Hochzeit aus Hass

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Prolog
*Levis Sicht*

Anfangs hatte ich mich noch recht gut amüsiert: Ich hatte mir einen Spaß daraus gemacht mit Erwin, meinem besten Freund, sowie Arbeitskollegen den Abend in meiner Stammbar ausklingen zu lassen, mich von mehreren, nicht gerade unattraktiven Frauen umgarnen zu lassen, ohne dabei aber mehr von ihnen zu wollen.
Ich war - um es gelinde auszudrücken - beziehungsunfähig. Keine meiner Beziehungen hatte länger als zwei Monate gehalten, das war eine echte Meisterleistung, wenn ich mir vor Augen führte, dass ich mittlerweile dreißig war.
Es war schlicht und ergreifend erbärmlich, lächerlich erbärmlich und passte überhaupt nicht in mein, sonst so sortiertes Leben. Ich war der Leutnant des Aufklärungstrupps und hatte es in meinem Leben zu einiges gebracht, zwar nicht ganz freiwillig, wenn ich an meine erste Begegnung mit Erwin zurückdachte, aber im Nachhinein war ich ihm doch recht dankbar dafür, dass er mich aus der Gosse gezogen hatte.
„Warum ziehst du so ein Gesicht? Stress mit Petra?", fragte Erwin wissend und nahm einen Schluck von seinem Bier.
„Sie hat ihre Sachen gepackt und ist ausgezogen", antwortete ich mit betont gleichgültiger Stimme, die verriet, dass es mich nicht sonderlich kümmerte, ob sie nun da war, oder nicht, dann zuckte ich gelangweilt mit den Schultern, „Soll sie doch."
„Das war vorauszusehen, so oft wie ihr gestritten habt", sagte er.
„Es war nicht meine Schuld", böse Zungen mochten vielleicht etwas anderes behaupten, aber was wussten sie schon? Hatten sie eine Beziehung mit Petra geführt, oder ich?
„Da habe ich was anderes gehört", ein böses Lächeln umspielte seine Lippen. Wenn er sich so benahm, erinnerte ich mich plötzlich wieder daran, weshalb ich den Scheißkerl damals abgrundtief gehasst hatte.
„Und das wäre?"
„Muss ich dir das wirklich noch erklären?", auf seinen Zügen breitete sich eine perfide Vorfreude aus, die deutlich zeigte, wie viel Spaß es ihm machte, mir meine Fehler unter die Nase zu reiben, „Aber gut, du hast es ja nicht anders gewollt. Levi, du hast in den letzten Monaten lieber Überstunden gemacht, als dich mit deiner Freundin zu treffen. Du hast dich sogar davor gedrückt, ihre Eltern kennenzulernen, ich musste dich decken und mir eine fadenscheinige Ausrede ausdenken, damit deine Lügen nicht ans Licht kommen. Du treibst jeden Menschen mit deinem übertriebenen Reinlichkeitstick in den Wahnsinn, zwingst dein Umfeld dazu, sich dir anzupassen und stundenlang zu putzen, statt etwas gemeinsam zu machen. Und zu guter Letzt bist du ein krankhafter Egoist, der nur seinen eigenen Vorteil im Sinn hat. Erinnerst du dich noch an Petras Geburtstag? Du hast ihn eiskalt vergessen und dir selbst neue Hemden gekauft, weil sie im Angebot waren. Du hättest ihr Gesicht sehen sollen, als sie dachte, dass du eine Überraschung in der Tüte für sie hättest, und dann die Enttäuschung, als sie herausfand, dass du keine Sekunde an sie gedacht hast. Ganz ehrlich, es ist kein Wunder, dass dir die Frauen scharenweise davonlaufen. Du bist selbst schuld."
Auf wessen Seite stand er eigentlich? Er war mein Freund, er sollte hinter mir stehen und mir den Rücken stärken und nicht meinen Verflossenen.
„Zu meiner Verteidigung: Putzen kann man auch zu zweit", ich verdrehte die Augen provokativ, sollte er doch wissen, dass ich sauer auf ihn war und er bei mir verschissen hatte, „Wenn Petra bei dir behauptet hat, dass wir nichts miteinander gemacht hätten, dann war es eine glatte Lüge. Außerdem stehe ich nicht auf Körperkontakt, oder übertriebene Nähe, oder auf Kuscheln allgemein - ich bin keine Frau."
