zu und merkst gar nicht, dass sich jemand vor dir steht. Erst als du deinen Namen hörst, blickst du hoch in die vertrauten braunen Augen einer Freundin, die dich mit verdutzter Miene mustert.

„Thea, was machst du denn hier? Ist alles in Ordnung?", fragt sie dich besorgt und du würdest am liebsten deinen Kopf schütteln, doch du entscheidest dich dagegen.

„Ja", antwortest du deshalb knapp und stemmst dich von der Mauer ab, die beinahe deinen Rücken eingefroren hat. Obwohl du kälteempfindlich bist, ist dir das bis jetzt nicht aufgefallen. Dafür fröstelst du nun und Gänsehaut ziert deine bleiche Haut.

„Bist du sicher?", hakt deine Freundin nach und du bekräftigst, dass sie sich keine Sorgen um dich machen braucht. Du wolltest dir vor der Party einfach nur die Füße vertreten, lügst du sie an und hoffst, dass sie dir deine Worte abkauft. Sie kennt dich gut. Deshalb weißt du, dass sie dir nicht glaubt und du irrst dich fast nie. Du bist überrascht und gleichzeitig erleichtert, dass sie, trotz deiner offensichtlichen Lüge, keine weiteren Fragen stellt.

Stattdessen nimmt sie bloß deine eiskalte Hand in ihre und zieht dich mit ihr mit, in die Richtung, in die du zuvor nicht gehen wolltest. Nicht gehen konntest.

Deine Füße tragen dich nur unfreiwillig und dein Magen fühlt sich an, als würde er gerade dein Herz verdauen. Von Minute zu Minute wird dieses Gefühl stärker und du fragst dich, ob es zu spät ist, die Flucht zu ergreifen. Wahrscheinlich schon, denn kurz darauf bleibt ihr vor einer Bar stehen, deren Name kaum noch lesbar ist, da die Lichter im Schild bereits seit Jahren ausgebrannt waren.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 12, 2017 ⏰

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