Das hatte gesessen! Nun musste selbst er einsehen, dass er den Fehler unmöglich bei mir allein suchen konnte. Allein ihre ekelhaft, kitschigen Annäherungsversuche kamen einer Nötigung gleich. Um meinen Standpunkt zu verdeutlichen, verschränkte ich die Arme angesäuert vor der Brust, zog eine Augenbraue nach oben und die Mundwinkel etwas nach unten.
„Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun."
Ohne auf seine Worte einzugehen, fuhr ich einfach fort, um meinen angestauten Frust Luft zu machen: „Ich hasse Händchenhalten, daraus hat sie mir auch versucht, einen Strick zu drehen - aber bist du auf meiner Seite?", ich machte eine wegwerfende Handbewegung, „Eben nicht! Ständig betonst du nur, dass du sie verstehen kannst, dabei weißt du genau, dass ich eine Keimphobie habe."
Eins zu Null für mich.
„Ich sehe schon, du bist ein richtiger Traummann", erwiderte Erwin und seine Worte trieften nur so vor Sarkasmus, „Kein Händchenhalten und keine Zärtlichkeiten. Jetzt fehlt nur noch, dass du nach dem Sex aus dem Bett gesprungen bist und geduscht hast."
Mein Schweigen verriet mich.
„Nicht dein Ernst", er fasste sich mit der Hand an die Stirn und legte sie in Falten: „Du bist ein hoffnungsloser Fall. Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der so unsensibel ist, wie du."
Und er war nicht minder unsensibel, dachte ich grimmig und musste mich beherrschen, ihm keine schnippische Bemerkung an den Kopf zu knallen, die mir gerade auf der Zunge lag.
Gerade, als ich etwas erwidern wollte, konnte ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung hinter mir wahrnehmen, jemand fegte durch den Raum, wie ein Wirbelwind aus dunklen Stoffen und als ich über die Schulter blickte, stellte ich zu meinem eigenen Bedauern fest, dass es Hanji war. Das Weib hatte mir gerade noch gefehlt.
„Wenn das nicht meine beiden Lieblingssoldaten sind", trällerte sie fröhlich, legte ihre Arme um uns und beugte sich leicht mit dem Oberkörper vor, „Darf man sich setzen?"
Sie trug ihr Haar hochgesteckt und die längeren Seitenpartien bildeten den perfekten Rahmen für ihr Gesicht - das einzige, was mir nicht gefiel, war ihr Lächeln, ihr künstliches, unheilverkündendes Lächeln, dass sie immer dann zeigte, wenn sie etwas vorhatte.
„Natürlich", antwortete Erwin und bot ihr, zu meinem Leidwesen einen Platz an. Denn Vierauge hatte nichts Besseres zu tun, als diese Gelegenheit auszunutzen und direkt mit der Tür ins Haus zu fallen.
„Habt ihr mitbekommen, dass Eren Jäger hingerichtet werden soll", sagte sie mit verschwörerischer Stimme und senkte sie so weit, dass nur wir sie hören konnten.
„Ich bin der Kommandant des Aufklärungstrupps, natürlich habe ich es mitbekommen."
„Das war eine dumme Frage, ich merke es schon", entgegnete sie, ließ aber dennoch nicht locker, „Es soll wohl damit zusammenhängen, weil er seine Titanenfähigkeit nicht unter Kontrolle hat und sich verwandelt hat, obwohl er keine Erlaubnis dazu hat und somit als Gefahr für die Menschheit gilt", gerade als Erwin etwas einwerfen und ihr sagen wollte, dass er in seiner Position darüber in Bilde sei, verzog sie ihre Lippen und ihr Lächeln wurde noch eine Spur breiter. Dann sagte sie etwas, womit er nicht gerechnet hatte, „Aber jetzt kommt es: Es gibt eine Gesetzeslücke. Ich bin zufällig darauf gestoßen und ich denke, wenn wir alle an einem Strang ziehen, können wir ihn vor dem Galgen bewahren."
„Und welche soll das sein?", fragte ich skeptisch, da ich wusste, dass ich es mit einer Person zu tun hatte, die ebenso genial wie durchtrieben war.
„Gut, das du fragst, Levi", obwohl ich noch nicht wusste, was sie vorhatte, durchströmte mich ein ungutes Bauchgefühl und ließ mir einen eisigen Schauer über den Rücken jagen, „Es geht um eine Hochzeit. Wenn Eren einen Soldaten von hohem militärischen Rang heiratet, würde er politische Immunität genießen."
„Wo willst du jemanden finden, der dumm genug ist, das zu tun?", fragte ich mit hochgezogener Augenbraue.
„Ich habe nicht ohne Grund nach euch gesucht", sprach sie meine wildesten Albträume aus.
Ich konnte spüren, wie ich vollkommen erstarrte, mir jegliche Farbe aus dem Gesicht wich und sich meine Augen vor blankem Entsetzen weiteten.
„Ohne mich! Ich bin raus."
„Levi, du bist der Einzige, der in Frage kommt."
Erwin war verheiratet und schied als möglicher Heiratskandidat aus, aber das hieß noch lange nicht, dass ich meinen Kopf als Sündenbock hinhalten musste.
„Ich heirate doch keinen Mann! Und noch dazu Jäger! Das kannst du vergessen!", mit aller Kraft donnerte ich meine Faust auf den Tisch und erhob mich.
„Geh ruhig, wenn es dir lieber ist, dass er hingerichtet wird."
Eine lautlose Stimme in meinen Gedanken begann mich anzuschreien, dass ich dabei war, die einzige Chance auf ein friedliches Singledasein wegzuwerfen, aber sterben lassen, konnte ich ihn ebenso wenig.
Die ganze Szenerie hatte etwas Unwirkliches.
„Das ist Erpressung - und das weißt du", knurrte ich gefährlich.
„Und wenn schon, ich denke nur zum Wohle der Menschheit und das solltest du auch tun, Levi. Was glaubst du, wie die Karten für uns stehen werden, wenn wir unseren einzigen Titanenwandler verlieren?"
Erwin, dieser Bastard, saß lediglich da, verschränkte die Arme vor der Brust und machte nicht die Anstalt, mir helfen zu wollen. Wahrscheinlich kam es ihm gerade recht, dass Hanji mich in die Ehe zwingen wollte.
„Dann wird er halt hingerichtet", antwortete ich kalt.
„Ich liebe es, wenn du deine unnahbare und eiskalte Seite zeigst", entkam es ihr schadenfroh, „Es tut mir nur leid, dir das sagen zu müssen, aber ich glaube dir kein Wort. Ich schätze dich nämlich als einen netten Kerl ein, der alles für seine Kameraden tun würde."
Wenn sie einen qualvollen, langsamen Tod sterben wollte, musste sie nur so weitermachen. Es fehlte nicht mehr viel und ich würde sie hinter mein Pferd binden und eine private Expedition außerhalb der Mauer starten. Aber wenn ich Pech hatte, gefiel dem Freak das auch noch...
„Darauf würde ich nicht wetten."
„Also, was ist nun Levi?", stellte sie die alles entscheidende Frage, „Wirst du ihn heiraten, oder seinem Schicksal überlassen?"
Ihre Augen sprühten Funken und allein die Vorstellung, dass sie mich leiden lassen konnte, schien für sie die schönste Form der Genugtuung zu sein.
„Es wäre nur eine reine Formsache, oder?", stellte ich die Gegenfrage und zweifelte für einen Moment an meinem Verstand, dass ich die Möglichkeit tatsächlich in Betracht zog, mit Jäger eine Scheinehe zu führen.
„Ihr müsstet schon zusammenwohnen. Aber ansonsten, ja."
„Er soll nur nicht auf die Idee kommen, dass je zwischen uns mehr sein wird, als die Ehe auf dem Papier. Er bekommt sein eigenes Zimmer. Macht seine Haushaltspflichten. Und wir haben getrennte Konten."
„Ich verstehe schon", sie nickte verstehend, „Das mit den Pflichten und dem Geld könnt ihr regeln, wie ihr wollt, aber wenn ihr eine glaubhafte Ehe führen wollt, kommen getrennte Betten nicht Frage. Wie wollt ihr das denn erklären, wenn man euch überprüft?"
„Man überprüft uns?", mir klappte fast die Kinnlade runter.
„Schätzchen, du bist so naiv", sie langte nach meinem Glas und prostete mir zu, „Auf eine gute Ehe. Du hast noch so viel zu lernen."

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